Beendet wurde der Streik im Juni 2003 mit demVersprechen der Regierung, e<strong>in</strong>e Kommissionwieder e<strong>in</strong>zusetzen, die e<strong>in</strong>e Ges<strong>und</strong>heitsreformohne Privatisierung erarbeitet <strong>und</strong> die im Zugedes Streiks <strong>und</strong> der Demonstrationen entlassenenAngestellten von STISSS wieder e<strong>in</strong>zustellen.„Mit acht weißen Märschen haben wirunseren <strong>Widerstand</strong> zum Ausdruck gebracht <strong>und</strong>damit die Regierung gezwungen, ihre blöds<strong>in</strong>nigenneoliberalen Pläne zur Privatisierung dersozialen Dienstleistungen zurückzunehmen. Imfünften Monat unseres Streiks mussten wir denSelbstmord von zwei Krankenschwestern erleben,die dem Druck nicht mehr standhaltenkonnten, so lange Zeit ke<strong>in</strong>en Lohn zu bekommen<strong>und</strong> nicht zu wissen, wie dieFamilien versorgt werden können.Unsere Gewerkschaft war also sehrmitgenommen, wir alle haben neunMonate lang ke<strong>in</strong>en Cent von unseremGehalt erhalten, schwierig war das vorallen D<strong>in</strong>gen für die alle<strong>in</strong> erziehendenKolleg<strong>in</strong>nen. Aber die Regierung wichnicht von ihren Plänen ab, sondernerhöhte den Druck auf uns als Gewerkschaften<strong>und</strong> versuchte, den Streik zubrechen. Immer mehr Kollegen wurdenverhaftet, verfolgt, bedroht. Aber trotzall dieser Maßnahmen gelang es derRegierung nicht, die Bewegung <strong>in</strong> ihrerDynamik auszubremsen. Wir konntenke<strong>in</strong>en Schritt zurückgehen, wir mussten allesdaran setzen, die Privatisierung zu verh<strong>in</strong>dern,so viele Leute haben sich <strong>in</strong> diesem Kampfmobilisiert, wir können uns durch die Repressionnicht von unserem Kampf abhalten lassen.Wir s<strong>in</strong>d bereit, an der Reform des Ges<strong>und</strong>heitssektorsmitzuarbeiten, aber ohne Privatisierung!Die gelungene Mobilisierung, die Klarheit derBevölkerung <strong>in</strong> ihrer Ablehnung von Privatisierungen<strong>und</strong> schließlich der <strong>in</strong>ternationale Druck<strong>und</strong> die Solidarität haben dazu beigetragen,dass die Regierung kle<strong>in</strong> bei geben musste.“E<strong>in</strong> dreiviertel Jahr nach Streikende mussteSTISSS ihre Aktionen wieder verstärken: ImFebruar 2004 fanden erneut K<strong>und</strong>gebungensowie e<strong>in</strong>e symbolische Kl<strong>in</strong>ikbesetzung statt.Die Themen:• Forderung nach Wiedere<strong>in</strong>stellung vonGewerkschaftsmitgliedern, die im Rahmendes Streiks entlassen worden waren• Kritik an der Ges<strong>und</strong>heitspolitik der Regierung• Protest gegen Radio- <strong>und</strong> Fernsehspots desSozialversicherungs<strong>in</strong>stituts, <strong>in</strong> denen derKampf gegen Privatisierung als Wahlkampfstrategieder FMLN dargestellt wird.Die Regierung setzt ihren Druck auf die Gewerkschaftfort, wissend, dass sie ihre Privatisierungsplänenur schwer wird durchsetzen können,solange e<strong>in</strong>e so starke Gewerkschaftexistiert.E<strong>in</strong> erstes Fazit von Ricardo Monge zu denErfolgen der Bewegung fällt deshalb auch skeptischaus:„Nie zuvor haben wir e<strong>in</strong>e so große <strong>und</strong>bedeutsame Mobilisierung so breiter Bevölkerungskreiseerlebt, wo auch die FMLN aktiv ander Seite der sozialen Bewegungen kämpft. DieIm Focus: Der Ges<strong>und</strong>heitsstreikPrivatisierung haben wir zunächst verh<strong>in</strong>dert,aber die Bedrohung bleibt. Und die <strong>Freihandel</strong>sverträge,die mit den USA verhandelt werden,s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> weiterer Schritt zur Durchsetzungdieser neoliberalen Politik.