Aufklären über Nazi-WahnsinnMuseumsdirektor fordert mehr Information zu regionalen NS-KultstättenGerhard Kaldewei,Direktor der StädtischenMuseen in Delmenhorst,erforscht seitJahren NS-Kulte und-Mythen. Im Gesprächmit Christine Krögerfordert er einen offensivenund kritischenUmgang mit den„Gedenkstätten“ derTäter und ihrer geistigenErben.Frage: Herr Dr. Kaldewei, die „Ahnenstätten“in Hilligenloh und Conneforde sindein heikles Thema. Dort liegen schließlichnicht nur Nazis und Rechtsextremisten begraben.Soll man die Trägervereine einfachgewähren lassen?Gerhard Kaldewei: Die Stätten sind eindeutigdem rechten bis rechtsextremen Spektrumzuzuordnen. Sicher ist der Umgang damitschwierig, weil es sich um Friedhöfe handelt.Aber am schlimmsten ist es, gar nichts zu tun.Wie soll man damit umgehen?Aufklären, aufklären und noch mal aufklären.Die Kommunen sollten auf die nationalistischen,rassistischen, antisemitischen und antichristlichenWurzeln der „Ahnenstätten“ hinweisen –statt so zu tun, als habe man es hier mit ganzgewöhnlichen Waldfriedhöfen oder gar besondersschön gelegenen und ansonsten unverdächtigenSehenswürdigkeiten zu tun.Aber macht man Neonazis und andereUltrarechte so nicht erst auf Stätten wie dieseaufmerksam?Das ist ein beliebtes, aber unzutreffendesArgument. Denn interessierte Rechte kennen dieOrte sowieso. Außerdem existieren diese Stättenja nun mal. Wir haben nur die Wahl, ob sie kommentiertoder unkommentiert dastehen.Warum halten <strong>Sie</strong> eine Kommentierungfür wichtig?Grundsätzlich sollte man Geschichte nie verdrängen,sondern aufarbeiten. Das gilt auch fürNS-Kultstätten. Die Gedenkstättenarbeit an ehemaligenKonzentrationslagern und ähnlichenOrten des Schreckens ist wichtig, weil sie eindringlichvor einer Wiederholung des Nazi-Wahnsinns warnt. Aber die Aufklärung über NS-Kultstätten ist ebenso wichtig, weil sie erklärt,wie dieser Wahnsinn möglich wurde. „Hitler hatdie Autobahnen gebaut“ greift viel zu kurz.Was können die NS-Kultstätten zeigen?Die „goldene Seite“ des Regimes, die es biszum Beginn des Zweiten Weltkrieges im Jahr1939 eben auch gab. Die Jahre der ideologischenMobilmachung, als Adolf Hitlers Nationalsozialistenvielen Deutschen dieses fatale Gefühl von„Wir sind <strong>wieder</strong> wer“ eingeimpft haben.Aber der Sachsenhain in Verden oder die„Stedingsehre“ in Bookholzberg sind nicht das„Reichsparteitagsgelände“ in Nürnberg oderdas „Führerhauptquartier“ auf dem Obersalzberg. . .. . . das stimmt. Die regionalen Kultstättensind vergleichsweise unbekannt. Umso wichtigerist es, vor Ort zu informieren.Warum häufen sich diese fragwürdigenSehenwürdigkeiten im Nordwesten?Viele von den Nazis verehrte „Ahnherren derdeutschen Geschichte“ haben in dieser Gegendgelebt. Im Oldenburger Land erzielte die NSDAPzudem ihre erste Mehrheit. Vielleicht hat auch dieländliche Struktur mit ihrer eher bodenständigenBevölkerung die Menschen hier anfälliger fürMythen und Kulte erscheinen lassen.Auf der Freilichtbühne „Stedingsehre“sahen in den 30er Jahren Tausende das Stück„De Stedinge“ des Oldenburger HeimatdichtersAugust Hinrichs.Die „Ahnenstätte“in Hilligenloh:Ihr Trägerverein stehtdem rechtsextremen„Bund fürGotterkenntnis“ nahe.8081
Ein Mord im MusterdorfDötlingen war für die Nationalsozialisten etwas ganz Besonderes – heute will der Ort nichts mehr davon wissenEs ist Mittag in Dötlingen, eine stille Stunde,keiner da. Das schmucke Dorf wirkt wie einFreilichtmuseum außerhalb der Öffnungszeiten.Die alte Kirche, dahinter ein Weiher, auf dem dieEnten schnattern. Ein paar Meter weiter derberühmte Tabkenhof, ein reetgedecktes Bauernhaus,das größte seiner Art in Niedersachsen.Hier, denkt der Besucher, ist die Welt noch inOrdnung.