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Sie marschieren wieder. . .

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Das braune Gift wirkt lange nachUwes weiter Weg aus der rechtsextremen CliqueKlar hat Uwe* Angst. Angst, dass er seinenehemaligen „Kameraden“ mal im falschenMoment über den Weg läuft. Das gibt der18-Jährige zu. Aber wenn er ihnen heute begegnet,und sie sind nicht betrunken und allein, danntun sie ihm nichts. Da ist er sich sicher, sagt er.Dann wechseln seine ehemaligen Freunde bloßdie Straßenseite und grüßen ihn nicht mehr.Für sie ist Uwe ein „Scheißverräter“ und„kein richtiger Deutscher“. So beschimpfen sieihn, weil er nicht mehr dabei ist. Der 18-jährigeBremer will nichts mehr zu tun haben mit dem,was er „Nazi-Kram“ nennt. „Schlimm genug,dass ich diese Einstellung mal hatte“, sagt er.Diese Einstellung, die seine ehemaligen Freunde,Andreas und dessen „Neonazi-Clique“, immernoch haben. Und die auch ihn noch beschäftigt.Braunes Gift kann lange wirken.Die braune Musik zum Beispiel. Mit der hatalles angefangen, denn die hört er, seit er 13 ist.Bands wie „Landser“, „Screwdriver“ und„Stahlgewitter“, die zu harten, aggressiven Tönenrechtsextreme Texte grölen. Deren Musik er bisheute dann und wann hört. „Aber nur, wenn ichalleine bin“, versichert er schnell.Uwe lebt bei seiner Mutter. Seinen leiblichenVater hat er ein einziges Mal gesehen. DiesenMann braucht er nicht, sagt Uwe knapp. Der hateinen Vaterschaftstest verlangt und dann trotzdemkeinen Unterhalt bezahlt. „Obwohl der zweiHäuser hat.“ Uwe grinst. Er will das nicht traurigfinden. Traurig ist, dass seine Mutter sich von seinemStiefvater scheiden ließ. „Der war wie einrichtiger Vater.“ Nach der Scheidung zieht Uwemit seiner Mutter aus dem kleinen Dorf im KreisDiepholz zurück nach Bremen – in die Vahr.Diesen Stadtteil, von dem Uwe sagt, dass er sichhier mehr vor den Ausländern fürchtet als vorAndreas und seinen Kumpanen. Braunes Giftwirkt lange.Als er in die Vahr kommt, lernt er Andreaskennen. Andreas in der schwarzen Bomberjackeund den Doc-Martens-Boots mit weißenSchnürsenkeln. Den Kopf kahl geschoren, wie essich für einen rechten Skinhead gehört. Andreasist gerade mal 15 Jahre alt. Mit ihm und vier, fünfanderen Jungs zieht Uwe regelmäßig um dieHäuser. Einen Anführer hat seine Clique nicht.„Allenfalls den Niels“, sagt Uwe. Weil der vielälter ist, so um die 30, und weil der ein Auto hat.„Logisch, dass der meist gesagt hat, wo’s hingehensoll.“Ins Panzermuseum nach Munster zumBeispiel. Auch Bunker gucken die Jungs sich an.Und kaufen für satte 450 Euro einen „echtenHitler-Schlitzer“. Das „Pfadfindermesser“ derHitler-Jugend holt der Mann aus seinem Tresorganz hinten in seinem Antikladen mitten in derBremer Innenstadt. Die Jungs gehen nie unbewaffnetaus dem Haus. „Ich hatte immer eineGaspistole dabei“, sagt Uwe. „Andreas läuft bisheute mit einem Gummiknüppel durch dieGegend.“ Irgendwann will die Clique auch unbedingtmal zu so einer richtigen Demo, auf der dieNeonazis auf<strong>marschieren</strong>. Oder auf eines diesergeheimnisvollen Konzerte einer Neonazi-Band,von denen man vorher nicht genau weiß, wogenau sie stattfinden. Aber so weit kommt esnicht mehr. „Wegen der Sache mit dem Neger“,sagt Uwe. Die Entschuldigung kommt prompt.„Ich meine mit diesem Schwarzen.“Dieser Schwarze ist in die Wohnung gleichneben der eingezogen, in der Andreas’ Familiewohnt. Als die Jungs zu Andreas wollen, fährt ermit dem Fahrrad vorbei. „Drecksnigger“, ruftUwe ihm hinterher, „geh zurück in den Urwald.“„So war’s halt“, sagt er heute und zuckt dieAchseln. Ein bisschen peinlich ist ihm das schon.An diesem Tag aber dreht der Mann mit seinemFahrrad um und gibt Uwe eine Ohrfeige.