1.8 Pädagogik der Vielfalt(Diversität)Der Bayerische <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>splan geht mit besonderer Sensibilität aufUnterschiede zwischen <strong>den</strong> <strong>K<strong>in</strong>dern</strong> e<strong>in</strong>. Vielfalt im H<strong>in</strong>blick auf Temperament, Lern<strong>und</strong>Entwicklungstempo, spezifische Lern- <strong>und</strong> besondere Unterstützungsbedürfnisseoder kulturellen oder sozioökonomischen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> wer<strong>den</strong> nicht mehr als störend<strong>und</strong> belastend <strong>in</strong>terpretiert. Vielmehr wird Vielfalt als Chance gesehen, der esmit hoher Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Wertschätzung zu begegnen gilt. Sie wird ausdrücklichbejaht <strong>und</strong> gezielt genutzt, um <strong>den</strong> <strong>K<strong>in</strong>dern</strong> vielfältige Lernerfahrungen zu ermöglichen<strong>und</strong> neue Horizonte zu eröffnen. Von <strong>den</strong> unterschiedlichen Kompetenzen,Stärken, Sichtweisen <strong>und</strong> Interessen, die K<strong>in</strong>der, Familien <strong>und</strong> Fachkräfte jeweils e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen,profitieren alle Beteiligten <strong>und</strong> <strong>in</strong> besonderer Weise die K<strong>in</strong>der.Wie e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d lernt, se<strong>in</strong>e eigenen Stärken <strong>und</strong> Schwächen sowie die der anderenwahrzunehmen <strong>und</strong> damit umzugehen, <strong>und</strong> <strong>in</strong>wieweit es Unterschie<strong>den</strong> <strong>in</strong> Sprache,Kultur oder Herkunft mit Neugierde, Anerkennung <strong>und</strong> Wertschätzung begegnenkann, wird entschei<strong>den</strong>d da<strong>von</strong> bee<strong>in</strong>flusst, wie Geme<strong>in</strong>samkeiten bzw. Unterschiededer eigenen Person zu anderen Menschen <strong>von</strong> der Außenwelt beurteilt wer<strong>den</strong>.Die UN-Konvention für Menschen mit Beh<strong>in</strong>derungen ist seit März 2009 auch fürDeutschland verb<strong>in</strong>dlich. Sie führt als Weiterentwicklung <strong>von</strong> Integration <strong>den</strong> Begriff»Inklusion« e<strong>in</strong>. Gr<strong>und</strong>legend hierfür ist die »Erkenntnis, dass sich das Verständnis<strong>von</strong> Beh<strong>in</strong>derung ständig weiterentwickelt <strong>und</strong> dass Beh<strong>in</strong>derungen aus der Wechselwirkungzwischen Menschen mit Bee<strong>in</strong>trächtigungen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>stellungs- <strong>und</strong> umweltbed<strong>in</strong>gtenBarrieren entstehen, die sie an der vollen, wirksamen <strong>und</strong> gleichberechtigtenTeilhabe an der Gesellschaft h<strong>in</strong>dern« (UN-Konvention, Präambel, Satz e). Dasmoderne Konzept der Inklusion hat jedoch nicht nur die K<strong>in</strong>der mit Beh<strong>in</strong>derung imBlick. Vielmehr sieht es vor, dass alle K<strong>in</strong>der, das heißt Mädchen <strong>und</strong> Jungen verschie<strong>den</strong>enAlters, deutsche K<strong>in</strong>der, K<strong>in</strong>der mit Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>, K<strong>in</strong>der mitBeh<strong>in</strong>derung, K<strong>in</strong>der mit erhöhten Entwicklungsrisiken <strong>und</strong> K<strong>in</strong>der mit besonderenBegabungen nach Möglichkeit dieselbe <strong>Bildung</strong>se<strong>in</strong>richtung besuchen <strong>und</strong> geme<strong>in</strong>samesLeben <strong>und</strong> Lernen erfahren.Inklusion setzt damit zugleich kulturelle Offenheit voraus, das heißt e<strong>in</strong>e <strong>Bildung</strong>spraxis,<strong>in</strong> der Mehrsprachigkeit (siehe Kapitel 2.3) <strong>und</strong> <strong>in</strong>terkultureller Austausch alsSelbstverständlichkeit betrachtet <strong>und</strong> gelebt wer<strong>den</strong>. Im Zuge der EU-Erweiterung,der Globalisierung der Wirtschaft <strong>und</strong> des Anstiegs <strong>in</strong>ternationaler Mobilität benötigenK<strong>in</strong>der heute – neben ihrer sozialen <strong>und</strong> kulturellen E<strong>in</strong>bettung – auch <strong>in</strong>terkulturel-31
<strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> <strong>den</strong> ersten drei Lebensjahrenle Kompetenz <strong>und</strong> Fremdsprachenkompetenz. Zur <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Bildung</strong> trägt diePräsenz anderer Sprachen, <strong>in</strong>sbesondere der Familiensprachen der K<strong>in</strong>der, <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungbei. Geme<strong>in</strong>same Lernaktivitäten, bei <strong>den</strong>en sich K<strong>in</strong>der mit verschie<strong>den</strong>emkulturellen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> begegnen, wecken bei <strong>K<strong>in</strong>dern</strong> die Neugier aufandere Kulturen <strong>und</strong> Sprachen; sie lernen zugleich Andersartigkeit zu achten.Der <strong>Bildung</strong>sansatz der Ko-Konstruktion bietet e<strong>in</strong>en optimalen Rahmen, e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>klusivePädagogik <strong>und</strong> damit e<strong>in</strong>e Pädagogik der Vielfalt mit Leben zu füllen. InGruppen mit <strong>K<strong>in</strong>dern</strong> mit unterschiedlichen Interessen, Stärken <strong>und</strong> Sichtweisenkann Ko-Konstruktion zu e<strong>in</strong>em für alle bereichern<strong>den</strong> <strong>und</strong> gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>gen<strong>den</strong> Lernprozesswer<strong>den</strong>. Zugleich erkennen die K<strong>in</strong>der, dass sie zusammen mehr erreichenals jeder für sich alle<strong>in</strong>.E<strong>in</strong>e <strong>Bildung</strong>sphilosophie, die das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>den</strong> Mittelpunkt stellt, verlangt zugleiche<strong>in</strong> hohes Maß an Individualisierung. <strong>Bildung</strong>sprozesse wer<strong>den</strong> daher stets vor demH<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> des <strong>in</strong>dividuellen Lern- <strong>und</strong> Entwicklungsverlaufs des K<strong>in</strong>des, se<strong>in</strong>er persönlichenStärken <strong>und</strong> Ressourcen sowie auch se<strong>in</strong>es kulturellen <strong>und</strong> sozialen Kontextesgestaltet <strong>und</strong> reflektiert. Die <strong>in</strong>dividuelle <strong>Bildung</strong>sbegleitung e<strong>in</strong>es je<strong>den</strong> K<strong>in</strong>-32