“Die beschriebene Entwicklung von Protest<strong>und</strong> <strong>Widerstand</strong> <strong>in</strong> El Salvador kann also nichtzu Euphorie verleiten. Zu stark ist dafür dieökonomische <strong>und</strong> politische Macht der Rechtenim Land, zu groß die Abhängigkeit von externenMärkten <strong>und</strong> zu stark die Auflagen von <strong>in</strong>ternationalenF<strong>in</strong>anzorganisationen sowie die Abkommenauf der Ebene der WTO oder von CAFTA.Und zu dramatisch ist die soziale Situation derBevölkerungsmehrheit. Für die Überlebensfähigkeitder Proteste wird es von entscheidenderBedeutung se<strong>in</strong>, ob sie über Abwehrkämpfeh<strong>in</strong>ausreichen. Ob also die Menschen e<strong>in</strong>enKampf um umfassende soziale <strong>und</strong> gesellschaftlicheRechte führen, der über die Frage derPrivatisierung des Ges<strong>und</strong>heitswesens oder denBau der Stadtautobahn h<strong>in</strong>ausreicht.<strong>Freihandel</strong> <strong>und</strong> <strong>Widerstand</strong> <strong>in</strong> <strong>Zentralamerika</strong> | 45
Zeitungsanzeige von SIMETRISSSAnzeige der Gewerkschaftder ÄrztInnen desSalvadorianischenInstitutes für Sozialversicherung(SIMETRISSS) <strong>in</strong>der salvadorianschenTageszeitung „CoLat<strong>in</strong>o“vom 17.02.2004<strong>Freihandel</strong>svertrag: Das vor der salvadorianischenBevölkerung am besten gehüteteGeheimnis. Se<strong>in</strong>e Auswirkungen auf dieGes<strong>und</strong>heit der Bevölkerung.Das Hauptziel der <strong>Freihandel</strong>sverträge (Tratadosde Libre Comercio, TLC) ist die Errichtung e<strong>in</strong>er<strong>Freihandel</strong>szone zwischen den Vere<strong>in</strong>igtenStaaten <strong>und</strong> Mittelamerika.(...). Betrachten wirjetzt konkret, wie der TLC die öffentlicheGes<strong>und</strong>heitsversorgung, die Arbeitsplätze <strong>in</strong>diesem Sektor <strong>und</strong> die Ges<strong>und</strong>heit der Bevölkerungbee<strong>in</strong>flusst:1. Was den Handel mit Dienstleistungen betrifft,hat die WTO 160 Dienstleistungen identifiziert,die <strong>in</strong>ternational gehandelt werden,darunter die öffentlichen DienstleistungenGes<strong>und</strong>heitsversorgung, Erziehung <strong>und</strong> Ausbildung,Strom-, Gas- <strong>und</strong> Wasserversorgung, Telekommunikation.In diesen Dienstleistungssektorenhaben transnationale Konzerne bereitsdie Privatisierungen durch die salvadorianischenRegierungen genutzt, um öffentlicheUnternehmen zu kaufen <strong>und</strong> öffentliche Dienstezu privatisieren <strong>und</strong> sie somit der Marktlogikzu unterwerfen, für die e<strong>in</strong>zig der Gew<strong>in</strong>nzählt.(...). Der TLC verlängert diesen Trend <strong>in</strong>Bereiche h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, die noch nicht <strong>in</strong> Händen derPrivatwirtschaft s<strong>in</strong>d wie z.B. das Bildungswesen,die Wasserversorgung, die Ges<strong>und</strong>heitsversorgung<strong>und</strong> die öffentliche Hygiene.Die Regierungen, die wir seit 15 Jahren erleiden<strong>und</strong> die den Vorgaben des Unternehmerverbandesfolgen, haben die Verschlechterungder öffentlichen Dienstleistungen bewusst <strong>in</strong>Kauf genommen, um deren Zustand dann zumArgument für die Privatisierung zu wenden. Ine<strong>in</strong>igen