„Das Wasser ist e<strong>in</strong> Erbe,das geschützt werden muss“Wasserwirtschaft <strong>und</strong> <strong>Widerstand</strong><strong>in</strong> NicaraguaAm Morgen des 19. August 2003 treffen wir amLago Apanás, e<strong>in</strong>em großen Stausee <strong>in</strong> der Nähevon J<strong>in</strong>otega im Norden Nicaraguas, Vertreterder <strong>in</strong>dígenen Geme<strong>in</strong>de. Es ist kühl <strong>und</strong> w<strong>in</strong>dig,die Stimmung ist voll gespannter Erwartung. DieRepräsentanten der <strong>in</strong>digenen Geme<strong>in</strong>de erhoffensich von uns Unterstützung <strong>in</strong> ihrem Kampfgegen die Privatisierung des Wasserkraftwerks<strong>und</strong> des Wassers des Lago Apanas. Schon seitüber e<strong>in</strong>em Jahr versuchen sie auf verschiedenenEbenen, die Privatisierung aufzuhalten. 1Die Geme<strong>in</strong>de besitzt e<strong>in</strong>en Landtitel, dender spanische König 1812 zu Gunsten derIndígenas ausgestellt hatte. Doch selbst diesesauf dem Unrecht der Conquista beruhende<strong>in</strong>digene Geme<strong>in</strong>de am Apanás„Recht“ wurde bisher immer mit Füßen getreten;so ließ z.B. Somoza 2 Anfang der sechzigerJahre des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts die Indígenas vertreiben,um den See anzulegen. Die Menschenwurden ohne Entschädigung <strong>in</strong> Dörfer umgesiedelt,die zum Teil bis heute weder Wasser nochStromanschluss haben.Heute s<strong>in</strong>d die meisten BewohnerInnen alsFischerInnen, Kle<strong>in</strong>produzentInnen oder LandarbeiterInnenvom Zugang <strong>und</strong> der Nutzung desSees abhängig. Sie mobilisieren öffentlich fürihren Rechtsstreit, um das Nutzungsrecht fürdie AnwohnerInnen <strong>und</strong> ProduzentInnen zusichern. Wenn der Weg über die Justiz aberscheitern sollte, wollen sie zu ernsten Maßnahmengreifen, sagt uns e<strong>in</strong> Vertreter derIndígenas. „Wir werden nicht zulassen, dass derSee <strong>in</strong> die Hände der ausländischen Unternehmenfällt.“ Durch e<strong>in</strong>e Mobilisierung von 200Familien haben sie bereits verh<strong>in</strong>dert, dass derSee vermessen <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Zaun errichtet wurde.Die Kraft des WassersDas Wasser des Sees speist zwei Elektrizitätswerkedes Stromversorgers Hidrogesa. Diese kurzzuvor mit Entwicklungshilfegeldern saniertenKraftwerke wurden 2002 zu e<strong>in</strong>em Spottpreis(41 Mio. US$ bei derzeit über 6 Mio. US$ jährlichenE<strong>in</strong>nahmen) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>und</strong>urchsichtigenVerfahren an denUS-Konzern Coastel Power verkauft.Die verkaufte Hidrogesaverfügt aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>es M<strong>in</strong>isterdekretsvon 2001 über das exklusiveNutzungsrecht aller Gewässer<strong>und</strong> Zuflüsse des Apanàs-See. Dasheißt, das nicht nur die Kraftwerke,sondern eben auch das Wasserprivatisiert werden sollten 3 .Die nicaraguanische Verfassungvon 1987 schließt e<strong>in</strong>e Veräußerungdes Wassers aber ausdrücklichaus. Aus diesem Gr<strong>und</strong>konnte die Privatisierung durche<strong>in</strong>e Klage der VerbraucherschutzorganisationRed de Consumidores rückgängig gemachtwerden.Nach dieser Entscheidung des OberstenGerichtshofs wurde von der Regierung e<strong>in</strong>eGesetzes<strong>in</strong>itiative für e<strong>in</strong> neues Wassergesetze<strong>in</strong>geleitet. Mit diesem