06.12.2012 Aufrufe

play! Das Jahresmagazin der Duisburger Philharmoniker 2012/2013

play! Das Jahresmagazin der Duisburger Philharmoniker 2012/2013

play! Das Jahresmagazin der Duisburger Philharmoniker 2012/2013

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

98<br />

Aber wenn ein Komponist wie Salvatore Sciarrino, den ich<br />

sehr schätze, sich die Musik von Paganini zum Vorbild<br />

nimmt und etwas ganz Neues daraus macht, eine Musik,<br />

die dem Hörer förmlich um die Ohren fliegt – da wird es<br />

dann einfach so richtig interessant, übrigens auch für<br />

junge Leute. Wenn ich so etwas vor Schulklassen spiele,<br />

dann sind die immer total begeistert, weil es ihrer Musik<br />

eigentlich näher ist als die traditionelle klassische Musik.<br />

Sie werden die Capricci von Sciarrino auch in Duisburg<br />

spielen, daneben Boulez’ Anthèmes II mit Live-<br />

Elektronik ...<br />

Bei diesem Stück soll nun wirklich niemand mehr sagen,<br />

dass Neue Musik ihn nicht rühren könne, bis zur Gänsehaut<br />

– weil das so sinnlich und schön ist. Der Violinklang<br />

wird live über einen Loop-Generator vervielfältigt. Jede<br />

kleinste Eigenart im Klang wird verstärkt. Wenn ich einen<br />

Ton beson<strong>der</strong>s scharf anfasse, dann kommt das tausendfach<br />

zurück. Der musikalische Moment geht nicht einfach<br />

vorbei, er lebt nach, er kehrt wie<strong>der</strong>. Irgendwann weiß<br />

man nicht mehr: was spiele ich, was spielt mein Alter<br />

Ego aus dem Lautsprecher? <strong>Das</strong> ist einfach unglaublich<br />

spannend.<br />

Sie sind in den großen Konzertsälen ebenso zu Gast wie<br />

auf den Festivals für Neue Musik. Sind das nach wie vor<br />

sehr getrennte Bereiche – hier <strong>der</strong> bürgerliche Musikbetrieb,<br />

dort die innovativen Avantgarde-Zirkel?<br />

Ich fürchte ja. Ich merke das immer daran, dass es einerseits<br />

zeitgenössische Komponisten gibt, <strong>der</strong>en Musik in<br />

den großen Sinfoniekonzerten gespielt wird, und an<strong>der</strong>erseits<br />

diejenigen, denen man in <strong>der</strong> „Szene“ begegnet,<br />

die ja fast so etwas wie ein Un<strong>der</strong>ground ist. Wer da zählt,<br />

wer da einen Namen hat – das ist einfach völlig unterschiedlich.<br />

Für mich ist es spannend, an beiden Welten<br />

teilzuhaben. Dadurch, dass ich immer wie<strong>der</strong> bei den<br />

Wittener Tagen für neue Kammermusik spiele, halte ich<br />

den Kontakt zur „Szene“; aber ich freue mich natürlich<br />

auch, wenn ich ein großes neues Werk von Wolfgang<br />

Rihm mit dem Gewandhausorchester Leipzig spielen<br />

kann. Allerdings wird die Trennung dieser Welten immer<br />

durchlässiger, auch weil die Veranstalter mehr und mehr<br />

versuchen, auf ein jüngeres Publikum zuzugehen. Es<br />

gibt ja inzwischen auch sehr interessante Schnittstellen<br />

zwischen zeitgenössischer Musik und Pop, zum Beispiel<br />

durch die DJ-Kultur – da gibt es Gemeinsamkeiten, die<br />

ich sehr spannend finde.<br />

Fällt es Ihnen leicht, die Arbeit am traditionellen Repertoire<br />

mit dem Engagement für die Mo<strong>der</strong>ne zu verbinden?<br />

Für mich ist das im Grunde dasselbe – und das sage<br />

ich nicht einfach nur so plakativ, son<strong>der</strong>n aus tiefstem<br />

Herzen. Was mich an Schubert begeistert, ist nichts<br />

an<strong>der</strong>es als das, was mich an Nono, Stockhausen und<br />

Sciarrino fasziniert. Die Aussage, die mich als Mensch<br />

berührt, ist doch in <strong>der</strong> Essenz die gleiche. Es geht ein-<br />

fach Hand in Hand; kein interessierter, wacher Geist wird<br />

eine Epoche <strong>der</strong> Musikgeschichte von vornherein ausschließen.<br />

Verän<strong>der</strong>t es den Zugang, wenn man aus <strong>der</strong> Perspektive<br />

<strong>der</strong> Neuen Musik auf das klassische Repertoire blickt?<br />

Und wie! Wenn ich Mozarts Jupiter-Sinfonie o<strong>der</strong> Beethovens<br />

„Fünfte“ nehme – das sind absolut revolutionäre<br />

Werke, auch wenn man das heute vielleicht nicht mehr so<br />

wahrnimmt. Ich finde es auch ganz falsch, wenn immer<br />

gesagt wird, man solle die Neue Musik so hören wie die<br />

klassische. Umgekehrt! Man soll die Klassik so hören wie<br />

die Neue Musik. Wir müssen bei Beethovens „ Fünfter“<br />

genauso vom Hocker gerissen werden, als wenn wir sie<br />

nicht schon tausendmal gehört hätten und aus wendig<br />

wüssten, was gleich passiert. Damit man auch mal<br />

merkt, welche Schockwirkung von einer Generalpause,<br />

einem ‚subito piano’, einem Wechsel von Dur nach Moll<br />

aus gehen können! <strong>Das</strong> sind schließlich fundamentale<br />

Ereignisse, die das Publikum damals geradezu körperlich<br />

beeindruckt haben.<br />

Mit dem Violinkonzert von Erich Wolfgang Korngold<br />

spielen Sie in Duisburg zwar ein Werk aus dem 20. Jahrhun<strong>der</strong>t,<br />

aber eines, das in <strong>der</strong> Tradition des romantischen<br />

Virtuosenkonzerts steht.<br />

Natürlich kommt es aus <strong>der</strong> Romantik, aber es weist<br />

doch deutlich in die Mo<strong>der</strong>ne. Was zum Beispiel im langsamen<br />

Satz harmonisch passiert, ist unglaublich gewagt<br />

– das steht Schönberg näher als Brahms. Natürlich ist<br />

da auch viel Hollywood; es wurde mit Blick auf Heifetz<br />

als Ur aufführungs-Interpret komponiert. Aber was<br />

Korngold sich in diesem Rahmen traut, finde ich wirklich<br />

bewun<strong>der</strong>nswert. Auch sein Lebenslauf hat mich<br />

immer beschäftigt – wie er nach den langen Jahren <strong>der</strong><br />

Emigration nach Wien zurückkommt und überhaupt nicht<br />

mehr verstanden wird, wie sich da keiner mehr für seinen<br />

Ruhm aus vergangenen Zeiten interessiert. <strong>Das</strong> hat auch<br />

eine große Tragik.<br />

Foto: Marco Borggreve

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!