wurde verwüstet. Zerstört und geplündert wurdenferner Geschäfte in der Innenstadt.Auf dem Hof des Alten Gymnasiums triebenSA-Leute jene Juden zusammen, derer sie habhaftwerden konnten. Am Morgen wurden dann160 Männer zunächst ins Zuchthaus Oslebshausengebracht und hernach zur Einschüchterungins KZ Sachsenhausen abtransportiert.Schlimmer erging es in dieser Nacht dem67Jahre alten Obermonteur Leopold Sinasohn. Erwurde in seiner Wohnung in Platjenwerbeerschossen. Seine Leiche verscharrte man aufeinem Feld. In Burgdamm erschoss ein SA-Kommando den hoch angesehenen SanitätsratDr. Adolph Goldberg (78) und dessen FrauMartha (65) in ihrem Schlafzimmer. In derNeustadt wurden der Produktenhändler HeinrichRosenblum (46) und Selma Zwienicki (56), dieFrau eines Fahrradhändlers, umgebracht.Für die Juden, die ab Oktober 1941 den gelbenDavidsstern tragen mussten, gab es inDeutschland kein Entrinnen mehr. Im November1941 wurden 440 Bremer Juden nach Minskdeportiert. <strong>Sie</strong> sind im Juli 1942 ermordet worden.Zur selben Zeit wurden die älteren der nochin Bremen verbliebenen jüdischen Bürger nachTheresienstadt gebracht und später einige inAuschwitz getötet. Von den 1933 im LandOldenburg lebenden 841 Juden kamen etwa 400bis 500 in den Vernichtungslagern um, allein 104aus der Stadt Oldenburg, 51 aus Jever und mindestens50 aus Delmenhorst.Trotz aller Gewaltexzesse verhielt sich dieMehrheit großer Bevölkerungsteile loyal gegenüberder NS-Führung. Aber es gab durchausVorbehalte und Ablehnung. Für großeAufmerksamkeit sorgte zum Beispiel der sogenannte Kreuzkampf in Südoldenburg. Am 4.November 1936 hatte der für Schulen undKirchen zuständige oldenburgische MinisterJulius Pauly angeordnet, dass in öffentlichenGebäuden keine kirchlichen oder religiösenSymbole angebracht werden dürften und dieschon vorhandenen zu entfernen seien. Zumal imkatholischen Südoldenburg reagierte die Bevölkerungdarauf mit offenem Widerstand.Unterstützt wurde sie bei allen Aktionen vonihrem Oberhirten Clemens August von Galen,dem Bischof von Münster. Dieser nach demKrieg zum Kardinal ernannte Kleriker, der demnächstvom Papst selig gesprochen werden soll,wandte sich dann ab 1941 in Predigten auchgegen die im Geheimen betriebene Euthanasie,so dass sich der NS-Staat veranlasst sah, denMassenmord zu stoppen. Auch im „Kreuzkampf“obsiegten die Katholiken. Röver musste denErlass zähneknirschend zurücknehmen.Mit der Religion hatte der Gauleiter sowiesowenig am Hut. Das Christentum bezeichnete erals vom jüdischen Geist verseucht; es sei „aus derSch. . . geboren“, sagte er einmal zu dem BremerLandesbischof Heinz Weidemann. Ausgerechnetdieser braune Protestant aber bemühte sichdarum, alles Jüdische aus der Glaubenslehre zutilgen und die Kirche dem Führer dienstbar zumachen. Sein Versuch, Ende 1937 ein neues Gotteshausin Osterholz nach dem „NS-Märtyrer“Horst Wessels zu benennen, scheiterte jedoch anHitler persönlich. Der BischofsdiktatorWeidemann fügte sich widerwillig und ließ dieKirche als Dankeskirche einweihen: „ausDankbarkeit gegen Gott für die wunderbareErrettung unseres Volkes vom Abgrund desjüdisch-materialistischen Bolschewismus durchdie Tat des Führers“. So stand es auch auf einer inder Kirche angebrachten Tafel zu lesen. Noch vordem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ stolperteWeidemann über private Affären. ImOktober 1944 wurde er wegen Anstiftung zumMeineid und Nötigung zu zweieinhalb JahrenZuchthaus verurteilt.