06.12.2012 Aufrufe

Naturwissenschaftliche Erkenntnis und gesellschaftliche Interessen (II)

Naturwissenschaftliche Erkenntnis und gesellschaftliche Interessen (II)

Naturwissenschaftliche Erkenntnis und gesellschaftliche Interessen (II)

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

340 Besprechungen<br />

rialismus nicht mehr herausgekommen sind. Die Texte Gervinus',<br />

Th. Mommsens <strong>und</strong> des Schweizers Burckhardt korrigieren das Gesamtbild<br />

nur unwesentlich.<br />

Sicherlich ist das Prinzip dadurch zu rechtfertigen, daß die vorgestellten<br />

Historiker im Kampf um akademische Positionen sich am<br />

ehesten hatten durchsetzen können, nicht zuletzt deswegen, weil sie,<br />

machtbefangen, am eifrigsten an der Produktion jenes „Zeitgeistes"<br />

beteiligt waren, der den sozialen Aspirationen des deutschen Bürgertums<br />

<strong>und</strong> den politischen Manövern seiner Staatsmacht eine wirkungsvolle<br />

ideologische Legitimation zu liefern vermochte. Asendorf<br />

hat also recht, wenn er sie als „unumstrittene Wortführer ihrer<br />

Klasse" (11) bezeichnet, womit deutlich wird, daß der Weg der deutschen<br />

Historie als der politisch von jeher am stärksten engagierten<br />

Wissenschaft letztlich der ideologisch reflektierte Weg des deutschen<br />

Bürgertums selber war. Ist also dem bereits im Titel formulierten<br />

Deszendenztheorem insofern zuzustimmen, kann die behauptete<br />

chronologische „Permanenz" der Restauration freilich bei genauerer<br />

Betrachtung nicht als ungebrochen angesehen werden: Ranke z. B.<br />

war trotz unmittelbarster zeitlicher Nähe zu Aufklärung <strong>und</strong> bürgerlicher<br />

Revolution geistig weiter von beidem entfernt als etwa der<br />

Oncken von 1919 (273 ff.) oder selbst noch der Meinecke von 1924<br />

(305 ff.).<br />

Ein unverzerrteres Gesamtbild hätte es ergeben, wenn Asendorf<br />

schon in diesen Band einige Außenseiterpositionen aufgenommen<br />

hätte. Gerade die Gegenüberstellung etwa von Nationalisten <strong>und</strong><br />

Radikaldemokraten hätte dokumentieren können, wie breit in Wirklichkeit<br />

das politische Meinungsspektrum innerhalb der bürgerlichen<br />

Geschichtsauslegung gewesen ist (<strong>und</strong> heute noch ist). Asendorf selber<br />

charakterisiert (26 ff., 35 ff.) die Bedeutung <strong>und</strong> Funktion bürgerlich-demokratischer<br />

Gruppen, die der orthodoxen Fachhistorie<br />

insbesondere deswegen ein Dorn im Auge waren, weil sie „die<br />

Kampfkraft der Klasse von innen her" (36) zu schwächen schienen.<br />

So nahm gerade in Krisenzeiten (1844 ff., 1878/79, 1914/19, 1929 ff.),<br />

wenn es dem Bürgertum nicht nur darauf ankam, „zu erwerben . . . ,<br />

sondern das Erworbene auch (zu) bewahren" (28), der Kampf zwischen<br />

links- <strong>und</strong> rechtsbürgerlichen Historikern besonders heftige<br />

Formen an. Nicht nur Konservativen, sondern auch zahlreichen sogenannten<br />

Gemäßigten erwies sich dann die „Hülle des Rechtsstaats<br />

... (als) fadenscheinig": wenn das bürgerliche Klasseninteresse es<br />

gebot, wurde aus dem Rechtsstaat stets „mehr Staat als Recht" (29).<br />

Ungeachtet aller politischen <strong>und</strong> wissenschaftstheoretischen Kontroversen<br />

innerhalb der bürgerlichen deutschen Geschichtswissenschaft<br />

bewegten sich die Diskussionen doch stets auf der gemeinsamen Basis<br />

eines tiefgreifenden F<strong>und</strong>amentalkonsensus, welcher einer distinkten<br />

sozialen <strong>Interessen</strong>kontinuität seit nunmehr über 170 Jahren<br />

entsprach <strong>und</strong> noch entspricht. Definieren läßt sich dieses einmütige<br />

Interesse „als Schutz- <strong>und</strong> Trutzbündnis gegen einen Einbruch<br />

DAS A R G U M E N T 96/1976 ©

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!