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CHEMIEREPORT.AT 1/2016 AUSTRAIN LIFE SCIENCES Österreichs Magazin für Chemie, Life Sciences und Materialwissenschaften

CHEMIEREPORT.AT 1/2016
AUSTRAIN LIFE SCIENCES
Österreichs Magazin für Chemie, Life Sciences und Materialwissenschaften

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SERVICE: BÜCHER<br />

FÜR SIE GELESEN Von Georg Sachs<br />

Was läuft verkehrt im Euroraum?<br />

Hans-Werner Sinn ist einer der renommiertesten<br />

Ökonomen Deutschlands, Leiter des<br />

Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und in<br />

den vergangenen Jahren als pointierter Kritiker<br />

der derzeitigen Konstruktion des Euroraums<br />

und der damit verbundenen „Rettungsmaßnahmen“<br />

bekannt geworden. Das<br />

war nicht immer so: Als die gemeinsame<br />

Währung beschlossen und eingeführt wurde,<br />

gehörte Sinn zu den Euro-Befürwortern und<br />

ließ sich von den politischen Argumenten, die<br />

vorgebracht wurden, überzeugen. Warum er<br />

diesen Standpunkt heute nicht mehr vertritt,<br />

legt er in seinem aktuellen Buch „Der Euro“<br />

ausführlich dar: Viele Erwartungen seien<br />

nicht erfüllt, die Spielregeln nicht eigehalten<br />

worden. Zunächst eingetretene Harmonisierungseffekte<br />

zwischen den beteiligten Volkswirtschaften<br />

– etwa die Einebnung von Zinsunterschieden<br />

– führten zwar zu einem Kapitalfluss in die<br />

südeuropäischen Länder, verbesserten aber deren strukturelle Wettbewerbsschwäche<br />

nicht. Dabei hätten die im Vertrag von Maastricht<br />

festgelegten Regeln (Haushaltsdisziplin, Beistandsverbot für<br />

nationale Schulden) eigentlich verhindern sollen, dass der Euro<br />

zum Selbstbedienungsladen für verschuldungsfreudige Staaten<br />

Die Ökonomie als Patient<br />

Hans-Werner Sinn: „Der Euro. Von der<br />

Friedensidee zum Zankapfel“. Carl Hanser<br />

Verlag, München, 2015<br />

wird. Doch diese Regeln wurden nach und nach<br />

gebrochen: Zuerst wurde die 60-Prozent-Grenze<br />

für die Staatsschuldenquote aufgeweicht, dann fiel<br />

im Zuge diverser Rettungsmechanismen auch das<br />

Beistandsverbot. Durch wiederholte Auffangmaßnahmen<br />

insbesondere gegenüber Griechenland, sei<br />

das Kreditrisiko von den Investoren auf die Steuerzahler<br />

der nördlichen Länder übertragen worden,<br />

ohne dass ein anhaltender Einfluss auf die wirtschaftliche<br />

Struktur der Empfängerländer zu erwarten<br />

wäre. Sinn plädiert demgegenüber dafür, aus<br />

dem historischen Weg der USA zu lernen. Trotz<br />

gemeinsamer Währung ist jeder Bundesstaat dort<br />

für seine eigenen Finanznotstände selbst verantwortlich,<br />

was deren Schulden langfristig beschränkt.<br />

Anadererseits hält der Autor Schuldenerlässe in aussichtslosen<br />

Situationen für einen sinnvollen Weg<br />

und schlägt Rahmenbedingungen für einen geordneten<br />

(und keineswegs irreversiblen) Austritt von<br />

Ländern aus dem Euro-System vor, falls sie das wünschen. Langfristig<br />

sieht Sinn auch die Möglichkeit, aus der EU einen Bundesstaat<br />

nach dem Vorbild der USA oder der Schweiz zu machen – mit<br />

gemeinsamer Verteidigung und gemeinsamem Rechtssystem, aber<br />

ohne Kollektivierung der Staatsschulden. Mit einer Transferunion<br />

zu beginnen sei dazu jedoch der falsche Weg.<br />

Tomáš Sedláček, Oliver Tanzer: „Lilith<br />

und die Dämonen des Kapitals. Die<br />

Ökonomie auf Freuds Couch.“ Carl<br />

Hanser Verlag, München, 2015<br />

Der Ökonom Tomáš Sedláček und der Journalist<br />

Oliver Tanzer haben sich zusammengetan, um,<br />

wie sagen „die Ökonomie auf die Couch“ zu legen.<br />

Gemeint ist die Couch von Sigmund Freud<br />

und Carl Gustav Jung. Mit den Werkzeugen der<br />

Psychoanalyse soll nicht nur die Wirtschaft, sondern<br />

auch die Wissenschaft von ihr, die Ökonomie<br />

, auf das hin untersucht werden , was hinter<br />

den beobachtbaren Denk- und Verhaltensmustern<br />

steckt, auch auf das, was verdrängt wurde<br />

und daher an andere Stelle wieder hervorbricht,<br />

auf das Krankhafte, das sich im kollektiven Verhalten<br />

widerspiegelt. Schlüssel zu dieser Verständnisebene<br />

ist der kulturelle Schatz der Mythen. Da<br />

wird Lilith zum Symbol für den Kampf gegen ein<br />

vermeintlich unterdrückendes System, der trojanische<br />

Krieg zur Chiffre für den Umgang mit<br />

Aggression unter wechselnden äußeren Rahmenbedingungen.<br />

Anhand der Pan-Sage wird die Bedeutung<br />

der Angst demonstriert, Kassandra wird zum<br />

Sinnbild der Ökonomen, die zu wissen vorgeben,<br />

was keiner wissen kann. Dem Wirtschaftssystem der<br />

vergangenen Jahre wird manisch-depressives Verhalten<br />

attestiert, das Verschuldungsspiralen erzeugt<br />

habe. „Lilith und die Dämonen des Kapitals“ erhält<br />

eine Fülle von Anregungen, Gedanken, Nebengedanken,<br />

Wechselbezügen und lässt den Leser tief in<br />

der kulturelle Seele des Menschen blicken. Nicht<br />

immer lassen sich die Kerngedanken jedoch einfach<br />

aus dem Spiel mit den mythischen Bildern und ihren<br />

Facetten herauslesen, streckenweise vernebelt die gewählte<br />

Sprache, welche Schlüsse nun zu ziehen sind.<br />

Aber, wie die Autoren selbst schreiben: „…haben Sie<br />

schon einmal gehört, dass eine Psychoanalyse mit<br />

einer einfachen Antwort, mit einem Rezept für die<br />

Heilung des Patienten beendet worden ist?“<br />

chemiereport.at AustrianLifeSciences 1/20<strong>16</strong> | 65

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