„Diesen Krieg verlieren wir mit Pauken undTrompeten“, soll Röver 1941/42 unter vier Augenzu einem guten Bekannten gesagt haben. Zu dieserBemerkung gehörte wenig Scharfsinn, dennder Ausgang war absehbar.Im Krieg hatte Bremen als Rüstungsschmiedebesonders unter den alliierten Luftangriffen zuleiden, die Mitte 1942 begannen. Der schwersteAngriff ereignete sich in der Nacht vom 18. aufden 19. August 1944. Damals starben rund 1000Einwohner, und fast 50 000 Menschen verlorenihre Wohnung. Walle, das Stephaniviertel und dieHäfen wurden nahezu vollständig zerstört.Schließlich standen in der Innenstadt nur noch dasRathaus, der Roland und der Dom unversehrt da –wie durch ein Wunder.Bis heute nicht aufgeklärt ist das Ende CarlRövers. Der Gauleiter erkrankte im Mai 1942. Daer an Tobsuchtsanfällen litt, schaffte man ihn insein Blockhaus bei Ahlhorn, das ihm 1936 vomReichsarbeitsdienst geschenkt worden war. Dortrandalierte er und verkündete den Anwesenden, erwolle ins Führerhauptquartier und im Anschlussnach England fliegen. Da sich Röver nur von seinemHeilpraktiker behandeln lassen wollte, begabsich Mitte Mai Hitlers Leibarzt Dr. Karl Brandtnach Ahlhorn. Brandt befahl dem Heilpraktikerdie Verabreichung von Beruhigungsspritzen, dieer selbst mitgebracht hatte. Röver erschien kurzdarauf in der Halle des Blockhauses und kritisiertein einer Rede die deutsche Politik. Schon ineiner undatierten Denkschrift, die vermutlich ausdem Jahr 1942 stammt, hatte Röver die Parteibürokratiegerügt und sich damit gegen MartinBormann gestellt, der Hitlers rechte Hand in derReichskanzlei war, aber auch gegen SS-ChefHeinrich Himmler.Am 15. Mai wurde Röver in die BerlinerCharité geflogen, in der er nach wenigen Stundenstarb. Das NS-Regime gewährte ihm ein pompösesStaatsbegräbnis. Hans-Günther ThieleAm 1. Mai 1933 hatten die Nazis am BremerDom einen „Altar der Arbeit“ errichtet.Im selben Jahr prangtenantisemitische Schmierereien an jüdischenGeschäften auch in Bremen.9293
Hetzrede sieben Jahre danachTreffen ehemaliger SS-Männer in Verden führte zum EklatWürmer im EssenDer Heisenhof gehörte im Krieg zur Schießpulverfabrik EibiaOktober 1952 in Verden. <strong>Sie</strong>ben Jahre nachKriegsende versammeln sich in der Allerstadtmehrere tausend Angehörige der ehemaligenWaffen-SS, willkommen geheißen vom Bürgermeister.Vier Tage später schreibt BundeskanzlerKonrad Adenauer einen Brief. Darin drückt ersein Bedauern über Äußerungen desFallschirmjäger-Generals Bernhard Ramckeaus, die europaweit für Schlagzeilen sorgen. InFrankreich und England befassen sich dieParlamente mit der Rede.Das erste große Nachkriegstreffen der„Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligenAngehörigen der Waffen-SS“ (HIAG),das vorgeblich dem Suchdienst des DeutschenAls im Oktober 1952 ehemalige SS-Soldatenvor dem Verdener Rathaus aufmarschierten,schauten viele Einwohner interessiert zu.Roten Kreuzes dienen sollte, war vom niedersächsischenInnenminister Richard Borowski(SPD) gebilligt worden. Über den Umfang derVersammlung gibt es unterschiedliche Angaben;manche Quellen berichten von 4000 bis 5000,andere gar von 7000 Teilnehmern aus Niedersachsen,Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein. Initiator war Herbert O. Gille, ein inHannover lebender SS-General a. D.Wie sich der HIAG-Aufmarsch am 25. und26. Oktober gestaltete, geht aus britischenDokumenten hervor, die der Verdener HistorikerJoachim