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Aussteigen – aber wie?Ein Gastbeitrag von Wolfgang Welp-EggertAussteigerprogramme für Rechtsextremesind in Deutschland eine zentrale Maßnahme imUmgang mit Rechtsextremismus und Gewalt.Den Anstoß für solche Programme lieferten Angehörigeder Szene selbst: <strong>Sie</strong> wollten sich – ausunterschiedlichsten Motiven – abwenden, dochprofessionelle Hilfsangebote fehlten.Eine dauerhafte und stabile Distanz zurSzene erreichte nur, wer die für die Szene typischenstarken ideologischen und sozialenAbhängigkeiten überwinden und durch andereAnerkennungsquellen ersetzen konnte. So brachtenAusstiegsverläufe teilweise skurrile Situationenhervor. In den 90er Jahren beispielsweisesuchte ein ausstiegswilliger Neonazi-Aktivistausgerechnet in einem Göttinger Antifa-CaféZuflucht vor seinen „Kameraden“, die dem„Verräter“ ans Leder wollten.Aus der Auseinandersetzung mit dieserSituation entstand eine Projekt der Jugendarbeitin rechten Szenen. Abgesehen von solchenZufällen und Angeboten der Jugend- undSozialarbeit, die sich allerdings auf Mitläufer undSympathisanten rechter Jugendkulturen konzentrieren,gab es lange keine zielgerichtetenAngebote für Ausstiegswillige aus dem Kern derneonazistischen Szene.Erst seit Anfang 2001 gehören Aussteigerprogrammezu den favorisierten Strategien gegenRechtsextremismus. Als Vorbilder dientenModelle aus Norwegen und Schweden. Dasbundesweite Aussteigerprogramm „EXIT-Deutschland“ ist eine Initiative des Zentrums fürdemokratische Kultur und orientiert sich anErfahrungen aus Skandinavien. Das Programmhat drei Ebenen. Zunächst entkommt derAusstiegswillige durch Wohnungswechsel demVerfolgungsdruck der Szene. Dann setzen sichdie Mitarbeiter intensiv mit den rechtsextremenEinstellungen des Ausstiegswilligen auseinander,in diesem Prozess soll eine Art „Läuterung“ folgen.In einem dritten Schritt kümmert sich EXITzukunftsorientiert um die ökonomischen undsozialen Belange des Ausstiegswilligen. WichtigeVoraussetzung für einen erfolgreichen Ausstiegsprozessist die Bereitschaft des Ausstiegswilligen,seine rechtsextremen Haltungen inhaltlich aufzuarbeiten.Die ideologische Abstinenz wird somit zurBedingung für weitere Hilfsangebote, wie juristischeBeratung (außer bei Straftaten mit rechtsextrememHintergrund), finanzielle Unterstützungzum Beispiel zur Beseitigung von Tattoos oderzum Tausch von rechtsextremer Kleidung undrassistischer CDs.EXIT ist nicht unumstritten. Kritiker sprechenvon einem „Belehrungsansatz“. <strong>Sie</strong> bezweifeln,dass sich die Einstellungen derRechtsextremisten tatsächlich verändern, undbefürchten, dass es sich häufig um bloßeLippenbekenntnisse handelt. Andere meinen,dass erst konkrete sozialarbeiterische Unterstützungein politisches Umdenken überhauptermöglicht. Letztlich bleibt diese Diskussiontheoretisch: „Wer war zuerst da – die Henne oderdas Ei?“Jenseits solcher Diskussionen habenBundesländer Aussteigerprogramme mit eigenen,sehr unterschiedlichen Profilen entwickelt.Gemeinsame Basis: die Erfahrung, dass typischeMotive für einen Ausstieg Strafverfahren, eigeneZweifel und Beziehungen sind. Auch über dieSchwierigkeiten, die es zu überwinden gilt, istman sich einig: Sicherheitsprobleme (Racheakteaus der Szene), Verlust sozialer Kontakte, derLebensperspektive, von Arbeit und Wohnung,Schulden, Vorstrafen, Gerichtsverfahren, Sucht,Tattoos mit rechtsextremen Symbolen undStigmatisierungen. Hinsichtlich Ansiedlung,Intensität, Ausstattung und Arbeitsweise allerdingsunterscheiden sich die insgesamt zwölf länderbezogenenAussteigerprogramme stark. Sobieten die Programme in Bayern (angesiedeltbeim Landesamt für Verfassungsschutz), Bremen(bei der Vereinigten Protestantischen Gemeindezur Bürgermeister-Smidt-Gedächtniskirche),Hamburg (beim Landeskriminalamt), Mecklenburg-Vorpommern(beim LKA), Nordrhein-Westfalen(bei der Staatskanzlei), Saarland (beimVerfassungsschutz), Sachsen (beim Verfassungsschutz)und Sachsen-Anhalt (beim Verfassungsschutz)im Wesentlichen eine Hotline an. Über siekönnen Ausstiegswillige gezielt Kontakt aufnehmenund werden weitervermittelt an andereOrganisationen, die in der Regel ein Netzwerk bilden.Kontinuierliche und einzelfallbezogeneAusstiegshilfen bieten Baden-Württemberg (beimLKA), Brandenburg (beim Justizministerium),Rheinland-Pfalz (beim Landesamt für Jugend undSoziales) und Niedersachsen (beim Justizministerium).Die „Aussteigerhilfe Rechts Niedersachsen“wendet sich an inhaftierte rechtsextremeStraftäter. <strong>Sie</strong> bietet ihnen auch nach derHaftentlassung pädagogisch-sozialarbeiterischBegleitung an, um einen „Rückfall“ in alteSzenezusammenhänge zu vermeiden.Das rheinland-pfälzische Programm „(R)Auswege“leistet neben individueller Einzelfallhilfeauch Beratung für Angehörige. Die „BeratungsundInterventionsgruppe gegen Rechtsextremismus“(BIGREX) aus Baden-Württemberg zeichnetsich dadurch aus, dass Pädagogen undPolizeibeamte als Team gemeinsam gefährdeteund betroffene Jugendliche aufsuchen und ansprechen.Neben dem zivilgesellschaftlich organisiertenAussteigerprogramm „EXIT-Deutschland“bietet das Bundesamt für Verfassungsschutz einweiteres bundesweites „Aussteigerprogramm fürRechtsextremisten“ an. Seine Arbeit bleibt jedochweitgehend undurchsichtig – wie Geheimdiensteeben arbeiten. Zur Wirkung des Programmserklärte Bundesinnenminister Otto Schily imApril 2004: „So prangerten Rechtsradikale dasProgramm öffentlich als unzulässiges Instrumentpsychologischer Kriegsführung an.“ Schily siehtoffenbar einen Erfolg des Programmes darin, dassSzeneaktivisten das Programm ablehnen.Meiner Meinung nach ist der Erfolg vonAussteigerarbeit allerdings eher daraus abzuleiten,ob diese erstens angenommen wird und zweitensAusstiegsprozesse tatsächlich unterstützt.Eine Evaluation (wissenschaftliche Bewertung)von Aussteigerprogrammen gibt es nicht. <strong>Sie</strong>wäre jedoch sinnvoll, zumal die Diskussion überdie Standards einer solchen Arbeit noch amBeginn steht.Der Autor: Wolfgang Welp-Eggert ist Mitarbeiterdes Forschungsprojektes „Ein- und Ausstiegsprozessebei Skinheads“ der UniversitätBielefeld.Viele Rechtsextremesind einschlägig tätowiert.Bei Demonstrationen treten siehäufig sehr aggressiv auf.6667

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