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Das Stadtgespräch Oktober 2015

Magazin für Rheda-Wiedenbrück

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30 TIPPS<br />

<strong>Das</strong> <strong>Stadtgespräch</strong><br />

Umbruch. Auch Scout selbst hat<br />

sich verändert und nimmt die Menschen<br />

ihrer Umgebung nunmehr<br />

mit ganz anderen Augen wahr. <strong>Das</strong><br />

gilt auch und besonders für ihren<br />

geliebten Vater, dessen Kodex »simple<br />

neutestamentarische Ethik« ist.<br />

Dennoch geht er zu Veranstaltungen<br />

des Ku-Klux-Klans und hält<br />

die NAACP (nationale Vereinigung<br />

zum Wohle farbiger Menschen) für<br />

die Vorbotin des Untergangs der<br />

USA. Scout merkt, dass Atticus, der<br />

mittlerweile auch körperlich nachgelassen<br />

hat, denn er ist in seinen<br />

Siebzigern, in einer Art Rassismus<br />

für gebildete Leute befangen ist.<br />

Vom Inhalt her eignet sich der Roman<br />

also nicht mehr besonders als<br />

Bürgerrechtsplädoyer, als Gesellschaftsroman<br />

ist er aber durchaus<br />

interessanter als der Millionenbestseller.<br />

Harper Lee hat scharf<br />

beobachtet und gibt Szenen aus<br />

dem damaligen Umfeld, das heute<br />

längst Geschichte ist, mit großer<br />

Treffsicherheit wieder. Auch<br />

die Szenen aus der Kindheit und<br />

Jugend der Protagonistin zeigen<br />

sicheres Gespür für den richtigen<br />

Ton. Wer weiß, vielleicht hätte Harper<br />

Lee tatsächlich die Jane Austen<br />

des südlichen Alabama werden<br />

können, wie sie einmal eher im<br />

Scherz angab, wenn sie nur weiter<br />

geschrieben hätte. Erschienen ist<br />

der Roman bei der DVA, 317 Seiten,<br />

19,99 Euro. Auch eine Hörbuchausgabe<br />

ist beim Hörverlag erschienen.<br />

Die vollständige Lesung dauert siebeneinhalb<br />

Stunden, Nina Hoss ist<br />

die Idealbesetzung für Scout, aus<br />

deren Perspektive auch dieser Roman<br />

geschrieben ist.<br />

DER DVD-TIPP<br />

Frau Müller muss<br />

weg!<br />

Bei der Bildung ist es noch schlimmer<br />

als beim Fußball, wenn es um<br />

Expertentum geht. Während beim<br />

Fußball nur rund die Hälfte der Bevölkerung<br />

mindestens so viel Ahnung<br />

hat wie der Bundestrainer,<br />

weil sie ja schließlich irgendwann<br />

einmal an einen Ball getreten hat,<br />

liegt die Expertenquote zum Thema<br />

Schule bei exakt 100 Prozent.<br />

Schließlich war jeder in der Schule<br />

und das auch noch lange. Also hat<br />

auch jeder eine Meinung.<br />

Daraus folgt aber nun keineswegs,<br />

dass Filme über Schule<br />

automatisch von kommerziellem<br />

oder auch nur ideellem Erfolg<br />

gekrönt sein müssen. Einen Film<br />

mit dem Thema Schule zu machen<br />

birgt im Gegenteil ein recht hohes<br />

Risiko. Es ist schwierig, heute<br />

noch einen Paukerfilm mit lustigen<br />

Lausbubenstreichen unter die<br />

Leute zu bringen, das Genre war<br />

im Grunde schon zu Zeiten, als<br />

Theo Lingen noch der klassische<br />

Schulleiter war, recht angestaubt.<br />

Durchaus belebt hat das Genre<br />

»Fack ju Göhte«, wenn man auch<br />

dem Film nicht vorwerfen kann,<br />

dass er allzu realistisch ist. Aber<br />

sehr komisch eben. <strong>Das</strong> liegt an<br />

der brachialen Pädagogik des falschen<br />

Lehrers und echten Knackis.<br />

<strong>Das</strong> »Chantal, heul leise« ist heute<br />

nahezu legendär. Der zweite Teil<br />

ist gerade in den Kinos angelaufen.<br />

Frau Müller muss weg! ist ein anderer<br />

Film und könnte ein ganz<br />

anderes Kaliber sein, wenn nicht<br />

der zweite Teil des Streifens stellenweise<br />

zur Slapstick-Komödie<br />

geraten würde. Im Ansatz ist<br />

der Film von Sönke Wortmann<br />

durchaus kritisch, greift er doch<br />

ein Phänomen auf, das es bis vor<br />

wenigen Jahren in dieser massiven<br />

Form nicht gab, das der sogenannten<br />

»Helikopter-Eltern«. Diese<br />

schweben wie die Hubschrauber<br />