Woock ausgewertet hat. Darin berichtetein Informant, dass die Stadt Verden das Treffenunterstütze, Massenquartiere zur Verfügung stelle,Straßen und Plätze schmückenwolle. Der britische Verbindungsoffizierin Verden meldet,dass sich eine „Gruppe einflussreicherBürger“ der Aufforderungzur Beflaggung widersetzt.Die Stadt selbst trägt dann zurDekoration bei (vier Wochenspäter wird der Bürgermeisternicht <strong>wieder</strong>gewählt werden).Zahlreiche Journalisten ausdem In- und Ausland beobachtendas Treffen, gegen das sich nurwenig Protest geregt hat.Vereinzelt tauchen Schriftzügeauf, hinter denen die KPD vermutetwird: „Wir wollen keineSS-Banditen“. Der Informant derBriten, ein Deutscher, schreibtvom ersten Tag der Zusammenkunft:„Um 20 Uhr versammeltensich cirka 7000 Menschenauf dem Rathausplatz und denanstoßenden Straßen. Auf einemgroßen Lastwagenanhängerspielte das Verdener TrompetenorchesterHorn Märsche, dievor allem von den Einheimischenmit Jubel aufgenommen wurden. DerBürgermeister Verdens sprach einige Begrüßungsworte.“Nach Kameradschaftsabenden in „brechendvollen Sälen“ versammeln sich die ehemaligenSS-Männer am nächsten Morgen im Stadion. DerInformant hat die Lautsprecherdurchsagennotiert: „Bitte nach Divisionen antreten: LAHlinks (nie wurde Leibstandarte Adolf Hitlergesagt) ...“Ex-General Gille erklärt, dass das Wort„Kriegsverbrecher“ nicht auf die Soldaten derWaffen-SS zutreffe. „Wir sind keine neofaschistischeVerschwörung“, die HIAG sei unpolitisch.Bernhard Ramcke hätte nur ein Grußwort derFallschirmjäger überbringen sollen, stattdessenhält er eine fast halbstündige Hetzrede. Zettel,die ihn stoppen sollen, beachtet er nicht. Dieschwarzen Listen der Gegner, auf denen dieTapferen gestanden hätten, würden vielleicht bald<strong>wieder</strong> Ehrenlisten sein, sagt der Ex-General.Und: Die wahren Kriegsverbrecher seien dieVäter des Versailler Vertrages.Zwar bemüht sich General a. D. Felix Steiner,Gründer und Chef der SS-Division Wiking,noch um Schadensbegrenzung, indem er einBekennt-nis zur Demokratie ablegt, doch derEklat ist bereits perfekt. In Paris befasst sich dieNationalversammlung mit Ramckes Rede, im britischenUnterhaus löst sie ebenfalls Besorgnisaus. Zuvor hatte Bundeskanzler Adenauer bereitsan den Hohen Kommissar der Briten in Deutschlandgeschrieben, um die Wogen zu glätten.Das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ weiß zuberichten, dass der Verband der ehemaligenFallschirmjäger Ramcke ein einjähriges Redeverbotauferlegt hat. Rund drei Wochen nach Verdenfindet ein weiteres HIAG-Treffen in Gelsenkirchenstatt. Dort versammeln sich am16. November 1952 etwa 2200 Mitglieder derehemaligen Waffen-SS. Anke LandwehrSoldaten bewachten die Zwangsarbeiter undrussischen Kriegsgefangenen, die in derSchießpulverfabrik Eibia gefährliche Arbeitverrichten mussten.Der Heisenhof, auf dem der HamburgerNeonazi Jürgen Rieger rassistische Fruchtbarkeitsforschungbetreiben möchte, hat schon einmalunrühmliche Zeiten erlebt. Während desZweiten Weltkrieges waren hier die Verwaltungder Schießpulverfabrik Eibia und ledige deutscheArbeiter untergebracht. Die eigentlicheProduktion, für die überwiegend Zwangsarbeitereingesetzt wurden, fand auf einem nahe gelegenenWaldgelände statt.Die Schießpulverfabrik „Eibia GmbH für chemischeProdukte“ war eine Tochtergesellschaftder Sprengstofffabrik „Wolff & Co. KGaAWalsrode“. 