Demokratische Republik Kongo - MGFA
Demokratische Republik Kongo - MGFA
Demokratische Republik Kongo - MGFA
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
II. Strukturen und Lebenswelten<br />
und Epen (erzählende Heldengedichte, Versdichtungen) kreisen<br />
meist um Themen wie Jagd, Krieg und Magie. In manchen Gegenden<br />
übernehmen Sänger, Gelegenheitsdichter, Erzähler oder<br />
Lobredner den Vortrag.<br />
Ein Beispiel für ein Heldenepos ist die Lianja-Sage der<br />
Mongo-Nkundo-Stämme im Nordteil des <strong>Kongo</strong>. Es handelt sich<br />
um eine Volksdichtung, die niemals schri�lich überliefert wurde.<br />
Festgelegt ist nicht ein präziser Text, sondern der durch typische<br />
Gesänge unterbrochene Handlungsablauf mit bestimmten wichtigen<br />
Stationen. Lianja ist ein Volksheld der Mongo-Nkundo,<br />
dem man außergewöhnliche Taten nachsagt. Einige Elemente<br />
der Erzählung sind mythischen Charakters (Lianja wird aus<br />
dem Bein seiner Mu�er geboren), die Rahmenhandlung jedoch<br />
ist historisch und schildert die Wanderung und Aufspli�erung<br />
der Mongo-Nkundo-Stämme.<br />
Neben Märchen und Epen zählen zur mündlichen Literatur<br />
Legenden, Mythen und Fabeln, aber auch Sprüche, Rätsel, Redensarten<br />
und Lieder. Ihr gemeinsames Kennzeichen ist, dass<br />
der Verfasser unbekannt bleibt. Die verschiedenen Ga�ungen<br />
weisen mehr oder weniger feste Gestaltungsregeln auf. Der Erzähler<br />
verfügt über zahlreiche Möglichkeiten, seine Texte individuell<br />
zu strukturieren, so beispielsweise durch Rhythmus und<br />
Wiederholung. Der mündliche Vortrag ist ein hochkomplexer<br />
Vorgang, bei dem die stummen Gesten ebenso wichtig sind wie<br />
das gesprochene Wort. Auch die für einen bestimmten Inhalt<br />
richtige Tageszeit oder Schlag- und Toninstrumente zur Begleitung<br />
fließen in die Präsentation mit ein. Die Volksgruppe der<br />
Luba beispielsweise darf Tiergeschichten ausschließlich tagsüber<br />
erzählen, während über Menschen und Zauberer nur am Abend<br />
(bei Dunkelheit) berichtet wird. Die bereits erwähnte Sage von<br />
Lianja bei den Mongo-Nkundo rezitiert ein Barde nachts am<br />
Feuer. Gesicht und Körper bemalt er mit asymmetrischen Figuren.<br />
Teil der Inszenierung sind Federhut und Speer. Ein Chor aus<br />
Männern oder Frauen stimmt die charakteristischen Gesänge an,<br />
die jeden neuen Abschni� der Sage begleiten.<br />
Die Vielfalt der vorhandenen Zeugnisse ist in den meisten<br />
Sprachen des <strong>Kongo</strong> bis heute nicht einmal annähernd erfasst.<br />
Die Erforschung der mündlichen Literatur wurde erst seit den<br />
1970er Jahren für europäische Missionare und Ethnologen zu<br />
178