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Sie marschieren wieder. . .

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Ein bisschen zerknirscht ist die Frau aberdoch. Weil sie so wenig weiß von damals und mitden Jahren, sagt sie, auch begriffen hat, bestimmteThemen in Dötlingen besser zu meiden –„gerade als Zugezogene“.Das Dorf wendet sich zwar seiner Geschichtezu, es gibt Bücher darüber, in denen weit zurückgeschautwird, bis hinein in die Zeit, alsDötlingen vor vielen hundert Jahren nochThutelinge hieß. Aber dieses eine, damals dochimmerhin bis weit nach Berlin ausstrahlendeKapitel wird geflissentlich ausgespart oder nuram Rande gestreift.Wie überall im Oldenburger Land erringt dieNSDAP auch in Dötlingen sehr früh schon herausragendgute Wahlergebnisse. Bei derReichstagswahl am 14. September 1930 sind es60 Prozent, im Jahr darauf, bei den Wahlen zumOldenburger Landtag, steigt der Anteil auf fast 80Prozent. Dötlingen ragt nun selbst im OldenburgerLand deutlich heraus. Die Gemeinde steht ander Spitze der braunen Bewegung.Aber wie das nun mal so ist auf dem Dorf –Partei-Pedanten, die mit ideologischemFeuereifer jedes Anderssein sofort ahnden, habendort keine Chance. Dötlingen trägt zwar dasBanner der Nationalsozialisten, mit einigem Stolzsogar. Es glaubt an die große Sache und stellt alsZeichen besonderer Verbundenheit auf einemMit einigem Pomp und unter großerAnteilnahme der Bevölkerung bekam derFindling von den Nazis seine höherenWeihen.Heute liegt der Stein umgestürztan alter Stelle. Überlegungen des Heimatvereins,ihn <strong>wieder</strong> aufzustellen, sind voreinigen Jahren vom Gemeinderat zerstreutworden.Hügel in der Nähe, dem Gierenberg, einen riesigenFindling mit Hakenkreuz auf. Gleichzeitigaber wird auf einen wie Willy Rogge keine Hatzgemacht. Er ist zuerst Bauer, einer von ihnen, underst dann auch ein renitenter Nazi-Gegner.Dass dieser Rest an Miteinander zuletzt keineRolle mehr spielt, und Rogge von Spießgesellender Nazis heimtückisch ermordet wird, ist fürMenschen, die davon wissen, noch heute eineoffene Wunde. Es sind ja Männer aus der Gegend,die die Tat verüben, und einer, der Anstifter,kommt direkt aus dem Dorf.Erwin Metzler* war inDötlingen stellvertretender Ortsgruppenleiterder NSDAP.Menschen, die ihn gekannthaben, schildern den Mann alseine eher schlichte Natur. Er seizwar durch und durch Nazigewesen, schrieb Gustav Orth,ein Nachbar von Metzler, alsZeuge im späteren Gerichtsverfahren.„Aber er war frei vonjenem berüchtigten KZ-Geistund Fanatismus.“ Metzler habeim Dorf geholfen, wo er nurkonnte, und sich nicht seltengegenüber höheren Stellenschützend vor jene gestellt, diees an der gewünschtenGesinnung fehlen ließen.„Vernünftig und anständig“ sei er gewesen, versicherteOrth.Die Aussage des Bankvor-stehers hatteGewicht, er wurde während der Nazijahre von derGestapo bedroht. „Metzler ist immer <strong>wieder</strong> fürmich eingetreten“, schrieb Orth in einer ArtEhrenerklärung für den Angeklagten.Er nennt darin den Namen Theodor Cohn.Der Lehrer war 1933 aufgrund seiner Abstammungaus dem Schuldienst geworfen worden.Nun suchte er eine Anstellung und fand sie in derBank von Gustav Orth. „Metzler machte keineSchwierigkeiten.