play! Das Jahresmagazin der Duisburger Philharmoniker 2012/2013
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Aber wenn ein Komponist wie Salvatore Sciarrino, den ich<br />
sehr schätze, sich die Musik von Paganini zum Vorbild<br />
nimmt und etwas ganz Neues daraus macht, eine Musik,<br />
die dem Hörer förmlich um die Ohren fliegt – da wird es<br />
dann einfach so richtig interessant, übrigens auch für<br />
junge Leute. Wenn ich so etwas vor Schulklassen spiele,<br />
dann sind die immer total begeistert, weil es ihrer Musik<br />
eigentlich näher ist als die traditionelle klassische Musik.<br />
Sie werden die Capricci von Sciarrino auch in Duisburg<br />
spielen, daneben Boulez’ Anthèmes II mit Live-<br />
Elektronik ...<br />
Bei diesem Stück soll nun wirklich niemand mehr sagen,<br />
dass Neue Musik ihn nicht rühren könne, bis zur Gänsehaut<br />
– weil das so sinnlich und schön ist. Der Violinklang<br />
wird live über einen Loop-Generator vervielfältigt. Jede<br />
kleinste Eigenart im Klang wird verstärkt. Wenn ich einen<br />
Ton beson<strong>der</strong>s scharf anfasse, dann kommt das tausendfach<br />
zurück. Der musikalische Moment geht nicht einfach<br />
vorbei, er lebt nach, er kehrt wie<strong>der</strong>. Irgendwann weiß<br />
man nicht mehr: was spiele ich, was spielt mein Alter<br />
Ego aus dem Lautsprecher? <strong>Das</strong> ist einfach unglaublich<br />
spannend.<br />
Sie sind in den großen Konzertsälen ebenso zu Gast wie<br />
auf den Festivals für Neue Musik. Sind das nach wie vor<br />
sehr getrennte Bereiche – hier <strong>der</strong> bürgerliche Musikbetrieb,<br />
dort die innovativen Avantgarde-Zirkel?<br />
Ich fürchte ja. Ich merke das immer daran, dass es einerseits<br />
zeitgenössische Komponisten gibt, <strong>der</strong>en Musik in<br />
den großen Sinfoniekonzerten gespielt wird, und an<strong>der</strong>erseits<br />
diejenigen, denen man in <strong>der</strong> „Szene“ begegnet,<br />
die ja fast so etwas wie ein Un<strong>der</strong>ground ist. Wer da zählt,<br />
wer da einen Namen hat – das ist einfach völlig unterschiedlich.<br />
Für mich ist es spannend, an beiden Welten<br />
teilzuhaben. Dadurch, dass ich immer wie<strong>der</strong> bei den<br />
Wittener Tagen für neue Kammermusik spiele, halte ich<br />
den Kontakt zur „Szene“; aber ich freue mich natürlich<br />
auch, wenn ich ein großes neues Werk von Wolfgang<br />
Rihm mit dem Gewandhausorchester Leipzig spielen<br />
kann. Allerdings wird die Trennung dieser Welten immer<br />
durchlässiger, auch weil die Veranstalter mehr und mehr<br />
versuchen, auf ein jüngeres Publikum zuzugehen. Es<br />
gibt ja inzwischen auch sehr interessante Schnittstellen<br />
zwischen zeitgenössischer Musik und Pop, zum Beispiel<br />
durch die DJ-Kultur – da gibt es Gemeinsamkeiten, die<br />
ich sehr spannend finde.<br />
Fällt es Ihnen leicht, die Arbeit am traditionellen Repertoire<br />
mit dem Engagement für die Mo<strong>der</strong>ne zu verbinden?<br />
Für mich ist das im Grunde dasselbe – und das sage<br />
ich nicht einfach nur so plakativ, son<strong>der</strong>n aus tiefstem<br />
Herzen. Was mich an Schubert begeistert, ist nichts<br />
an<strong>der</strong>es als das, was mich an Nono, Stockhausen und<br />
Sciarrino fasziniert. Die Aussage, die mich als Mensch<br />
berührt, ist doch in <strong>der</strong> Essenz die gleiche. Es geht ein-<br />
fach Hand in Hand; kein interessierter, wacher Geist wird<br />
eine Epoche <strong>der</strong> Musikgeschichte von vornherein ausschließen.<br />
Verän<strong>der</strong>t es den Zugang, wenn man aus <strong>der</strong> Perspektive<br />
<strong>der</strong> Neuen Musik auf das klassische Repertoire blickt?<br />
Und wie! Wenn ich Mozarts Jupiter-Sinfonie o<strong>der</strong> Beethovens<br />
„Fünfte“ nehme – das sind absolut revolutionäre<br />
Werke, auch wenn man das heute vielleicht nicht mehr so<br />
wahrnimmt. Ich finde es auch ganz falsch, wenn immer<br />
gesagt wird, man solle die Neue Musik so hören wie die<br />
klassische. Umgekehrt! Man soll die Klassik so hören wie<br />
die Neue Musik. Wir müssen bei Beethovens „ Fünfter“<br />
genauso vom Hocker gerissen werden, als wenn wir sie<br />
nicht schon tausendmal gehört hätten und aus wendig<br />
wüssten, was gleich passiert. Damit man auch mal<br />
merkt, welche Schockwirkung von einer Generalpause,<br />
einem ‚subito piano’, einem Wechsel von Dur nach Moll<br />
aus gehen können! <strong>Das</strong> sind schließlich fundamentale<br />
Ereignisse, die das Publikum damals geradezu körperlich<br />
beeindruckt haben.<br />
Mit dem Violinkonzert von Erich Wolfgang Korngold<br />
spielen Sie in Duisburg zwar ein Werk aus dem 20. Jahrhun<strong>der</strong>t,<br />
aber eines, das in <strong>der</strong> Tradition des romantischen<br />
Virtuosenkonzerts steht.<br />
Natürlich kommt es aus <strong>der</strong> Romantik, aber es weist<br />
doch deutlich in die Mo<strong>der</strong>ne. Was zum Beispiel im langsamen<br />
Satz harmonisch passiert, ist unglaublich gewagt<br />
– das steht Schönberg näher als Brahms. Natürlich ist<br />
da auch viel Hollywood; es wurde mit Blick auf Heifetz<br />
als Ur aufführungs-Interpret komponiert. Aber was<br />
Korngold sich in diesem Rahmen traut, finde ich wirklich<br />
bewun<strong>der</strong>nswert. Auch sein Lebenslauf hat mich<br />
immer beschäftigt – wie er nach den langen Jahren <strong>der</strong><br />
Emigration nach Wien zurückkommt und überhaupt nicht<br />
mehr verstanden wird, wie sich da keiner mehr für seinen<br />
Ruhm aus vergangenen Zeiten interessiert. <strong>Das</strong> hat auch<br />
eine große Tragik.<br />
Foto: Marco Borggreve