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Sie marschieren wieder. . .

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Ein Mord im MusterdorfDötlingen war für die Nationalsozialisten etwas ganz Besonderes – heute will der Ort nichts mehr davon wissenEs ist Mittag in Dötlingen, eine stille Stunde,keiner da. Das schmucke Dorf wirkt wie einFreilichtmuseum außerhalb der Öffnungszeiten.Die alte Kirche, dahinter ein Weiher, auf dem dieEnten schnattern. Ein paar Meter weiter derberühmte Tabkenhof, ein reetgedecktes Bauernhaus,das größte seiner Art in Niedersachsen.Hier, denkt der Besucher, ist die Welt noch inOrdnung.„Wir sind auch heute ein Musterdorf“, sagtdie Vorsitzende des Heimatvereins. So wiedamals, als die Nationalsozialisten am Ruderwaren und den idyllischen Flecken an der Huntezum einzigen Musterdorf im ganzen Reicherklärten. Diese Vergangenheit und ein späterMord, zwei Tage bevor der Krieg zu Ende ging –Dötlingen schweigt darüber oder weiß nichtsdavon. 800 Jahre Dorfgeschichte, fein aufgeschrieben,aber dieser Fleck bleibt blind.Die Alten im Dorf erinnern sich noch genau,wo Willy Rogge damals lag. Achtlos hingeworfenvon seinen Mördern und mit einem Schild unterdem zerschossenen Leib: „Wer sein Volk verrät,stirbt.“ Etwas außerhalb von Dötlingen wardas, dort, wo jetzt Mais wächst und nichts daranerinnert, was an dieser Stelle passiert ist.Eine Hinrichtung. Schüsse von hinten inKopf und Rücken. Willy Rogge musste spät dafürbüßen, ein Gegner der Nazis gewesen zu sein.Viele Jahre hatten sie ihn geduldet, und dann ister doch noch ans Messer geliefert worden.Nachher tat es ihnen natürlich leid. Aber Folgenhatte das nicht. Das Dorf sah offenbar nie dieNotwendigkeit, sich diesem Teil seinerGeschichte zu stellen, die viel Schatten hat, aberauch ein wenig Licht.1936, in Berlin gehen gerade die OlympischenSpiele über die Bühne, wird Dötlingen zumReichsmusterdorf ernannt. Kein Ort sonst inDeutschland trägt diesen Titel. Delegationenkommen zu Besuch, aus dem Ausland sogar, siewollen sehen, wo in dem großen Land alleszusammentrifft, was die neue Ordnung wünschtund befiehlt: Gefolgschaft, Rechtschaffenheit,Naturidylle und bäuerliche Genügsamkeit.Willy Rogge will da nicht mitmachen. Erhasst die neuen Herren in Braun und machtauch keinen Hehl daraus. Einmal, Hitler ist geradean die Macht gekommen, hisst der Bauer amVolkstrauertag die Flagge der Republik.Schwarz-Rot-Gold – die Nazis schäumen. „EineUnverschämtheit leistete sich der 2. Vorsitzendedes Kriegervereins“, notiert das Lokalblatt. EinSA-Trupp zieht die Fahne ein und verbrennt sie.„Der Kriegerverein wird aus dem Verhalten diesesOberdemokraten die notwendigen Schlüsseziehen müssen“, fordert die Zeitung.Das Zitat findet sich in einem Buch <strong>wieder</strong>,das zur 800-Jahr-Feier Dötlingens herausgegebenwurde. Die wenigen Sätze sind Teil einerChronik und bleiben unkommentiert. Was spätermit Willy Rogge geschah – kein Wort. „Ich habedas schlicht nicht gewusst“, sagt der Bürgermeister,Heino Pauka heißt er, und man glaubt esihm. Pauka hat in dem Buch das Grußwortgeschrieben. Er würde den Passus über Roggeheute nicht noch einmal durchgehen lassen – „dakönnen <strong>Sie</strong> sicher sein“. Einen Grund, sich nähermit dem Fall und der Zeit damals zu befassen,sieht Pauka aber nicht.Dötlingen und die Nationalsozialisten: „Fürmich ist das Urgeschichte“, sagt der Bürgermeister.Und dass man die Toten doch ruhen lassensolle. Das Dorf habe damals vielleicht eineSonderstellung gehabt, und da dürfe auch nichtsverniedlicht und verheimlicht werden. „Aber wasuns heute wirklich interessiert, das ist das moderneDötlingen.“ Die Gemeinde sei als einzige inNiedersachsen schuldenfrei, die Parteien im Ratwürden prima zusammenhalten – und dieRechtsextremen hätten keine Chance. „Wenn <strong>Sie</strong>das jetzt alles aufschreiben – meine Sorge ist,dass Neonazis glauben könnten, bei uns alteTraditionen aufleben lassen zu können.“„Musterdorf“ – Marianne Mennen vomHeimatverein meint das natürlich nicht politisch,wenn sie den Ausdruck von damals neu in denMund nimmt. „Dötlingen ist einfach ein sehrschöner Ort“ – so meint sie das. Die Nazizeit, wassoll sie sagen? „Da war ich noch nicht hier.“ Undüberhaupt: „Der Heimatverein muss sich derneuen Zeit stellen, sonst kommen wir bei den jungenLeuten nicht an.“Idylle pur an der Dötlinger Kirche. Dermalerische Ort ist ein Anziehungspunkt fürTouristen. Während der Nazizeit warDötlingen „Reichsmusterdorf“.Für die Nazis und das ganze Dorfein Festtag: Der große Findling mit Hakenkreuzwird den Gierenberg hinaufgefahren.8283

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