Denn das kollektive Gegen-Etwas-Se<strong>in</strong> bedeutetganz offensichtlich nicht, dass es ke<strong>in</strong>e heftigenInteressensgegensätze <strong>und</strong> Kämpfe zwischene<strong>in</strong>zelnen Gruppen <strong>und</strong> Strömungen gäbe. Esgibt Tendenzen zur Besitzstandswahrung, zumFührungsanspruch, zum Instrumentalisieren derBewegung für (partei-)politische Zwecke usw.Auch nationalistische Haltungen <strong>und</strong> e<strong>in</strong> gewisserStandort-Chauv<strong>in</strong>ismus s<strong>in</strong>d leider nichtselten. Die globalisierungskritische Bewegungmit all ihren Facetten als „das heilige Gute“ zuTransparent für e<strong>in</strong>e Anti-Cafta-Demo: „Wir Frauen wollen menschenwürdigeArbeitsplätze“sehen, hieße, sich e<strong>in</strong>er Illusion h<strong>in</strong>zugeben.Auch <strong>in</strong>nerhalb der eigenen Organisationsstrukturs<strong>in</strong>d die e<strong>in</strong>zelnen Gruppen, die die„soziale Bewegung“ bilden, ke<strong>in</strong>esfalls e<strong>in</strong>herrschaftsfreier Raum. Machtstrategien setzensich hier ebenso durch wie <strong>in</strong> der offiziellenParteipolitik, ganz abgesehen von sexistischen,bildungsbed<strong>in</strong>gten <strong>und</strong> rassistischen Ausgrenzungen.Wenngleich sich die meisten sicherganz aufrichtig um basisdemokratische Strukturenbemühen, s<strong>in</strong>d es – mit Ausnahme derOrganisationen der Frauenbewegung – häufigeher die Männer mit höherer Bildung, welchedie Politik der Gruppen bestimmen <strong>und</strong> repräsentieren.Dies gilt für die Bewegungen desTrikonts genauso wie für die der Metropolen.Strategien des <strong>Widerstand</strong>s:Lobbypolitik am R<strong>und</strong>en Tisch oder <strong>Widerstand</strong>auf der Strasse?!In <strong>Zentralamerika</strong> stößt man <strong>in</strong> der globalisierungskritischenBewegung auf e<strong>in</strong>en sich durchziehendenStreitpunkt. E<strong>in</strong> Teil der Organisationenvertritt den Standpunkt, dass die Aufgabevon NGOs <strong>und</strong> Sozialer Bewegung der so genannteRechazo Total sei, d.h. die totale Ablehnungder Herrschaftsprojekte <strong>und</strong> die Organisierungvon <strong>Widerstand</strong>. Andere s<strong>in</strong>d derAuffassung, dass es vor allem darum geht,E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> Bereichen der offiziellen Politik zuerlangen <strong>und</strong> mit e<strong>in</strong>er gut durchdachtenLobbystrategie am R<strong>und</strong>en Tisch zum<strong>in</strong>dest dasSchlimmste abzuwenden.Im Foro Mesoamericano, das als Vernetzungsstrukturgegen den Plan Puebla Panamáentstand, hat sich nachheftigen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<strong>in</strong>zwischen dieFraktion des RechazoTotal durchgesetzt.Dennoch s<strong>in</strong>d viele NGOsnach wie vor bereit, amR<strong>und</strong>en Tisch Lobbypolitikbei den Regierungenzu machen. Nichtunbed<strong>in</strong>gt weil sie siche<strong>in</strong>en Vorteil davonversprechen, sondernweil es ihnen ganz existentiellan den Kragengeht. E<strong>in</strong>ige sehen auchschlichtweg ke<strong>in</strong>e andereChance, E<strong>in</strong>fluss zunehmen <strong>und</strong> die Ratifizierungvon Abkommen oder die Durchführungvon Megaprojekten mit ihren fatalen Auswirkungenzu verh<strong>in</strong>dern. Die Umwelt-NGO CentroHumboldt aus Nicaragua beispielsweise plädiertfür e<strong>in</strong>e „<strong>in</strong>formierte Ablehnung“: Um an Informationenzu gelangen, müsse man sich <strong>in</strong> dieStrukturen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>begeben <strong>und</strong> wissen, über wasdiskutiert wird. Dieses „Expertentum“ ist füre<strong>in</strong>e NGO, die auf