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Naturwissenschaftliche Erkenntnis und gesellschaftliche Interessen (II)

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Soziale Bewegung <strong>und</strong> Politik 357<br />

rial dargelegt, in wesentlichen Zügen die Geschichte Liberias referiert<br />

<strong>und</strong> zudem den Versuch gemacht, die Rückwirkungen der ökonomischen<br />

Entwicklung auf die Gesellschaftsstruktur zu betrachten.<br />

In einem Abschnitt über die „liberianischen Rückwanderer (settlers)",<br />

die sich zum größten Teil aus von der Sklaverei befreiten Negern<br />

aus den USA zusammensetzten, zeigt Schulze auf, daß die<br />

Staatsgründung Liberias ein Akt der Vereinigten Staaten war. Ohne<br />

amerikanische Hilfe — in Form von finanzieller <strong>und</strong> vor allem militärischer<br />

Unterstützung — hätte die Kolonisierung des Landes nicht<br />

stattfinden können. Umfangreiches Material belegt die Abhängigkeit<br />

der Rücksiedler von den USA.<br />

Die Unterwerfung der Eingeborenenbevölkerung betrachtet Schulze<br />

aus einer auch noch heute weitverbreiteten Sicht. So spricht er bspw.<br />

davon, daß „eines der schwersten Massaker an den Kolonialisten"<br />

(46) nicht verhütet werden konnte, führt jedoch nicht die militärischen<br />

Agressionen der Kolonialisten gegen die dort seßhafte Bevölkerung<br />

<strong>und</strong> den Raub ihrer Ländereien durch ungleiche Verträge an.<br />

Weitere Formulierungen dieser Art finden sich: „die feindlichen<br />

Eingeborenen" (54), „kriegerische Grebo" (46). Auch vergißt Schulze<br />

nicht zu erwähnen, daß der 1971 verstorbene Präsident Tubman<br />

„unter seinen Vorfahren Verluste durch Eingeborenenkriege zu beklagen<br />

hatte" (58). Dagegen werden andere Tatsachen übergangen<br />

bzw. verfälscht, vor allem in der Frage der „Integration <strong>und</strong> ethnischen<br />

Verschmelzung" (56) der Rücksiedler (oder sogenannten Ameriko-Liberianer)<br />

mit der Eingeborenenbevölkerung. Zwar erfährt<br />

man, daß der Eingeborenenbevölkerung „längere Zeit hindurch . . .<br />

das Wahlrecht strikt verweigert" wurde (56), nicht angegeben wird<br />

jedoch, wie die „Ameriko-Liberianer" mit brutalen Steuereinziehungsmethoden<br />

in der Zeit von 1911—1925 die in der Subsistenzwirtschaft<br />

lebenden Völker in die moderne Geldwirtschaft preßten<br />

<strong>und</strong> so hervorragende Bedingungen für die Rekrutierung billiger<br />

Arbeitskräfte durch die Firestone Company schafften, die ab 1926 in<br />

Liberia die größten Plantagen der Welt errichtete. So fehlt auch die<br />

Charakterisierung der liberianischen Armee als Handlanger imperialistischer<br />

<strong>Interessen</strong>. Schulze begnügt sich mit der Darstellung der<br />

schließlichen Gewährung allgemeiner Wahlrechte — im Einparteien-<br />

Staat — für die gesamte Bevölkerung, die seiner Meinung nach zwar<br />

noch nicht zum Ziel der „volle(n) Integration sozialer <strong>und</strong> politischer<br />

Art" (59) geführt hat, aber offenbar auf dem besten Weg dahin ist.<br />

Selbst die Politik des Präsidenten King (1920—1930) wird als Integrationspolitik<br />

beschrieben. King betrieb jedoch Zwangsrekrutierung<br />

<strong>und</strong> Sklavenhandel von Eingeborenen nach Fernando Po in der<br />

Zeit vor 1929 — so jedenfalls urteilte eine Völkerb<strong>und</strong>skommission<br />

1930. Kings „Integrationspolitik" stand unter dem Zeichen der möglichst<br />

raschen <strong>und</strong> billigen Eingliederung von Arbeitskräften in die<br />

kapitalistische Produktionsweise <strong>und</strong> nicht unter dem der Gleichheit<br />

<strong>und</strong> Freiheit für die Eingeborenenvölker, wie Schulze sie darzustellen<br />

versucht.<br />

BAS A R G U M E N T 96/1976 ©

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