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Sie marschieren wieder. . .

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„Dieser Neonazi ist nicht mein Sohn“Eine Mutter verliert ihr Kind an RechtsextremistenElke Bormann hat einen Sohn. Von demerzählt sie voller Liebe. Wie er als kleiner Jungeaus der Schule kommt, ihre Hand streichelt undfragt „Mama, wie war dein Tag?“ Einen Sohn,von dem in ihrer kleinen Wohnung Bilder hängen,auf denen er als Baby zu sehen ist. Bilder, die siestolz zeigt und fragt: „War er nicht ein süßerBengel?“Aber Elke Bormann kennt auch den Nameneines jungen Neonazis, der als gewaltbereit giltund der Verdens „Jungen Nationaldemokraten“stets zu Diensten ist. Den sieht sie manchmal imFernsehen oder in der Zeitung, weil er sich gerneauf dem Heisenhof des Hamburger NeonazisJürgen Rieger herumtreibt. <strong>Sie</strong> kennt seinenNamen, mehr nicht. Mit dem hat sie nichts zu tun.„Die Erinnerung kann mir keiner nehmen. Aberder da, der ist nicht mein Sohn.“<strong>Sie</strong> hat mit ihrem Kind gebrochen. Ein füralle Mal. Rund zweieinhalb Jahre ist es jetzt her,dass er ihr die Wohnung zertrümmert hat.Kartoffelsalat gegen die Wand geklatscht, Stühlekaputt gehauen, alles aus Hass und aus Zorn. Weilseine Mutter in seinem Zimmer die Poster von derWand nahm. Bilder, deren Anblick sie nicht mehrertragen konnte. Bilder, die unendlich gequälteMenschen zeigen. Gefoltert in Hitlers KZs. DieseBilder hatte ihr Sohn nicht als Mahnung widerdas Vergessen aufgehängt, sondern als Trophäen.Trophäen des Unmenschen Adolf Hitler, den ihrSohn glühend verehrt.Damals rief sie die Polizei. Die erteilte ihremrandalierenden Neonazi-Sohn wenige Wochenvor seinem 18. Geburtstag einen Platzverweis. Andiesem Tag hat seine Mutter ihn aufgegeben.Knallhart. Selbst wenn er morgen tot ist, wird sienicht traurig sein, sagt Elke Bormann. Und wenner morgen sagt, er will raus aus der Szene, willdem Neonazismus abschwören, wird sie ihmnicht helfen. „Denn er würde lügen, wenn er dassagt.“Lügen, wie er so oft gelogen hat. Wenn erseine Mutter mal <strong>wieder</strong> unter einem Vorwandanpumpte, um mit dem Geld Relikte des Hitler-Regimes zu kaufen. „Seine Heiligtümer.“ ElkeBormanns Stimme klingt bitter. „Diesen Dreckdarf man nicht dulden. Nicht mal für sein eigenesKind.“Es fing an, als Marlon* 14 oder 15 Jahre altwar. „Da hat er die falschen Leute kennengelernt“, meint seine Mutter. Und ihr peu à peuden „Nazi-Dreck“ in die Wohnung geschleppt.„Er hat das ganz raffiniert angestellt.“ Erst lagenkleine Plakate im Nachttisch, irgendwann hingensie an der Wand. Seine „Kameraden“ kamenimmer häufiger zu Besuch. Mit ihren kahlenKöpfen und Springerstiefeln, mit ihrenSeitenscheiteln und JN-Abzeichen. „Unglaublichfreundlich haben die getan“, sagt MarlonsNS-Diktator Adolf Hitler als Vorbild?Ein junger Demonstrant bei einem Neonazi-Aufmarsch im brandenburgischen Halbe.Mutter. Rausschmeißen konnte sie die Neonazi-Clique nicht, denn dann ging ihr Marlon ja mit.Ein paar Mal klingelte auch die Polizei beiihr, um die Wohnung zu durchsuchen. In MarlonsZimmer stellten die Beamten verbotene CDs undPlakate sicher – und Waffen: Messer, Schlagringe,Farbpistolen. Diese Jahre waren die Hölle,sagt Elke Bormann. Ihre schlaflosen Nächte hatdie alleinerziehende Mutter nie gezählt.Unendlich oft fragt sie sich aber, warum diebraune Saat in Marlon so gut aufgegangen ist.Eine Antwort findet sie nicht. Marlon hat dreiSchwestern und einen Bruder, alle fünf Kinderhat sie alleine erzogen, und „die vier anderenhaben mit Neonazismus gar nichts am Hut“. Zusehr bemuttert worden sei Marlon, hielten dieLeute vom Jugendamt ihr vor. <strong>Sie</strong> habe zu vielhinter ihm hergeräumt und geputzt.„Werden alle Kinder Neonazis, deren Mütteres gerne sauber haben?“ Elke Bormann istempört. Aber in die Empörung mischt sichRatlosigkeit. <strong>Sie</strong> kann ihn einfach nicht finden,den wahren Grund. „Ich musste mich doch kümmern.“Schließlich war ihr Marlon auch ein krankesKind, er litt unter epileptischen Anfällen undmusste auf die Sonderschule gehen.Ihr Sohn hat sie provoziert und verspottet.Jahrelang. „Wenn er morgens in die Küche kam,hat er, statt ,Guten Morgen‘ zu sagen, ,HeilHitler‘ gebrüllt.“ <strong>Sie</strong> schrie ihn an, er solle daslassen. Das nützte nichts. <strong>Sie</strong> hat es auch imGuten versucht. Nach Bergen-Belsen ist sie mitihm gefahren, um ihm die Augen über die NS-Verbrechen zu öffnen. Da gab es in einer Vitrineeinen kleinen zerschlissenen Stoffschuh, denhatte eine jüdische Mutter für ihr Kind genäht.Dieser Anblick hat sie sehr gerührt. Aber ihr Sohnlachte nur. Wann immer seine Mutter fortan traurigwar, fragte er sie voller Spott: „Na, denkst duan den ollen Schuh?“<strong>Sie</strong> hat auch ganz rational und auf dieGegenwart bezogen argumentiert. Statt gegenAusländer zu hetzen, soll Marlon doch in BerlinAktivisten um den „JungenNationaldemokraten“ Florian Cordes ausOyten (vorne) bei einer Demonstration.vor den Regierungsgebäuden demonstrierengehen. Niemand kann sich seine Nationalität oderseine Hautfarbe aussuchen, hat sie ihren Sohngelehrt, und auch nicht das Land, in dem er geborenwird. „Aber mir – mir hat Marlon ja gar nichtmehr zugehört.“ Nur noch seinen „Kameraden“vom „Stützpunkt Verden“ der radikalen NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“.Denen, die sie am Ende als „Drecksau“und „Verräterin“ beschimpft haben. „Was istdenn das für eine Mutter, die ihren Sohn rausschmeißt?“Dann kam der Telefonterror bei Tagund bei Nacht. <strong>Sie</strong> hat alle Drohungen undBeschimpfungen weggesteckt: „Die machen mirkeine Angst, die haben mir nur den Abschied vonmeinem Sohn erleichtert.“An den jungen Neonazi denkt Elke Bormannheute wie an einen Fremden. „Das ist etwas anderes,als wenn man am Grab seines Sohnes steht.Dieser Neonazi löst kein Gefühl in mir aus.“Keine Trauer, auch keinen Hass. „Allenfalls Wut,dass es immer noch Nazis wie ihn in diesem Landgibt.“Doch bis heute vergeht kein Tag, an dem sienicht an ihren Sohn denkt. An diesen süßenBengel. Die vielen schönen Erinnerungen kannihr keiner nehmen. Das sagt sie ganz nüchternund ohne Sentimentalität. Aber auch ohne einFünkchen Hoffnung. Denn diesen süßen Bengel,den gibt es nicht mehr. Christine Kröger* Name geändert.4849

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