ihre Reputation <strong>und</strong> ihr Renommeegenauso stolz wie angewiesen ist, <strong>in</strong>gewisser Weise auch verführerisch. NGOs ausEl Salvador, die sich der Rechazo Total-Fraktionzugehörig fühlen, zweifeln jedoch daran, dassdie „R<strong>und</strong>e Tisch-Fraktion“ tatsächlich e<strong>in</strong>enbesseren Zugang zu Informationen haben alsandere.Selbstverständlich spielt bei dieser Fragee<strong>in</strong>e große Rolle, welche Nähe NGOs zu dengerade amtierenden Regierungen haben. DieUnternehmerverbände z.B. s<strong>in</strong>d praktisch beiallen Verhandlungen anwesend. E<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>flusshaben sie dann, wenn ihre Interessen <strong>und</strong>Forderungen mit dem Gr<strong>und</strong>konzept der Verhandlungenübere<strong>in</strong>stimmen. Dies gilt <strong>in</strong> derRegel eher für Banken <strong>und</strong> Versicherungen als<strong>Freihandel</strong> <strong>und</strong> <strong>Widerstand</strong> <strong>in</strong> <strong>Zentralamerika</strong> | 53
2Siehe Artikel „Protest<strong>und</strong> <strong>Widerstand</strong> <strong>in</strong>El Salvador auf Erfolgskurs?“<strong>in</strong> diesem Heft,Seite 42für Kle<strong>in</strong>bauernverbände.Andere NGOs, die sich mit sozialen <strong>und</strong>Umweltthemen befassen, sitzen eher am R<strong>und</strong>enTisch, wenn sie e<strong>in</strong>en guten Draht zur Regierungsdelegationhaben. In Nicaragua habenrecht viele Organisationen zunächst auf e<strong>in</strong>egute Kooperation mit der Delegation der CAFTA-Verhandlungen gesetzt. In El Salvador mit se<strong>in</strong>ererzkonservativen Regierung h<strong>in</strong>gegen war auchdie „R<strong>und</strong>e Tisch-Fraktion“ unter den NGOs sehrmarg<strong>in</strong>alisiert. Zudem lässt sich aber <strong>in</strong>El Salvador <strong>in</strong> den letzten Jahren auch e<strong>in</strong>Rückgang der Integrationsbereitschaft vielerNGOs ausmachen: Die Hoffnung, wirklich etwasgegen die neoliberalen Programme durchsetzenzu können, hat sich dort bereits weitgehenderschöpft.Von der Rechazo Total-Fraktion wird denanderen NGOs vorgeworfen, durch ihre Teilnahmean R<strong>und</strong>en Tischen die <strong>Freihandel</strong>sverhandlungengr<strong>und</strong>sätzlich zu legitimieren. Der Geistder <strong>Freihandel</strong>sabkommen, so ihre Argumentation,ist auf brutalste Weise neoliberal <strong>und</strong> ansich antidemokratisch. Es sei albern, dies durchUmwelt- oder Sozialstandards kaschieren zuwollen, f<strong>in</strong>det beispielsweise die salvadorianischeUmwelt-NGO UNES (Federación UnidadEcológica Salvadoreña). Abgesehen davon stündendie wirklich entscheidenden Fragen(Investitionsschutz, Geistige Eigentumsrechte,ArbeiterInnenrechte u.s.w.) überhaupt nicht zurDebatte; verhandelt würde im Gr<strong>und</strong>e nurdarüber, welches Produkt <strong>in</strong> welchen Warenkorbkommen soll, während alle anderen entscheidendenFragen von vornhere<strong>in</strong> abgekartet s<strong>in</strong>d.Viele Organisationen der „Rechazo Total-Fraktion“bezeichnen die R<strong>und</strong>en Tische auch alsGespräche im „Nebenzimmer“ (Cuarto al Lado),e<strong>in</strong>ige reden sogar von der „Dunkelkammer“(Cuarto Oscuro). H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> ist, dass die „Zivilgesellschaft“an den eigentlichen Verhandlungengar nicht teilnehmen darf, sondern allenfallszwischendurch <strong>in</strong>formiert <strong>und</strong> konsultiertwird. Die politischen Spielräume seien starke<strong>in</strong>geengt, sofern überhaupt vorhanden.E<strong>in</strong> weiterer Vorwurf der Rechazo-Fraktion:Wer sich an e<strong>in</strong>en R<strong>und</strong>en Tisch setzt, akzeptieredamit