ständig über ihren lieben Kleinen,<br />

damit denen bloß nichts passiere.<br />

Sie werden so nah wie möglich<br />

ans Schulgebäude gebracht, vorzugsweise<br />

im fetten SUV, damit<br />

der Nachwuchs bloß nicht auch<br />

nur einen Schritt zu viel tun muss.<br />

Wenn sich die Kinder eine Schramme<br />

auf dem Schulhof holen, werden<br />

der aufsichtsführende Lehrer,<br />

der Klassenlehrer, die Schulleitung,<br />

der Schulsozialarbeiter, der<br />

Schulpsychologe sowie natürlich<br />

die Schulaufsichtsbehörde zur Rechenschaft<br />

gezogen. Wenn dann<br />

nicht sofort alle Hebel in Bewegung<br />

gesetzt werden, landet das<br />

Ganze mit Hilfe des Familienanwalts<br />

vor dem Kadi! O.k., da habe<br />

ich etwas übertrieben, aber Sie<br />

wissen, was ich meine.<br />

Die Eltern in dieser Komödie sind<br />

durchaus unterschiedliche Typen<br />

(und nur um solche geht es<br />

ja in einer Komödie meist), aber<br />

in einem sind sie sich einig: Frau<br />

Müller muss weg! Frau Müller<br />

ist die Grundschullehrerin einer<br />

vierten Klasse. Ihre Notengebung<br />

entscheidet über das Wohl und<br />

Wehe der Kinder, meinen jedenfalls<br />

die Eltern. Und das Wohl kann<br />

selbstverständlich nur bedeuten,<br />

dass die Kinder eine Empfehlung<br />

für das Gymnasium bekommen.<br />

Da sich anzudeuten scheint, dass<br />

Frau Müller, dargestellt von Gabriela<br />

Maria Schmeide, schlechte<br />

Noten für nachlassende Leistungen<br />

gibt, sind die Eltern unter Führung<br />

von Karrierefrau Jessica Höfel<br />

(eine brillante Anke Engelke) zu<br />

dem Entschluss gekommen, die<br />

Lehrerin zu einem außerordentlichen<br />

Elternabend antanzen zu lassen,<br />

um sie dazu zu bringen, die<br />

Klasse abzugeben. Die ganze Aktion<br />

geschieht natürlich im Auftrag<br />

aller Eltern, die, ebenso natürlich,<br />

das entsprechende Schreiben mit<br />

unterschrieben haben. Doch dann<br />

läuft der Elternabend ganz anders<br />

ab, als sich das alle vorgestellt<br />

haben. Schnell wird klar, dass es<br />

den einzelnen nicht so sehr, beziehungsweise<br />

überhaupt nicht, um<br />

das Wohl der ganzen Klasse geht.<br />

Es dreht sich allein um die eigenen<br />

Kinder – und die sind offenbar<br />

nicht so perfekt, wie sich das die<br />

Eltern gewünscht haben und wie<br />

das die Eltern den anderen Eltern<br />

und der Lehrerin gegenüber darzustellen<br />

versuchen. Schon bald<br />

fallen die Masken und das, was<br />

man dann zu sehen bekommt,<br />

zeugt keineswegs von hehren<br />

Motiven.<br />

Und darin liegt in erster Linie der<br />

Reiz des Films, denn jeder, der<br />

schon einmal einen etwas wenig<br />

harmonischen Elternabend miterlebt<br />

hat, wird Leute wiedererkennen,<br />

die sich tatsächlich fast so<br />

verhalten wie die Figuren im Film.<br />

Und vielleicht erkennt man gar,<br />

dass man selbst auch die Züge in<br />

sich hat, die in den bitterbösen<br />

Momenten des Films dargestellt<br />

werden – auch wenn es schließlich<br />

ehrenhaft ist, dass man für seine<br />

Kinder wie eine Löwin kämpft.<br />

<strong>Das</strong> Genre Gesellschaftskomödie<br />

bewahrt den Zuschauer aber<br />

davor, dass die durchaus ernste<br />

Problematik allzu ernsthaft dargestellt<br />

ist. Am Ende bekommt<br />

keiner sein Fett so richtig weg, am<br />

wenigsten die Lehrerin. Und auch<br />

das Problemfeld Ossi-Wessi, der<br />

Film spielt in Dresden, obwohl keiner<br />

so spricht, wird eher von seiner<br />

humoristischen Seite behandelt.<br />

Auch wenn der Ȋsthetische<br />

Reiz und der Erkenntnisgewinn«<br />

(Spiegel-Kritik) schon der Vorlage<br />

zum Film, das Theaterstück von<br />

Lutz Hübner, zugegebener Weise<br />

nicht die Dimension eines Shakespeare<br />

oder Goethe (ich wollte den<br />

Namen doch einmal richtig schreiben)<br />

erreicht, ist Frau Müller<br />

muss weg! doch eine sehenswerte<br />

Komödie.

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