“ 1944, als Cohn von den Nazisin ein Zwangsarbeiterlager gesteckt wurde, „hatM. alles Menschenmögliche bei der Kreisleitungund anderen hohen Stellen unternommen“.Geholfen hat das nichts, Cohn blieb im Lager,aber er überlebte und wurde später Stadtdirektorin Wildeshausen. Metzler – die Kinder sagten„Onkel“, sie mochten ihn. Metzler war kein wildentschlossener Herrenmensch, der die Vernichtungsideologieseiner Nazi-Kumpane nachbetete.Er war keine Heimsuchung. Aber dann, als dieAlliierten schon vor denToren standen, mussirgendetwas mit ihm passiertsein. Ohne Not undmehr zufällig, so jedenfallsgeht es aus den Prozessaktenhervor, lieferte er denMann ans Messer, der imDorf stets gegen die Nazisgestänkert hatte, und den erbis dahin trotzdem weitgehendin Ruhe ließ.Ein entfernter Bekannterist zu Besuch gekommen,ein Mitgliedder „Kampfgruppe Wichmann“,die direkt derPartei unterstellt ist. DerMann spricht mit Metzlerüber die Lage im Dorf, unddem fällt dabei nichts Besseres ein, als von Roggeanzufangen, der ihm als „unsicheres Element“Sorge bereite. Die Information wird sofortweitergetragen, und noch am Abend gibt es beiMetzler ein weiteres Treffen in größerem Kreis.Zum Schluss dann die entscheidende Frage,nachzulesen in den Gerichtsakten: „Halten <strong>Sie</strong>die Umlegung Rogges für erforderlich und richtig?“Metzler zögert und ringt mit sich. Dann dieserSatz: „Ja, der Mann muss weg!“Einen Tag später ist Rogge tot. <strong>Sie</strong> hatten ihnam Abend unter einem Vorwand aus dem BettKarsten Grashorn ist inDötlingen anfangs angefeindetworden.geholt, in ein Auto verfrachtet und amOrtsausgang erschossen.Die Täter und der Anstifter sind später wegenMordes vor Gericht gestellt worden. Zeitweisemussten sie fürchten, ein Leben lang hinterGittern zu bleiben. Doch am Ende, nach mehrerenVerfahren, setzte sich die Rechtsauffassungdurch, dass die Tat aus der damaligen Zeit herauserklärt werden müsse. Metzler, der während derProzessdauer in Untersuchungshaft saß, erhielteine Gefängnisstrafe von zwei Jahren und dreiMonaten. Er war nach dem Urteil ein freier Mannund kehrte nach Dötlingen zurück.Ein knappes Jahr nach der Tat versammeltesich das Dorf zu einem Gedenkgottesdienst fürWilly Rogge. „Das Volk brachte nicht die Kraftzum Widerstand gegen die Verbrechen auf, das istseine Schuld“, schrieb der damalige oldenburgischeMinisterpräsident Theodor Tantzen denDötlingern ins Stammbuch. Danach warSchweigen. Bis heute.Einer hat das jetzt alles zusammengetragen.Ein Soldat und gebürtiger Dötlinger, der dieWahrheit sucht. „Ich will wissen, was damalswar, ganz einfach“, sagt Karsten Grashorn, dersich bei der Bundeswehr nebenher auch umMilitärgeschichte kümmert. Am Anfang seinerRecherchen hat er böse Anrufe bekommen. Dasser ein Nestbeschmutzer sei und an etwas rühre,was vergessen gehört. „Die Nazizeit ist hier nieaufgearbeitet worden“, sagt der 43-Jährige.„Viele, auch meine Familie, haben nach demKrieg einfach die Klappe fallen lassen.“Grashorn geht vorsichtig vor, das haben dieDötlinger mittlerweile verstanden und sich einwenig beruhigt. „Ich werde hier doch nicht miterhobenem Zeigefinger herumlaufen. Das maßeich mir nicht an.“ Er will verstehen, wie allesgekommen ist, nur das. Das Dorf wird es ihmvielleicht mal danken. Irgendwann.Jürgen Hinrichs* Name geändert.8485

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