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CHEMIEREPORT.AT 1/2016 AUSTRAIN LIFE SCIENCES Österreichs Magazin für Chemie, Life Sciences und Materialwissenschaften
CHEMIEREPORT.AT 1/2016
AUSTRAIN LIFE SCIENCES
Österreichs Magazin für Chemie, Life Sciences und Materialwissenschaften
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COVER<br />
Dass in anderen Branchen und Bereichen<br />
neue Arbeit entstehen wird. Wenn wir nur<br />
auf enge Segmente schauen, werden dort Arbeitsplätze<br />
verloren gehen. Aber im Softwarebereich,<br />
im Dienstleistungsbereich, angedockt<br />
an Losgrößen 1 in der Produktion,<br />
wird es neue Arbeitsplätze geben, und zwar<br />
hochspannende. Unterm Strich wird – wenn<br />
wir es richtig machen – mehr Arbeit übrig<br />
bleiben.<br />
Manche Analytiker sagen, das Ergebnis<br />
der heutigen Veränderungen wird nicht<br />
die „Industrie 4.0“ sein, sondern die<br />
„Manufaktur 2.0“, weil die dezentrale<br />
Produktion eine immer größere Rolle<br />
spielen wird.<br />
Auch das kann eines der Szenarien sein. Es<br />
wird enorme Chancen geben, auch die Möglichkeiten<br />
jedes Einzelnen werden sehr viel<br />
größer werden. Das ist ein sehr spannender<br />
Weg und eine große Herausforderung für<br />
den Arbeitsmarkt. Denn es geht nicht nur<br />
um Losgröße 1 in der Produktion, sondern<br />
auch um Arbeitsmarktanforderungen in der<br />
Losgröße 1, also die ganz spezifische Qualifikation<br />
und Anforderung, die es nur einmal<br />
gibt.<br />
Der Eindruck drängt sich auf, die<br />
Entwicklung gehe gleichsam zu den Verlagssystemen<br />
des 19. Jahrhunderts zurück.<br />
Damals waren Scheinselbstständige für<br />
einen einzigen Arbeitgeber tätig und von<br />
diesem vollständig abhängig.<br />
Die große Herausforderung ist: Was heißt<br />
die derzeitige Entwicklung für den Arbeitsmarkt,<br />
für individuelle Arbeitsplätze, für<br />
Arbeit an sich? Die Arbeit und die Arbeitsplätze<br />
werden uns nicht ausgehen. Sie werden<br />
aber anders werden, und sie werden<br />
höhere Fähigkeiten und Qualifikationen<br />
sowie auch eine höhere Resilienz der Arbeitnehmer<br />
erfordern. Aber letztlich überwiegen<br />
die Chancen und nicht die Risken. Und<br />
da komme ich wieder zur Wertschöpfungsabgabe:<br />
Sie ist eine alte Antwort auf ganz<br />
neue Phänomene. Daher ist sie nicht die<br />
richtige Antwort. Wir brauchen andere Antworten,<br />
über die wir in der IV auch sehr<br />
intensiv nachdenken. Wir brauchen Lösungen<br />
auch für die Menschen, die womöglich<br />
aus den Arbeitsprozessen hinausfallen.<br />
Wir werden demnächst dazu konkrete politische<br />
Empfehlungen vor legen.<br />
Sie sprachen bereits von den Herausforderungen<br />
durch ökologische Themen. Wie<br />
stehen Sie zur Ökologisierung des Steuersystems?<br />
Laut WIFO-Chef Karl Aiginger<br />
würden damit Beschäftigung und Wachstum<br />
angekurbelt und die CO 2 -Emissionen<br />
gesenkt.<br />
Österreichs Unternehmen sind sowohl bei<br />
den CO 2 -Emissionen als auch bei vielen anderen<br />
ökologischen Kenngrößen sehr gut<br />
aufgestellt. Die Grundsatzentscheidung ist:<br />
Wollen wir Produktionszweige in diesem<br />
Land erhalten, die international wettbewerbsfähig<br />
sind und exzellent bezahlte<br />
sichere Arbeitsplätze bieten? Wenn ja,<br />
brauchen wir einen Mittelweg. Ein Hinaufschnalzen<br />
der Ökosteuern, die wir ja schon<br />
haben, von der Ökostromabgabe bis zur Energiesteuer,<br />
bringt nicht die Benefits, die<br />
manche Wirtschaftsforscher erwarten. Die<br />
sehr umweltfreundliche österreichische Industrie,<br />
von der Stahl- über die Chemie- bis<br />
zur Zementindustrie, zu belasten, ist äußerst<br />
kurzsichtig, ja, in der jetzigen Situation fast<br />
