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play! Das Jahresmagazin der Duisburger Philharmoniker 2012/2013

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Sie haben seit 2006 eine Professur an <strong>der</strong> Musikhochschule<br />

Leipzig. Beeinflusst die pädagogische Tätigkeit<br />

auch Ihre eigene künstlerische Arbeit?<br />

Natürlich. Erstens reflektiert man sehr viel mehr als zuvor<br />

– ich muss ja meinen Studenten erklären, was ich über<br />

ein Stück denke, wie sie einen Bewegungsablauf planen<br />

sollen. Ich muss die Dinge verbalisieren, und das hilft mir<br />

auch, mich selbst zu hinterfragen – das wird Ihnen je<strong>der</strong><br />

Lehrer bestätigen. Ich setze mich durch das Unterrichten<br />

auch immer wie<strong>der</strong> mit den Standardwerken auseinan<strong>der</strong>.<br />

Wenn ich ein Stück wie das Mendelssohn-Konzert<br />

dann wie<strong>der</strong> selbst spiele, ist das ganz an<strong>der</strong>s, als wenn<br />

es einfach nur im Schrank gelegen hätte.<br />

Beim Kammerkonzert mit dem Pianisten Alexan<strong>der</strong><br />

Lonquich spielen Sie zwei Schumann-Sonaten, die<br />

Schubert-Fantasie und eine Sonate von Charles Ives. Wie<br />

kam dieses Programm zustande?<br />

Alexan<strong>der</strong> Lonquich und ich saßen mal bei einem Glas<br />

Wein zusammen – wie eben so oft gute Dinge beginnen.<br />

Wir wollten Schubert und Schumann zusammenbringen,<br />

die beide im Violinrepertoire so sträflich vernachlässigt<br />

werden. Beim späten Schumann gibt es ja dieses hartnäckige<br />

Vorurteil, er habe nicht mehr so gut geschrieben<br />

wie in früheren Jahren, weil alles zerrissen und<br />

fragmenthaft ist, weil die Gedanken oft nicht zuende<br />

geführt werden – ähnlich wie in <strong>der</strong> Schubert-Fantasie,<br />

die immer wie<strong>der</strong> abbricht. Damals hat so etwas die Hörer<br />

überfor<strong>der</strong>t, heute sehen wir das als beson<strong>der</strong>e Qualität.<br />

Und dann die Ives-Sonate, die sich ganz volkstümlich<br />

und liedhaft gibt und doch so komplex und revolutionär<br />

ist. Ich mag es, wenn Kunst es schafft, ganz bodenständig<br />

zu sein und trotzdem den Himmel zu berühren.<br />

Bei einem an<strong>der</strong>en Konzert arbeiten Sie mit Mitglie<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> <strong>Duisburger</strong> <strong>Philharmoniker</strong> zusammen ...<br />

Als ich in Duisburg das zweite Prokofjew-Konzert gespielt<br />

habe, hatte ich sofort ein gutes Gefühl. Ich komme ja<br />

immer nur als Außenstehende zu einem Orchester; man<br />

probt zwei Stunden und geht dann wie<strong>der</strong>. Aber was man<br />

gleich mitbekommt, ist die Atmosphäre, die da herrscht,<br />

die Stimmung – und das war einfach sehr sympathisch<br />

und nett! Ich bin sicher, dass uns die Arbeit viel Spaß<br />

machen wird. Wir haben Werke ausgesucht, bei denen<br />

die Besetzung ständig variiert. Da ist dann auch mal eine<br />

Harfe dabei, was ansonsten in <strong>der</strong> Kammermusik immer<br />

sehr schwierig ist. Ich freue mich darauf, die Möglichkeiten<br />

auszunutzen, die sich hier bieten.<br />

Sind Ihnen beim Musizieren ansonsten feste Partnerschaften<br />

wichtig?<br />

Ja und nein. Ich spiele wahnsinnig gern mit Alexan<strong>der</strong><br />

Lonquich, auch mit Denes Varjon, mit dem ich meine<br />

Schumann-CD aufgenommen habe. Und natürlich mit<br />

meinem Bru<strong>der</strong>, da gibt es geradezu ein blindes Verständnis.<br />

Aber ich fände es schade, wenn ich – wie viele sehr<br />

99<br />

berühmte Kollegen – nur noch mit Partnern auf treten<br />

würde, die ich sowieso schon kenne. Ein bis zweimal pro<br />

Jahr spiele ich auf Festivals, bei denen man mich mit<br />

an<strong>der</strong>en Kollegen zusammenbringt – in Jerusalem zum<br />

Beispiel, in Heimbach o<strong>der</strong> bei Andras Schiff in Ittingen.<br />

Ich lerne da immer wie<strong>der</strong> tolle Leute kennen, mit denen<br />

das Musizieren großen Spaß macht. Wenn man sich da<br />

verweigert, gibt man viel auf.<br />

Stichwort Festival. Mit den „Sommerlichen Musiktagen<br />

Hitzacker“ haben Sie kürzlich die Leitung eines <strong>der</strong> traditionsreichsten<br />

deutschen Kammermusik-Festivals übernommen.<br />

Wie ist es dazu gekommen?<br />

Es fing damit an, dass mich mein Vorgänger Markus Fein<br />

anrief und sagte: „Du musst das machen!“ Zuerst konnte<br />

ich mir das gar nicht vorstellen, aber ich habe mal eine<br />

Nacht darüber geschlafen. Und dann hatte ich so viele<br />

Ideen, so viele Stücke, die ich dem Publikum gerne vorstellen<br />

wollte, dass ich dachte: Er hat recht, ich muss das<br />

machen. In diesem Jahr haben wir das Thema Exil. Da<br />

war es mir sehr wichtig, nicht nur auf das Dritte Reich einzugehen.<br />

Exil kann überall sein, sogar zu Hause – man<br />

kann ins Schweigen flüchten wie Sibelius, in die Taubheit<br />

wie Beethoven, in den Wahnsinn wie Schumann. Wenn<br />

man über solche Dinge nachdenkt, erweitert das enorm<br />

den Horizont.<br />

Nach Ihrem Debüt-Album bei Telos haben Sie eine diskographische<br />

Heimat bei ECM gefunden, ein Label, dessen<br />

Schwerpunkt in Jazz und zeitgenössischer Musik liegt.<br />

Fühlen Sie sich da wohl?<br />

Ja – aber nicht, weil <strong>der</strong> Schwerpunkt in Jazz und zeitgenössischer<br />

Musik liegt, son<strong>der</strong>n weil dieses Label eine<br />

Integrität hat, wie man sie auf dem Plattenmarkt heute<br />

selten findet. <strong>Das</strong> liegt natürlich an dem Produzenten<br />

Manfred Eicher, <strong>der</strong> für mich zu einem wichtigen Mentor<br />

geworden ist. Ich kann bei ihm eine Platte mit Werken von<br />

Xenakis, Schönberg und Zimmermann aufnehmen und<br />

dann wie<strong>der</strong> Schubert – weil er sieht, dass es zu meinem<br />

Profil gehört. Diese Kontinuität, diese Unterstützung über<br />

die Jahre hinweg ist ein einzigartiges Privileg.

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