Gesetz (Ley del Agua)soll die rechtliche Gr<strong>und</strong>lage für die Privatisierungvon Wasserrechten geschaffen werden.Nach unserem Zusammentreffen mit denVertretern der <strong>in</strong>dígenen Geme<strong>in</strong>de haben wirdie Möglichkeit, uns mit Vertretern der Arbeiter<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der Kraftwerke, der Planta Centroamerica,zu treffen. In der gigantischen1Movida 4/02 <strong>und</strong> 2/03des InformationsbüroNicaragua2Ehemaliger DiktatorNicaraguas3Movida 4/02 <strong>und</strong> 2/03des InformationsbüroNicaragua<strong>Freihandel</strong> <strong>und</strong> <strong>Widerstand</strong> <strong>in</strong> <strong>Zentralamerika</strong> | 47
Unser Wasser wirdnicht verkauft. Ne<strong>in</strong>zum ALCA!Turb<strong>in</strong>enhalle, zwischen Masch<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Apparaturen<strong>und</strong> 30 Meter unter der Erde treffen wiruns mit Gewerkschaftern der Planta. In derGewerkschaft S<strong>in</strong>dicato Tránsito Altamirano s<strong>in</strong>d34 der <strong>in</strong>sgesamt 42 Angestellten der Plantaorganisiert. Auf unsere Frage, warum sie sichgegen Privatisierungen wehren, erwidern sie:„Weil Privatisierung zu höherer Arbeitslosigkeit<strong>und</strong> zu Armut führt. Die Regierung behauptetzwar, dass Privatisierung Arbeitsplätze schaffenwürde: Das stimmt aber nur, wenn es sich umwirkliche Investitionen handelt; h<strong>in</strong>gegen nicht,wenn bestehende (staatliche) Unternehmenaufgekauft werden.“ Dementsprechend s<strong>in</strong>d sieauch nicht gegen Investitionen aus dem Auslandoder gegen e<strong>in</strong>e privatwirtschaftlicheEnergieversorgung: „Wenn e<strong>in</strong>e neue Planta mitausländischem Kapital entstünde, hätten wirnichts dagegen.“ Im Bezug auf e<strong>in</strong> neuesWassergesetz fordern die Gewerkschafter aber,dass das Wasser <strong>in</strong> den Händen des Staatesbleibt.<strong>Widerstand</strong> zwecklos?Die Privatisierung der Hidrogesa ist Teil derBed<strong>in</strong>gungen des IWF für e<strong>in</strong>en Schuldenerlassim Rahmen der HIPC 2 Initiative, <strong>in</strong> derbesonders hoch verschuldeten Ländern e<strong>in</strong> Teilihrer Schulden unter bestimmten Bed<strong>in</strong>gungenerlassen werden kann. Die Maßnahmen sollenunter Beteiligung der „Zivilgesellschaft“ umgesetztwerden. Dabei geht es aber weniger ume<strong>in</strong>e tatsächliche Partizipation, sondern eher ume<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung von Teilen der Zivilgesellschaft,um Protestpotenziale schon im Vorfeld zu entschärfen<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e breitere Akzeptanz bei derBevölkerung zu schaffen. So gab es für denEntwurf des neuen Wassergesetzes, mit dem diePrivatisierungen ermöglicht werden sollten, fünfsogenannte Consultas, <strong>in</strong> denen das Gesetzvorgestellt <strong>und</strong> diskutiert werden sollte. Bereitsdas ausschließende <strong>und</strong> kurzfristige System derE<strong>in</strong>ladungen sorgte für e<strong>in</strong>e Selektion derTeilnehmerInnen.Zu der vierten Consulta <strong>in</strong> Matagalpa wardann auch die nicaraguanische Umwelt-NGO ausJ<strong>in</strong>otega La Cuculmeca e<strong>in</strong>geladen, die sichschon zuvor gegen e<strong>in</strong>e Privatisierung desWassers e<strong>in</strong>gesetzt hatte. Nicht e<strong>in</strong>geladenh<strong>in</strong>gegen waren Bürgermeistereien aus