Freihandel und Widerstand in Zentralamerika - Ökumenisches Büro ...

viele Menschen auf die Straße wie seit Kriegsendenicht mehr.Was bewirkt diese Dynamik in El Salvador?Was macht Protest und Widerstand, sozialeKämpfe für einen Teil der Bevölkerung wieder zueiner Handlungsoption? Warum gelingt es besserals in den Nachbarländern, das abstrakte ThemaFreihandel mit den zu erwartenden Konsequenzenauf Leben und ihren Alltag der Bevölkerungsmehrheitzu vermitteln und Menschendagegen zu mobilisieren?Sicherlich kann es auf diese Fragen keineeinfache Antwort geben. Eine Vielzahl vonEntwicklungen spielt eine Rolle, von denen hiereinige beleuchtet werden.1992 wurden in El Salvador Friedensverträgeabgeschlossen, die den zwölfjährigen Kriegbeendeten. Für die Guerilla, für ihre zivilenOrganisationen, für Gewerkschaften und für dieBevölkerung änderten sich in den folgendenzehn Jahren Alltag und politisches Leben einschneidend.Die FMLN wurde zur Partei, widmetesich ihrer parlamentarischen Arbeit und entferntesich dabei zunehmend von ihrer Basisund deren sozialer Realität. Die der FMLN nahestehenden Organisationen wurden in der Mehrheitzu NGOs, die ihr Verhältnis zur neuen Parteiklären mussten und darauf angewiesen waren,sich ein neues Profil gegenüber internationalenGeldgeberInnen zu verschaffen. Viele orientiertensich entweder auf vorwiegend humanitäreProjektarbeit oder auf professionellesExpertInnentum mit dem Versuch, durch diesesExpertInnenwissen auf nationaler wie internationalerEbene Einfluss auf politische Entscheidungenausüben zu können. Viele Gewerkschaftenwurden im Zuge der antigewerkschaftlichenRegierungspolitik zerschlagen oder sind bedeutungslosgeworden. Und die Bevölkerung warmit der Organisation des eigenen (Über-)Lebenszu Friedenszeiten beschäftigt. Diejenigen, diezur FMLN oder ihrer sozialen Basis gehörten,fühlten sich von der neuen Partei allein gelassenund verraten, beziehungsweise waren frustriert.An Veränderung durch soziale Organisierungund Protest glaubten nur noch wenige.Dies alles erleichterte den ultrarechtenARENA-Regierungen ihren neoliberalen Durchmarsch.Strukturanpassungmaßnahmen wiePrivatisierung von Banken, Häfen, Rentenversicherung,Telekommunikation und Strom, Handelsliberalisierungund die fast vollständigeZerschlagung der Landreform konnten, ganz imInteresse der internationalen Finanzorganisationen,zwar nicht ohne Kritik und Protest, aberdoch ohne einflussreichen Widerstand durchgesetztwerden. Profitiert hat eine kleine Oberschichtund eine im Entstehen begriffeneMittelschicht. Die Bevölkerungsmehrheit nicht –im Gegenteil.Nun zurück zu der Frage, was sich in denletzten Jahren und Monaten verändert hat. Dieökonomische und soziale Situation der Menschenverschlechtert sich in der gesamtenRegion. In El Salvador hat sich dies durchKatastrophen wie Erdbeben, Dürren, Epidemienund durch die Kaffeepreiskrise noch weiterverschärft. Die Regierungspropaganda, dassPrivatisierungen eine bessere und billigereVersorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungenzum Ziel hätte, wurde von den Entwicklungenwiderlegt. Tatsächlich stiegen die StromundTelefonpreise immens und mehr und mehrMenschen können diese Dienstleistungenüberhaupt nicht mehr in Anspruch nehmen.Viele NGOs und Initiativen haben zudem festgestellt,dass Expertise und der Versuch der Einflussnahmeauf Regierungsentscheidungen aufdem „Verhandlungsweg“ nicht zu den gewünschtenErgebnissen führte. So lange jedenfallsnicht, wie diese Lobbyarbeit nicht begleitetist von sozialem Druck von unten. Ausgehendvon diesen Erfahrungen setzen viele Organisationenwieder stärker als in den 90er Jahren aufBildungs-, Aufklärungs-, Organisations- undMobilisierungsarbeit an der Basis. Und auch dieFMLN bezieht sich wieder stärker auf sozialeKämpfe und geht aus zahlreichen Abspaltungenin den Jahren nach dem Friedensschluss gestärkthervor.Der Höhepunkt der sozialen Kämpfe in ElSalvador war bisher der neunmonatige Streik imGesundheitswesen, und hier lassen sich die ebenskizzierten Veränderungen in den verschiedenenSektoren, bei FMLN, sozialen Organisationen,NGOs und in der Bevölkerung erkennen. Einrelevanter Faktor dafür, dass die Streikbewegung,aus der bald eine breite Bewegung gegenPrivatisierung geworden war, ins Rollen kam, istdie große, erfahrene und aktive GewerkschaftSTISSS. Wir fassen deswegen hier die Ereignisseund Hintergründe der Anti-Privatisierungs-Bewegung zusammen und fügen dabei Passagenaus einem Redebeitrag von Ricardo Monge,Generalsekretär von STISSS ein.Freihandel und Widerstand in Zentralamerika | 43