Eine neue, die alte GefahrDas gescheiterte Verbotsverfahren hat derrechtsextremen NPD Auftrieb gegeben. Der Tonihrer braunen Kader wird aggressiver, dasAuftreten dreister. Und die Partei sucht geradezudie Zusammenarbeit mit militanten Neonazis.8 9
Was uns Hitler beigebracht hatNPD und „Volksfront von rechts“: Wie soll die streitbare Demokratie darauf reagieren?Verbieten! Das ist der erste Reflex, wenn mansich mit der NPD befasst. Dass es 60 Jahre nachder Befreiung vom Nationalsozialismus nochimmer Leute gibt, die sich mehr oder minderoffen zur Hitlerei bekennen, ist kaum zu begreifenund schwer zu ertragen. Und doch verpflichtenuns der Geist ebenso wie der Buchstabe derVerfassung zur peinlich genauen Prüfung, garnicht zu reden von der Klugheit.Das Verbot einer Partei ist das schärfsteSchwert der wehrhaften Demokratie, und als solcheverstehen wir die Bundesrepublik. Wir habendamit eine Lehre aus dem Niedergang derWeimarer Republik gezogen. Die wurde vonihren totalitären Gegnern nämlich quasi aufgesetzlichem Wege ausgehöhlt und zerstört.Hitler selbst hatte dies unverblümt angekündigt.So erklärte er beispielsweise 1930 vor demReichsgericht: „Die Verfassung schreibt uns denBoden des Kampfes vor, nicht aber das Ziel. Wirtreten in die gesetzlichen Körperschaften ein undwerden auf diese Weise unsere Partei zum ausschlaggebendenFaktor machen. Wir werden dannallerdings, wenn wir die verfassungsmäßigenRechte besitzen, den Staat in die Form gießen, diewir als die richtige ansehen.“ Und das war dieNS-Diktatur.Die streitbare Demokratie lehnt eine bloß formaleInterpretation ab und verpflichtet in bewussterAbkehr von der Vergangenheit zu eineman Werte gebundenes Verfassungsverständnis.Dazu gehört die Bestimmung des Grundgesetzes,dass Parteien, die die freiheitliche demokratischeGrundordnung zu beeinträchtigen oder gar zubeseitigen versuchen, verboten werden können;können – nicht müssen. Denn ob man diesesInstrument im konkreten Fall anwendet odernicht, hängt auch von Nützlichkeitserwägungenab. Bislang hat das Bundesverfassungsgericht,jeweils auf Antrag der Bundesregierung, nurzweimal ein Parteiverbot ausgesprochen: 1952traf es die rechtsextremistische SozialistischeReichspartei (SRP) und 1956 die KommunistischePartei Deutschlands (KPD). Die SRPwar ein Sammelbecken rechtsextremer und zumTeil neonazistischer Gruppen.Ihren Schwerpunkt hatte sie im Norden, insbesonderein Niedersachsen. Dort gewann sie imMai 1951 (das Verbot drohte bereits) immerhin11,0 Prozent und 16 Landtagsmandate. In denLandkreisen Diepholz, Bremervörde, Lüneburgund Aurich erzielt sie sogar um die 30 Prozent!Und noch im Oktober desselben Jahres errang siein Bremen 7,7 Prozent beziehungsweise achtMandate in der Bürgerschaft.Nach dem Verbot zersplitterte sich die Szene.Aber selbstverständlich waren die Unbelehrbarennicht bekehrt worden. Parteien kann manverbieten, Dummheit nicht.Als neues Auffanglager der Rechten entstand1964 nicht zufällig die NationaldemokratischePartei Deutschlands (NPD) unter Führung desBremers Fritz Thielen. <strong>Sie</strong> bildete sich aus mehrals 70 Gruppen mit rund 4000 Personen. Weitere500 stießen aus der ehemaligen SRP und anderenverbotenen Organisationen hinzu.In den Jahren 1966 bis 1968 erzielte die NPDüberraschende Wahlerfolge – zum Beispiel 1967in Niedersachsen mit 7,0 Prozent und zehnLandtagsmandaten, in Bremen mit 8,8 Prozentund acht Mandaten sowie 1968 in Baden-Württemberg mit 9,8 Prozent und zwölfMandaten. In dieser Zeit profitierte sie vomProtestpotenzial gegen die Große Koalition, dieCDU/CSU und SPD in Bonn gebildet