demUmland, Unternehmer- <strong>und</strong> Kooperativenorganisationen<strong>und</strong> vor allem die VertreterInnender Indígenas <strong>und</strong> Fischer vom Lago Apanàs.La Cuculmeca konnte kurzfristig e<strong>in</strong>e „Gegenconsulta“zum Wassergesetz durchführen. Sofanden sich dann etwa fünfzig VertreterInnenverschiedener Organisationen <strong>und</strong> Journalistenim Versammlungssaal von La Cuculmeca e<strong>in</strong>.Zwei Tage vor der offiziellen (aber nicht-öffentlichen)Consulta der Regierung wurden dieverschiedenen Aspekte des Gesetzentwurfs sehrambitioniert diskutiert. Neben der Empörungverschiedener Bürgermeistereien, die zuvor vonder E<strong>in</strong>führung dieses Gesetzes noch gar nichtsgehört hatten, stand vor allem die Angst vore<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schränkung des Wasserzugangs allerProduzentInnen <strong>und</strong> KonsumentInnen im Vordergr<strong>und</strong>.E<strong>in</strong>e Privatisierung der öffentlichenVersorgung wurde von den TeilnehmerInnenjedoch nicht gr<strong>und</strong>sätzlich abgelehnt.E<strong>in</strong>ige ProduzentInnen sprachen sichausdrücklich für e<strong>in</strong> Wassergesetz aus, da auch<strong>in</strong> dieser Region bei vielen Ause<strong>in</strong>andersetzungenum Wasser e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige gesetzlicheRegelung fehlt. Aus der kritischen Diskussionergaben sich aber die Forderungen nach e<strong>in</strong>ergesetzlichen Garantie für die Versorgung allerKonsumentInnen mit sauberem Tr<strong>in</strong>kwasser,nach e<strong>in</strong>er echten Beteiligung bei der Aufstellunge<strong>in</strong>es Wassergesetzes <strong>und</strong> nach e<strong>in</strong>er Vertagungder Entscheidung.Bei der offiziellen Regierungsanhörung <strong>in</strong>Matagalpa kam es dann auch zum ersten Mal zukoord<strong>in</strong>iert formuliertem Widerspruch gegen dasgeplante Gesetz. Die TeilnehmerInnen der„Gegenconsulta“ setzten parallel dazu ihreE<strong>in</strong>flussmöglichkeiten <strong>in</strong> Managua e<strong>in</strong>, um ihrenProtest <strong>in</strong> die Nationalversammlung e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen.Bei der letzten regionalen Consulta <strong>in</strong>Managua formulierten vor allem die dort ansässigenlandesweit agierenden NGOs massiveE<strong>in</strong>wände. Aber auch e<strong>in</strong>ige Abgeordnete <strong>und</strong>e<strong>in</strong>flussreiche Personen sahen ihre Interessen <strong>in</strong>dem Gesetzentwurf nicht ausreichend vertreten.So fürchteten sie möglicherweise, bei großflächigenWasserprivatisierungen wie am LagoApanas, um den kostenlosen Zugang zu Wasserfür ihre F<strong>in</strong>cas. Die VertreterInnen der Nationalversammlungbeschlossen daraufh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Verschiebungder Gesetzes<strong>in</strong>itiative.Auch wenn diese Entscheidung durch den<strong>Widerstand</strong> gesellschaftlicher Gruppen mit teilswidersprüchlichen Interessen erreicht wurde, sokonnte doch die Privatisierung der Lebensgr<strong>und</strong>lageWasser erst e<strong>in</strong>mal aufgehalten werden.Die dauerhafte Verh<strong>in</strong>derung der Privatisierungh<strong>in</strong>gegen wird sicher nur durch breiteBündnisse gesellschaftlicher Kräfte möglichse<strong>in</strong>.48 | <strong>Freihandel</strong> <strong>und</strong> <strong>Widerstand</strong> <strong>in</strong> <strong>Zentralamerika</strong>