1936 gegründet, wurden drei Werkegebaut: in Bomlitz, Dörverden und Liebenau. DieGesamtbelegschaft bestand gegen Kriegsende ausetwa 15 000 Beschäftigten, davon waren etwa80 Prozent Zwangsarbeiter – Männer wie Frauen.Als kleinstes Werk nahm die Anlage inDörverden-Barme 1941 die Produktion auf. Auf385 Hektar Waldgelände standen 273 Gebäude,einige davon unterirdisch, mit einem Erdwallumgeben oder mit auf den Dächern angepflanztenBäumen getarnt. In der Fabrik wurden pro Jahrrund 2000 Tonnen Nitrocellulose-Pulver und, ab1943, 50 bis 300 Tonnen des arsenhaltigenKampfstoffes Adamsit hergestellt.In Barme arbeiteten zirka 1800 Menschen,darunter etwa 100 sowjetische Kriegsgefangene.<strong>Sie</strong> waren auf dem Firmengelände untergebracht -zuerst im „Todtlager“, später in Lagerhäusern.31 von ihnen überlebten die Strapazen nicht. <strong>Sie</strong>wurden in der Nähe ihrer Unterkunft verscharrtund erst nach dem Krieg umgebettet.Die rund 1000 Zwangsarbeiter aus 18Nationen lebten eng zusammengepfercht inSteinbaracken im Dörverdener „Steinlager“.Von den 59 Kindern aus fünf Nationen, die imEntbindungsraum der Sanitätsstation zur Weltkamen, starben 27.Auch bei Arbeitsunfällen in der Fabrik kamenMenschen ums Leben. Im Oktober 1942 flog einGebäude in die Luft, ein nebenstehendes Gebäudegeriet in Brand. Dabei wurden vierUkrainerinnen, eine Französin, ein Ukrainer undein Serbe getötet. Unter dem Datum vom 20. Mai1944 vermerkte die Behörde lapidar: „Explosionvon Zellulosestaub. Ein Toter, fünf Schwerverletzte.Kein Produktionsausfall.“ Insgesamtstarben in Dörverden 39 ausländische Zivilarbeiter.Besonders die osteuropäischen Zwangsarbeiterbekamen wenig zu essen, während die„Westarbeiter“ von ihren Familien und dem RotenKreuz aus den Heimatländern gelegentlich Paketemit Nahrung und Kleidung erhielten.Jahrzehnte später berichteten Zeitzeugen ausder Ukraine, wie es ihnen damals erging. AnnaButman: „Warmes Essen gab es nur einmal täglichnach der zwölfstündigen Arbeit. Pro Wocheerhielten wir 400 Gramm Brot, 40 GrammMargarine und 50 Gramm Zucker. . . Durch dieNitro-Dämpfe wurde ich häufig ohnmächtig.Dann wurde ich mit kaltem Wasser übergossen.Weil ich erst 14 Jahre alt war, wurde ich dann alsReinemachefrau ins Lager versetzt.“Annas damals 17-jährige Schwester TaisijaVysockjaja: „Eines Tages gab es eine Explosionin der Fabrik, bei der vier Mädchen aus demGebiet von Mykolajiv ums Leben kamen. Um siezu bestatten, gab uns die Verwaltung einen großenHolzkasten, in den das gelegt wurde, was von denMenschen übrig geblieben war – Köpfe, Teile vonArmen, Stücke des Rumpfs. <strong>Sie</strong> wurden auf demFriedhof von Dörverden beerdigt. Es gab einenTrauerzug. Hinter uns gingen Schüler. <strong>Sie</strong> trugensaubere, tabakfarbene Shorts und Hemden. <strong>Sie</strong>spuckten uns an und schrien: ,RussischeSchweine! Russische Scheiße!‘ “Klavdija Puzyrevskaja wurde mit 19 Jahrendeportiert: „Oft waren Würmer im Essen . . . Unshalfen oft die Ausländer im Lager, die uns Essenzuwarfen. Auch Deutsche warfen Lebensmittelüber den Zaun. Ein deutscher Meister wollte mitmir ein Verhältnis anfangen, ich ging aber nichtdarauf ein. Er schlug mich und drohte mir, mich inein Konzentrationslager zu schicken.“Die meisten Eibia-Gebäude sind durch diebritischen Militärbehörden gesprengt worden. Aufeinem Teil des Produktionsgeländes wurde 1958die inzwischen aufgelöste „Niedersachsen“-Kaserne errichtet. Das Gelände ist heute imBesitz der IVG Management GmbH.Joachim Woock9495