hatten, vonder wirtschaftlichen Rezession, aber auch alsrechter Antipode vom Auftreten der AußerparlamentarischenOpposition (APO) auf der linkenSeite des politischen Spektrums. Bei derBundestagswahl 1969 scheiterte die NPD jedochmit 4,3 Prozent und verlor rapide an Bedeutung.Das hat sich in den vergangenen Jahren geändert.Die NPD spielt <strong>wieder</strong> eine zentrale Rolleim rechten Milieu. Und die Experten sind sichinzwischen darin einig, dass diese Partei nicht nurverfassungsfeindlich agitiert, sondern dass sieauch eindeutig verfassungswidrig agiert. Bundestag,Bundesrat und Bundesregierung haben deshalbAnfang 2001 ein Verbotsverfahren in Ganggesetzt.Zur Begründung hieß es, die Ziele der NPDseien nationalsozialistisch, antisemitisch, rassistischsowie antidemokratisch, und so gebärdetensich auch ihre Anhänger. An Belegen dafürgab es keinen Mangel.Doch dann explodierte im Februar 2002, kurzvor der mündlichen Verhandlung vor demBundesverfassungsgericht, eine politischeBombe. Nach und nach erfuhr die staunendeÖffentlichkeit, dass rund 15 Prozent der NPD-Spitze als sogenannte V-Leute vom Verfassungsschutzbezahlt wurden.Was auf den ersten Blick wie ein Skandalanmutet, gibt im Grunde wenig her. Entstandenist diese durchaus legale Regelung in den 70erJahren nach der Gründung der DeutschenKommunistischen Partei (DKP). Die hätte alsunzweifelhafte Nachfolgeorganisation der KPDeigentlich verboten werden müssen. Doch dieserschien in Zeiten der Entspannungspolitik zwischenOst und West nicht opportun. Um demRecht Genüge zu tun, ohne die Kreise der praktischenPolitik zu stören, kam man auf denGedanken, die Kommunisten durch den Verfassungsschutzbeobachten zu lassen. Nach demselbenStrickmuster wurde gegenüber der NPD verfahren.Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden.Schließlich sind nur so verlässliche Informationenüber das jeweilige Gefahrenpotenzialzu beschaffen. Und wie denn sonst sollte mannotfalls die erforderlichen Beweise erbringen?Jedoch gibt es ein grundsätzliches Dilemma:Wie weit muss sich ein V-Mann einlassen, umvon den Bespitzelten als zuverlässiger Gefolgsmannakzeptiert zu werden? Und wo verläuft dieGrenze, die er auf keinen Fall überschreiten darf,damit er nicht zum Mittäter wird? Zur Affäre inKarlsruhe geriet die Angelegenheit vor allem deshalb,weil die Antragsteller sehr wohl wussten, inwelchem Maße die NPD unterwandert ist, dieRichter davon aber keinen blassen Schimmer hatten.Es ist ein Versäumnis der Innenminister, aufdiese Problematik nicht einmal hingewiesen zuhaben. Zumindest ihnen muss nämlich von vornhereinklar gewesen sein, dass es in diesemVerfahren ganz wesentlich auf die Berichte vonVerfassungsschützern angekommen wäre.Schließlich waren die Begründungen für denVerbotsantrag ja in ihren Häusern erarbeitet worden.Das Verfassungsgericht sah sich missachtet.Wie seriös war das ihm vorgelegte Material?Musste da nicht in der Öffentlichkeit der Verdachtentstehen, der Staat selbst habe durch seineV-Leute die NPD geradezu heiß gemacht und siein die Verfassungswidrigkeit gelockt?Um es kurz zu machen: Zwar stimmten 2003vier Richter für die Fortsetzung des Verfahrens,aber drei waren dagegen. Und damit wurde die fürein Parteiverbot vorgeschriebene Zweidrittelmehrheitverfehlt. Man mag das in der Sachebedauern. Aber es spricht für diesen Rechtsstaat,dass er auch in einem solchen Fall nicht fünfe hatgerade sein lassen.Der misslungene Versuch des Staates, denbraunen Kadern das Handwerk zu legen, hat dasSelbstbewusstsein der NPD natürlich gestärkt.Neonazi-Aufmarschim brandenburgischen Halbe.10 11