bereits die Spielregeln der Macht <strong>und</strong>lasse sich auf e<strong>in</strong>e bestimmte Form der Kommunikation<strong>und</strong> des Aushandelns von Entscheidungene<strong>in</strong>, die stets von Machtverhältnissengeprägt, untransparent <strong>und</strong> <strong>und</strong>emokratischs<strong>in</strong>d.Tatsächlich zeigt uns die Erfahrung, dassletzten Endes alle kritischen zivilgesellschaftlichenSektoren so weit aus den wirklichenEntscheidungsräumen ausgegrenzt werden, dassman <strong>in</strong> Frage stellen muss, ob es die Mühe wertist, se<strong>in</strong>e Zeit <strong>in</strong> Nebenräumen zu verbr<strong>in</strong>gen.Wirksamer sche<strong>in</strong>en uns die <strong>Widerstand</strong>sstrategien,die – ebenfalls aus der existentiellenBedrohung heraus – e<strong>in</strong> klares „Ne<strong>in</strong>!“ formulieren<strong>und</strong> es parallel dazu schaffen, auch anderegesellschaftliche Gruppen von der Berechtigungdieses „Ne<strong>in</strong>!“ zu überzeugen. Die Frage derWirksamkeit von Protest <strong>und</strong> <strong>Widerstand</strong> istunserer Me<strong>in</strong>ung nach nicht damit zu beantworten,ob e<strong>in</strong> Protest von „Erfolg“ gekrönt ist <strong>in</strong>dem S<strong>in</strong>ne, dass beispielsweise e<strong>in</strong>e Regierunge<strong>in</strong> geplantes Vorhaben aufgibt. Viel wichtigerist unter Umständen, dass <strong>in</strong> den <strong>Widerstand</strong>saktionenselbst e<strong>in</strong>e soziale Dynamik <strong>in</strong> Ganggesetzt wird, die weit über die (regierungs-)politischen Entscheidungen h<strong>in</strong>ausgeht. Dennder praktizierte <strong>Widerstand</strong> wirkt nicht nur aufdie Entscheidungsträger <strong>in</strong> Politik <strong>und</strong> Wirtschaft.Er wirkt zugleich zurück <strong>in</strong> die Bewegungen<strong>und</strong> auf die Menschen selbst, auf dieWahrnehmung ihrer eigenen Kraft, auf ihre<strong>in</strong>dividuelle <strong>und</strong> kollektive Politisierung, auf dassoziale Netz, auf die Solidarität mit denen, die<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ähnlichen Lage s<strong>in</strong>d.Wenn e<strong>in</strong>e andere Welt möglich wird...Ricardo Monge (STISSS/El Salvador) 2 betont,dass der Streik im Ges<strong>und</strong>heitswesen für dieBewegung e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive <strong>und</strong> ganz wichtigeErfahrung war. Trotz der enormen Repression<strong>und</strong> der psychischen <strong>und</strong> ökonomischen Belastung– alle<strong>in</strong> erziehende Frauen haben sich amStreik beteiligt, ohne zu wissen, wie sie ihreFamilie durchbr<strong>in</strong>gen sollen –, g<strong>in</strong>gen die Leutegestärkt <strong>und</strong> mit gewachsenem Selbstvertrauendaraus hervor. Die Erfahrung, Teil dieses Kampfesgewesen zu se<strong>in</strong>, hat ihren Kampfgeistgestärkt.Dass dieser Protest schließlich so erfolgreichwar, h<strong>in</strong>g nach E<strong>in</strong>schätzung von RicardoMonge vor allem damit zusammen, dass diesalvadorianische Bevölkerung durch Privatisierungender Vergangenheit schon e<strong>in</strong>e sehrgenaue Vorstellung hatte von dem, was auf siezukommen würde. Ähnlich wie <strong>in</strong> Nicaraguabeim Protest gegen die Privatisierung des Wasserswurde auch hier der <strong>Widerstand</strong> erst laut,als es an e<strong>in</strong>e lebenswichtige Gr<strong>und</strong>versorgungg<strong>in</strong>g <strong>und</strong> nachdem Telekommunikation, Elektrizität<strong>und</strong> Bildungssektor bereits privatisiertworden waren.54 | <strong>Freihandel</strong> <strong>und</strong> <strong>Widerstand</strong> <strong>in</strong> <strong>Zentralamerika</strong>