Fällen haben sich diese Dienstleistungenverbessert <strong>und</strong> <strong>in</strong> allen Fällen s<strong>in</strong>d sieteurer geworden. So wurden aus öffentlichenDienstleistungen, das heißt solchen, die allenzur Verfügung stehen, Dienstleistungen für e<strong>in</strong>ekle<strong>in</strong>e Elite, was elementar gegen die sozialeGerechtigkeit verstößt.2. Zur Zeit, nachdem der TLC ausgehandelt, abernoch nicht ratifiziert ist, erleben wir diePropagandaanstrengungen der Regierung <strong>und</strong>der Unternehmer, die Vorteile zu loben, die derTLC uns allen br<strong>in</strong>gen wird, <strong>in</strong>sbesondere wasausländische Investitionen <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enenneuen Arbeitsplätze betrifft. Zu erwartenist allerd<strong>in</strong>gs, dass es neue Arbeitsplätzevor allem <strong>in</strong> der Maquila-Industrie gebenwird <strong>und</strong> gleichzeitig Pleiten nationaler Unternehmen,verb<strong>und</strong>en mit zusätzlicher Arbeitslosigkeit(...).Außerdem ist es offensichtlich, dassder e<strong>in</strong>zige Standortfaktor, der ausländische Investitionenanziehen kann, die kläglichenArbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> unserem Land s<strong>in</strong>d, d.h.die niedrigen Löhne, die Missachtung derArbeitsgesetze <strong>und</strong> die Straflosigkeit für dieUnternehmer.3. Das <strong>in</strong>ternationale Patentrecht beschränktden Wettbewerb <strong>und</strong> verh<strong>in</strong>dert die Produktionvon billigeren Generika. (...) Das wiederum hatim Falle von Medikamenten dramatische Auswirkungenauf die Ges<strong>und</strong>heit der armen Bevölkerung.Die Ratifizierung des TLC mit den Vere<strong>in</strong>igtenStaaten wird e<strong>in</strong>e perverse Situationerlauben: die US-Pharmakonzerne werden diePreise ihrer patentierten Medikamente weitüber ihre Produktionskosten h<strong>in</strong>aus erhöhen.E<strong>in</strong> weiterer die Ges<strong>und</strong>heit betreffender Aspektdes <strong>Freihandel</strong>s ist der Handel mit genmanipuliertenPflanzen <strong>und</strong> Lebensmitteln. (...) DerHandel mit genmanipulierten Produkten ist <strong>in</strong>Händen von transnationalen Agro- <strong>und</strong> Pharmakonzernen.(...). Wir müssen uns klardarüber se<strong>in</strong>, dass die Multis diese Technik nuranwenden, um ihre Gew<strong>in</strong>ne zu steigern <strong>und</strong> dieProduktion von gefährlichen Lebensmitteln zuverbilligen. Wenn wir die hier skizzierten wahrsche<strong>in</strong>lichenFolgen des TLC zusammenfassen,gibt es nur e<strong>in</strong>e Option: <strong>Widerstand</strong> leisten fürdie Verteidigung unserer Ges<strong>und</strong>heit, unseresLebens, unserer Arbeitsplätze, unserer Nahrungsmittel<strong>und</strong> unserer öffentlichen Dienstleistungen.Die Folgen des TLC s<strong>in</strong>d weitreichend<strong>und</strong> berühren über das Handelsgeschehenh<strong>in</strong>aus andere Wirtschaftsbereiche,die Arbeits-, sozialen, politischen, kulturellen<strong>und</strong> Umwelt-Bereiche. Es ist unschwer zu sehen,dass die ARENA-Regierung Des<strong>in</strong>formation <strong>und</strong>Propaganda benutzt, e<strong>in</strong> positives Image aufbaut,damit wir die bittere Pille schlucken <strong>und</strong>der TLC mit se<strong>in</strong>en verheerenden Folgen für dieBevölkerungsmehrheit ratifiziert wird.46 | <strong>Freihandel</strong> <strong>und</strong> <strong>Widerstand</strong> <strong>in</strong> <strong>Zentralamerika</strong>