blauäugig.<br />
Aiginger will nicht nur die CO 2 -Kosten<br />
erhöhen, sondern gleichzeitig die Lohnnebenkosten<br />
substanziell senken.<br />
Als gelernter Österreicher sage ich, nicht zuletzt<br />
angesichts der Budgetprobleme: Es wird<br />
so nicht sein. Wenn zusätzliche Ökosteuern<br />
eingeführt werden, wird es auf der anderen<br />
Seite keine Steuersenkungen geben. Denn<br />
der Staat, so wie er jetzt aufgestellt ist, ist zu<br />
den notwendigen Reformen nicht fähig. Daher<br />
wäre die sogenannte „Ökologisierung des<br />
Steuersystems“ unter den gegebenen Rahmenbedingungen<br />
der falsche Weg.<br />
Das heißt, wir bräuchten zuerst einmal<br />
eine Verwaltungsreform.<br />
Da kann ich nur schmunzeln. Natürlich:<br />
Heuer finden die Finanzausgleichsverhandlungen<br />
statt, die ein Hebel sein könnten.<br />
Unser dringender Appell ist: Nutzen wir<br />
diese Verhandlungen für eine Bereinigung<br />
der Aufgabenstrukturen. Machen wir die<br />
Dinge dort, wo wir sie am besten, am effizientesten<br />
und am bürgernähesten machen<br />
können. Und schaffen wir es damit, unsere<br />
Effizienz zu steigern, unsere Verwaltung neu<br />
aufzustellen und letztlich sogar Geld zu sparen.<br />
Der Finanzminister hat unsere volle Unterstützung<br />
in dieser Frage. Wir werden auch<br />
weiter diesen Prozess sehr intensiv begleiten<br />
und unsere Expertise anbieten. Aber wir wissen,<br />
in den nächsten Monaten wird ein hartes<br />
Stechen stattfinden.<br />
Was erwarten Sie sich vom Pariser<br />
Klima-Abkommen vom Dezember?<br />
Wir bekennen uns zu den Klimazielen. Allerdings<br />
müssen sich auch alle anderen<br />
großen Volkswirtschaften wirklich festlegen.<br />
Daher sind wir gegen weiteres einseitiges<br />
Vorpreschen Europas, das nur für rund<br />
zehn Prozent der globalen CO 2 -Emissionen<br />
verantwortlich ist. Wir brauchen faire Bedingungen.<br />
Dann kann die Vereinbarung<br />
von Paris einen wirklich positiven Effekt<br />
haben, und dann ist es auch möglich, unsere<br />
Arbeitsplätze und unsere sehr umwelteffiziente<br />
Industrie zu erhalten. Letztlich geht es<br />
auch um ein faires Burden-sharing innerhalb<br />
der EU. Man muss ehrlich, genau und<br />
fair hinsehen, wer welche CO 2 -Reduktionen<br />
schultern kann und wer schon Vorleistungen<br />
getätigt hat. Die Vorleistungen der<br />
österreichischen Industrie müssen anerkannt<br />
werden.<br />
Einer der Kritikpunkte am Pariser Abkommen<br />
ist, dass nur die EU-Mitglieder<br />
international rechtsverbindliche Ziele<br />
haben, alle anderen Staaten dagegen nur<br />
nationalstaatlich bindende Ziele.<br />
Das ist nach wie vor ein Fehler in diesem<br />
Gesamtsystem. Wir wissen, dass die Ziele<br />
Chinas und der USA nicht sehr ambitioniert<br />
sind, die Ziele der EU dagegen sehr wohl.<br />
Also letztlich muss das Vorgehen Europas in<br />
einem vernünftigen Verhältnis zu dem der<br />
anderen Wirtschaftsmächte stehen.<br />
Wie steht die IV zu TTIP, dem geplanten<br />
Handelsabkommen mit den USA?<br />
Grundsätzlich stehen wir allen internationalen<br />
Handelsabkommen positiv gegenüber,<br />
wenn sie richtig gemacht sind. Es gilt, auch<br />
die Chancen zu betrachten, die sich aus<br />
einem Handelsabkommen zwischen den beiden<br />
immer noch größten Wirtschaftsräumen<br />
der Welt ergeben. Für uns ist entscheidend,<br />
wie das Abkommen letztlich aussieht. Es<br />
muss fair sein. Dann ist es zu bewerten, und<br />
dann ist Ja oder Nein zu sagen. Wir haben<br />
einen sehr pragmatischen Zugang. Die Anti-<br />
TTIP-Hysterie ist uns über weite Strecken<br />
wenig verständlich. Sie hat auch viel mit<br />
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