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CHEMIEREPORT.AT 1/2016 AUSTRAIN LIFE SCIENCES Österreichs Magazin für Chemie, Life Sciences und Materialwissenschaften
CHEMIEREPORT.AT 1/2016
AUSTRAIN LIFE SCIENCES
Österreichs Magazin für Chemie, Life Sciences und Materialwissenschaften
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keiner Seite auf Gegenliebe gestoßen“, sagt<br />
Grimm: „Den einen ging es zu weit, den<br />
anderen zu wenig weit.“<br />
Verrechnung von Ethik?<br />
Besonders die Wissenschaft konnte mit<br />
einem solchen Vorgehen wenig anfangen:<br />
„Das Ministerium hat sich zu lange mit der<br />
Verrechnung von Ethik beschäftigt“, meint<br />
etwa Nikolaus Zacherl, Vorstand der Österreichischen<br />
Gesellschaft für Molekulare Biowissenschaften<br />
und Biotechnologie<br />
(ÖGMBT). Zacherl hält eine solche Vorgehensweise<br />
für eine Scheinobjektivierung:<br />
„Die Angaben, die zu einer Zahl führen,<br />
müssen ja dennoch fachlich geprüft werden,<br />
die Zahl allein hilft der Behörde nicht weiter.“<br />
Grimm hatte sich von den Workshops<br />
mit den Forschern etwas mehr erwartet: „Wir<br />
hatten gehofft, die Forscher nehmen unseren<br />
Vorschlag und spielen ihn durch.“ Stattdessen<br />
sei grundsätzliche Kritik an der Sinnhaftigkeit<br />
des Vorgehens geübt worden. Dennoch<br />
legte Grimm als Abschluss seiner Arbeit<br />
einen Katalog von quantifizierbaren Kriterien<br />
vor. Was danach kam, sah er nicht mehr<br />
als Teil seiner Aufgabe, sondern als politischen<br />
Prozess an, der sich nun anschloss.<br />
Im Zuge dessen fiel die Quantifizierung:<br />
„Die Vorschläge zur Quantifizierung von<br />
Schaden und Nutzen eines Tierversuchsprojekts<br />
haben die objektiven Anforderungen<br />
nicht erfüllt, eine einheitliche Berechnung<br />
für alle möglichen Projekte zu gewährleisten.<br />
Eine Berechnung wurde auch von wesentlichen<br />
Interessensvertretern dezidiert abgelehnt,<br />
vor allem aufgrund mangelnder Praxistauglichkeit<br />
bei der Umsetzung“, heißt es<br />
dazu auf Anfrage des <strong>Chemiereport</strong> vonseiten<br />
des Ministeriums.<br />
Die Reaktionen auf die pünktlich mit Jahresende<br />
veröffentlichte Verordnung fielen erwartungsgemäß<br />
unterschiedlich aus: Während<br />
die Tierversuchsgegner Gift und Galle<br />
spuckten und von „Jahren sinnloser Diskussion“<br />
sprachen, kritisieren Wissenschaftler<br />
vor allem erhöhten bürokratischen Aufwand<br />
und nach wie vor verbliebene Redundanzen<br />
zwischen Antragsformular und Kriterienkatalog.<br />
So meint etwa IMBA-Chef Josef Penninger:<br />
„In der Öffentlichkeit entsteht<br />
manchmal der Eindruck, dass bei Tierversuchen<br />
in Österreich Wildwuchs geherrscht<br />
hätte und erst der Katalog alles regelt. Dabei<br />
gab es schon bisher kaum ein Gebiet, das so<br />
streng kontrolliert wird. Der Katalog ist eine<br />
freiwillige Ergänzung der Regierung, aber<br />
auch davor musste schon für jeden Tierversuch<br />
ein detaillierter Antrag gestellt werden,<br />
den verschiedene Experten überprüfen und<br />
kritisch hinterfragen.“<br />
Schwammig oder sinnvoll?<br />
Manche Formulierungen im Verordnungstext<br />
wirken nun tatsächlich etwas schwammig.<br />
Zu Recht kritisierte die ÖGMBT in<br />
ihrer Stellungnahme zum Verordnungsentwurf:<br />
„Der Kriterienkatalog umfasst laut<br />
Anlage bei mehreren Kriterien eine Einstufung<br />
in ‚gering, mittel oder groß‘, ohne jedoch<br />
auch nur im Geringsten zu definieren,<br />
was im Zusammenhang mit dem jeweiligen<br />
Kriterium ‚gering‘, ‚mittel‘ oder ‚groß‘<br />
wäre.“ Dennoch findet Zacherl die nun<br />
veröffentlichte Variante nicht sinnlos: „Es<br />
ist nun festgelegt, nach welchen Kriterien<br />
die Behörde vorgehen muss, wenn sie einen<br />
Antrag prüft. Damit ist eine gewisse Objektivierung<br />
erreicht.“ Bruno Podesser, Professor<br />
für Laboratory Animal Research und<br />
Leiter des Departments für Biomedizinische<br />
Forschung an der Medizin-Uni Wien, sieht<br />
noch einen weiteren Aspekt: „Ein solcher<br />
Kriterienkatalog hilft den Forschern, sich<br />
über die Anforderungen klar zu werden,<br />
die an einen gut gemachten Tierversuch<br />
bestehen.“<br />
Vielen Forschern fehlt in der heimischen<br />
Öffentlichkeit ein klares Bekenntnis zu<br />
Tierversuchen: „Wenn wir komplexe Krankheiten<br />
studieren wollen, bleiben uns Tierversuche<br />
nicht erspart. Nehmen wir etwa Krebs,<br />
wie er entsteht, Metastasen bildet, wie man<br />
ihn zurückdrängen oder sogar heilen kann<br />
– das alles lässt sich nur am lebenden Organismus<br />
beobachten“, meint etwa Josef<br />
Penninger. Naturgemäß wisse man bei diesen<br />
Studien nicht dezidiert, was herauskommen<br />
werde, sonst müsse man sie ja nicht<br />
machen. Podesser nennt ein anderes Beispiel:<br />
„Es ist unabdingbar, dass Chirurgen<br />
eine Operationstechnik an einem Kaninchen<br />
trainieren können, bevor sie sie an einem<br />
Baby anwenden.“ Zu sagen, dass man in<br />
Österreich keine Tierversuche wolle, sei<br />
schlichtweg unehrlich: „Ich habe noch<br />
keinen Krebspatienten gesehen, der eine<br />
Therapie abgelehnt hätte, weil sie mit Unterstützung<br />
durch Tierversuche entwickelt<br />
wurde“, so Penninger.<br />
z<br />
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