„Wir sind auch heute ein Musterdorf“, sagtdie Vorsitzende des Heimatvereins. So wiedamals, als die Nationalsozialisten am Ruderwaren und den idyllischen Flecken an der Huntezum einzigen Musterdorf im ganzen Reicherklärten. Diese Vergangenheit und ein späterMord, zwei Tage bevor der Krieg zu Ende ging –Dötlingen schweigt darüber oder weiß nichtsdavon. 800 Jahre Dorfgeschichte, fein aufgeschrieben,aber dieser Fleck bleibt blind.Die Alten im Dorf erinnern sich noch genau,wo Willy Rogge damals lag. Achtlos hingeworfenvon seinen Mördern und mit einem Schild unterdem zerschossenen Leib: „Wer sein Volk verrät,stirbt.“ Etwas außerhalb von Dötlingen wardas, dort, wo jetzt Mais wächst und nichts daranerinnert, was an dieser Stelle passiert ist.Eine Hinrichtung. Schüsse von hinten inKopf und Rücken. Willy Rogge musste spät dafürbüßen, ein Gegner der Nazis gewesen zu sein.Viele Jahre hatten sie ihn geduldet, und dann ister doch noch ans Messer geliefert worden.Nachher tat es ihnen natürlich leid. Aber Folgenhatte das nicht. Das Dorf sah offenbar nie dieNotwendigkeit, sich diesem Teil seinerGeschichte zu stellen, die viel Schatten hat, aberauch ein wenig Licht.1936, in Berlin gehen gerade die OlympischenSpiele über die Bühne, wird Dötlingen zumReichsmusterdorf ernannt. Kein Ort sonst inDeutschland trägt diesen Titel. Delegationenkommen zu Besuch, aus dem Ausland sogar, siewollen sehen, wo in dem großen Land alleszusammentrifft, was die neue Ordnung wünschtund befiehlt: Gefolgschaft, Rechtschaffenheit,Naturidylle und bäuerliche Genügsamkeit.Willy Rogge will da nicht mitmachen. Erhasst die neuen Herren in Braun und machtauch keinen Hehl daraus. Einmal, Hitler ist geradean die Macht gekommen, hisst der Bauer amVolkstrauertag die Flagge der Republik.Schwarz-Rot-Gold – die Nazis schäumen. „EineUnverschämtheit leistete sich der 2. Vorsitzendedes Kriegervereins“, notiert das Lokalblatt. EinSA-Trupp zieht die Fahne ein und verbrennt sie.„Der Kriegerverein wird aus dem Verhalten diesesOberdemokraten die notwendigen Schlüsseziehen müssen“, fordert die Zeitung.Das Zitat findet sich in einem Buch <strong>wieder</strong>,das zur 800-Jahr-Feier Dötlingens herausgegebenwurde. Die wenigen Sätze sind Teil einerChronik und bleiben unkommentiert. Was spätermit Willy Rogge geschah – kein Wort. „Ich habedas schlicht nicht gewusst“, sagt der Bürgermeister,Heino Pauka heißt er, und man glaubt esihm. Pauka hat in dem Buch das Grußwortgeschrieben. Er würde den Passus über Roggeheute nicht noch einmal durchgehen lassen – „dakönnen <strong>Sie</strong> sicher sein“. Einen Grund, sich nähermit dem Fall und der Zeit damals zu befassen,sieht Pauka aber nicht.Dötlingen und die Nationalsozialisten: „Fürmich ist das Urgeschichte“, sagt der Bürgermeister.Und dass man die Toten doch ruhen lassensolle. Das Dorf habe damals vielleicht eineSonderstellung gehabt, und da dürfe auch nichtsverniedlicht und verheimlicht werden. „Aber wasuns heute wirklich interessiert, das ist das moderneDötlingen.“ Die Gemeinde sei als einzige inNiedersachsen schuldenfrei, die Parteien im Ratwürden prima zusammenhalten – und dieRechtsextremen hätten keine Chance. „Wenn <strong>Sie</strong>das jetzt alles aufschreiben – meine Sorge ist,dass Neonazis glauben könnten, bei uns alteTraditionen aufleben lassen zu können.“„Musterdorf“ – Marianne Mennen vomHeimatverein meint das natürlich nicht politisch,wenn sie den Ausdruck von damals neu in denMund nimmt. „Dötlingen ist einfach ein sehrschöner Ort“ – so meint sie das. Die Nazizeit, wassoll sie sagen? „Da war ich noch nicht hier.“ Undüberhaupt: „Der Heimatverein muss sich derneuen Zeit stellen, sonst kommen wir bei den jungenLeuten nicht an.“Idylle pur an der Dötlinger Kirche. Dermalerische Ort ist ein Anziehungspunkt fürTouristen. Während der Nazizeit warDötlingen „Reichsmusterdorf“.Für die Nazis und das ganze Dorfein Festtag: Der große Findling mit Hakenkreuzwird den Gierenberg hinaufgefahren.8283