„Den Drecksnigger zeigen wir an“, sagt Andreassofort. Dann rufen die Jungs die Polizei. Diekommt – und gibt auch VAJA, dem BremerVerein zur Förderung akzeptierender Jugendarbeit,einen Tipp. Ein paar Tage später tauchendie beiden VAJA-Streetworker Dennis und Karinauf. Uwe und seine Clique reparieren gerade einFahrrad, daran erinnert sich Uwe noch genau.Andreas haut sofort ab, aber Uwe, sein besterKumpel, und noch ein, zwei andere Jungs hörenerst einmal zu. Ein gutes Jahr ist das jetzt her, undheute ist Uwe raus. Irgendwie jedenfalls, denndas braune Gift wirkt noch nach.Mit Andreas ist er immer in diese Kneipenam Bahnhof gegangen. „In denen die Skinheadsund die Hooligans abhängen“, sagt Uwe.Muskelbepackt, kahl geschoren und tätowiert.Viele von ihnen rechtsextrem. In diesen Kneipenlernt Uwe auch „Promis“ der rechten Szene inBremen kennen. Leute, die Musik machen inBands wie „Endstufe“ oder „Endlöser“. UndMänner, die sich als besonders „schlagkräftigeHools“ einen zweifelhaften Ruf erworben haben.Irgendwie spricht Uwe bis heute mit einemHauch Ehrfurcht von ihnen.Aber auch mit Verachtung. Dass die Rechtenwas gegen Drogen haben zum Beispiel, dasbraucht ihm keiner mehr zu erzählen. „Da istnicht nur Alkohol bis zum Abwinken angesagt“,berichtet er. „Da sind viele voll auf Koks.“ Der18-Jährige grinst und tut, als wolle er mit derFaust zuschlagen. „Kapiert, warum?“ Kokainbetäubt auch – und stählt für die nächstePrügelei. Kräftig gesoffen hat Uwe auch, aberharte illegale Drogen? „Nee, vor denen hab’ ichzu viel Respekt.“Seit der Sache mit dem Schwarzen trifft Uwesich zusammen mit einigen anderen Jugendlicheneinmal die Woche mit den Streetworkern. Ganzallmählich verändern sie seine Einstellung zumNeonazismus. „Das mit Hitler und den Juden“sieht er heute „als schlimmes Verbrechen“.Früher habe er oft gar nicht nachgedacht, was errede. Da haben sie gemeinsam Whiskey gesoffen,die Fenster aufgerissen und gegrölt. „Nur eintoter Jude ist ein guter Jude“ oder „Deutschlandden Deutschen“. Ihren ganzen Hass haben sierausgelassen. Aber wo kommt der her? Uwe hatkeine Antwort. „Vielleicht von der Musik“, über-legt er. „Ich mochte einige Ausländer schon nicht,bevor ich Andreas, Niels und die anderen kannte.“Die Verehrung für Hitler, seine Schergen undden Antisemitismus, den hat ihn seine Cliquegelehrt. Auch was Kameradschaft ist. Zusammenhalten,immer und gerade, wenn’s hart aufhart kommt. Uwe lächelt spöttisch. „Die kneifengenauso oft wie jeder andere auch.“Vor einigen Monaten hat Uwe sich mit anderenrechten Jugendlichen aus seiner Clique undmit VAJA-Sozialarbeitern die GedenkstätteBergen-Belsen angeschaut. „Das schockt einen“,sagt der 18-Jährige. Seither sieht er das anders,„das mit den Juden“. Fast trotzig fügt er hinzu:„Aber Hitler hat auch gute Sachen gemacht.“ Under wäre froh, wenn die NPD bei der nächstenWahl die Regierung übernimmt. Aber Andreasund seine Gesinnungsgenossen nennen ihn docheinen „Vaterlandsverräter“, unter seinenFreunden sind heute längst Ausländer.Uwe denkt nach. Sein Blick wandert rastlosdurch den Raum. Wie auf der Suche nach etwas,an dem man sich festhalten kann. „Wenn ich vonder Schule heimfahre, höre ich in der StraßenbahnSehr jung waren einige Demonstrantenbeim Aufmarsch von Rechtsextremistenin Magdeburg im Januar 2005.oft kaum ein deutsches Wort.“ Es klingt wie eineFrage. Der „Nazi-Kram“ ist keine Lösung, das hatder 18-Jährige eingesehen. Aber das braune Giftwirkt noch nach. Noch – das kleine Wort kannmanchmal Hoffnung bedeuten. Christine Kröger* Namen geändert.5051

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