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Naturwissenschaftliche Erkenntnis und gesellschaftliche Interessen (II)

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Computersysteme <strong>und</strong> menschliche Sprechtätigkeit 233<br />

große summe geld ist, wieviele zimmer eine wohnung hat — diese<br />

Fragen werden je nach der ökonomischen Lage gr<strong>und</strong>verschieden<br />

beantwortet werden. Dies gilt auch für ein interaktionsfähiges Computer-System:<br />

Im Rahmen seiner sprachlichen Interaktion „verwendet"<br />

es seine Bedeutungen <strong>und</strong> sein Wissen. Der menschliche Interaktant<br />

kann also (auf der rein begrifflichen Ebene) das Gefühl gewinnen,<br />

sich mit einem Computer-System verständigen zu können,<br />

oder nicht — je nach der Gemeinsamkeit der Bedeutungen. Antagonismen<br />

des Seins von Individuen in einer Gesellschaft werden durdi<br />

unterschiedliche Bedeutungen widergespiegelt. Dies heißt nicht, daß<br />

z. B. ein Arbeiter die Bedeutung von „Mehrwert" nicht kennt, wie<br />

sie für den Kapitalisten existiert. Nur: Ein sich seiner Klassenlage<br />

bewußter Arbeiter richtet sein Handeln nach seiner eigenen Bedeutung<br />

von „Mehrwert" aus, indem er den Mehrwert zu beseitigen versucht<br />

oder ihn zumindest möglichst gering hält.<br />

Auf der pragmatischen Ebene seien zwei Details erwähnt: Im<br />

Dialog mit einem Computer werden sinnvollerweise nur einige Typen<br />

sprachlichen Handelns vorgesehen werden, <strong>und</strong> für deren Implementierung<br />

wiederum wird die Breite der sprachlichen Realisierungsmöglichkeiten<br />

eingeengt werden. Damit ist gemeint, daß erstens<br />

z. B. Versprechungen, Drohungen, Entschuldigungen in einem Dialog<br />

mit dem Computer unangebracht sind; <strong>und</strong> daß zweitens die sprachliche<br />

Formulierung z. B. einer Frage nur mittels eines direkten<br />

Fragesatzes möglich ist, während Formulierungen wie ,Könntest<br />

du...', ,Sag mir bitte, . . . ' ausgeschlossen werden. Je mehr Sprachbewußtheit<br />

der menschliche Interaktant in den Dialog mitbringt,<br />

um so mehr kann er mit diesen Restriktionen fertig werden. Die<br />

verlangte Sprachbewußtheit tritt in unserer Gesellschaft aber als<br />

Produkt einer höheren Schulbildung auf, als sie der Mehrheit der<br />

Bevölkerung ermöglicht wird.<br />

Die Erkennung <strong>und</strong> das Verstehen gesprochener Sprache (im Gegensatz<br />

zu geschriebener) durch den Computer wirft gesonderte Probleme<br />

auf, deren Lösungsversuche je nach Anwendungsbereich verschieden<br />

sind. Parameter sind dabei z. B. die Anzahl verschiedener<br />

Stimmen (Personen) mit Interaktionsberechtigung, die Größe des<br />

Lexikons <strong>und</strong> der Grad an Restriktionen in der Syntax. Es kann<br />

jedoch als wahrscheinlich angesehen werden, daß folgende Personengruppen<br />

vom Dialog exkommuniziert werden: Dialektsprecher, Personen<br />

mit Sprachfehler, Personen mit ausländischem Akzent. Die<br />

phonetischen Programme werden nämlich zunächst eine verläßliche<br />

Digitalisierung der gesprochenen Hochsprache realisieren.<br />

In der natürlichsprachlichen Interaktion zwischen Mensch <strong>und</strong><br />

Computer bestehen also auf verschiedenen Ebenen Hemmnisse für<br />

eine Verständigung. Diese Hemmnisse sind weitaus umfassender als<br />

all das, was bisher als Sprachbarrieren zwischen zwei menschlichen<br />

Kommunikanten festgestellt wurde. Welche <strong>gesellschaftliche</strong> Relevanz<br />

diese Hemmnisse haben werden, hängt von den Inhalten ab, die<br />

Gegenstand natürlichsprachlicher Mensch-Computer-Interaktion sind,<br />

DAS A R G U M E N T 96/1976 ©.

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