SOCIETY 368 / 2015
Nr. 368 I Nr. 2 - 2015
Nr. 368 I Nr. 2 - 2015
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DIPLOMATIE<br />
CHINA<br />
Die Seidenstraßen-<br />
Initiative<br />
Die Wiederbelebung der Seidenstraße von Asien<br />
nach Europa soll den Ländern entlang der Route<br />
internationalen Wohlstand und Frieden bringen.<br />
TEXT: IRENE GINER-REICHL<br />
»Österreich hat<br />
sein Interesse<br />
an der Wiederbelebung<br />
der<br />
Seidenstraße<br />
während des<br />
Staatsbesuchs<br />
von BP Fischer<br />
in China<br />
deponiert.<br />
«<br />
ZUR PERSON<br />
Dr. Irene Giner-Reichl ist die<br />
österreichische Botschafterin<br />
in der VR China und der<br />
Mongolei. 1982 Eintritt in<br />
den diplomatischen Dienst.<br />
1998-2001 Ständige Vertreterin<br />
Österreichs bei den<br />
Vereinten Nationen in Wien.<br />
2001 bis 2004 Leiterin des<br />
UNIDO-Büros in New York.<br />
2005 bis 2012 Sektionsleiterin<br />
verantwortlich für<br />
Entwicklungspolitik.<br />
Chinas außenpolitische und außenwirtschaftliche<br />
Prioritäten bündeln<br />
sich seit Herbst 2013 in der Wiederbelebung<br />
der terrestrischen und maritimen<br />
Seidenstraßen, die Asien, Afrika<br />
und Europa stärker miteinander verbinden sollen.<br />
Mehr als sechzig Länder, die insgesamt zwei<br />
Drittel der Weltbevölkerung beheimaten, sind<br />
mittlerweile von der Seidenstraßen-Initiative erfasst,<br />
die von China als „yi dai, yi lu“ – „ein Gürtel,<br />
eine Straße“ – bezeichnet wird.<br />
Ausbau der Infrastruktur, Belebung von Handel<br />
und Tourismus, verstärkte Investitionen in<br />
den Ländern entlang der Seidenstraßen sollen<br />
eine Wohlstandsmehrung für alle bringen. Chinesische<br />
Überkapazitäten bei der Produktion von<br />
u.a. Stahl und Zement und Infrastruktur-Firmen<br />
im allgemeinen, und überschüssige finanzielle<br />
Liquidität sollen eingesetzt werden, um den<br />
Nachholbedarf der Länder entlang der Seidenstraßen<br />
zu befriedigen (rund acht Billionen US-<br />
Dollar bis 2020 laut Asian Development Bank).<br />
Innerchinesisch sollen vor allem die derzeit<br />
noch hinter den Wohlstandswerten der Ostküstengebiete<br />
nachhinkenden Provinzen in Zentralund<br />
Westchina aufholen. Auch international hat<br />
„Ein Gürtel, eine Straße“ hohe Entwicklungsrelevanz.<br />
Entlang den Seidenstraßen liegen Länder<br />
mit sehr geringem Pro-Kopf-Einkommen (wie<br />
etwa Bangladesch, Tadschikistan oder Pakistan)<br />
und Konfliktherde (wie Syrien, Irak, Afghanistan<br />
oder auch die Ukraine), die sich seit Jahren und<br />
teilweise Jahrzehnten einer friedlichen Lösung<br />
entzogen haben.<br />
•<br />
MITWIRKUNG ÖSTERREICHS<br />
Europa erreichen die Seidenstraßen in Südost/<br />
Ost-Europa bzw. im Mittelmeer. Mit den Ländern<br />
Ost- und Süd-Ost-Europas intensivierte China seit<br />
2012 seine Beziehungen unter dem Titel „16+1“.<br />
Die 16 Länder sind Albanien, Bosnien und Herzegowina,<br />
Bulgarien, Estland, Kroatien, Lettland,<br />
Litauen, Mazedonien, Montenegro, Polen, Rumänien,<br />
Serbien, Slowenien, Tschechische Republik,<br />
Slowakische Republik und Ungarn. Sie hielten<br />
bislang drei Gipfel – in Warschau 2012, Bukarest<br />
2013 und Belgrad 2014. Die Gruppe gab sich ein<br />
Sekretariat und besiegelte beträchtliche Infrastrukturprojekte:<br />
die Eisenbahnverbindung von<br />
Belgrad nach Budapest wird von China gebaut;<br />
der slowenische Hafen von Koper modernisiert,<br />
und eine Anbindung des Hafen Piräus, an dem<br />
der chinesische Container-Transport-Riese Cosco<br />
große Anteile hält, an das bestehende griechische<br />
Eisenbahnnetz geschaffen. Die EU arbeitet intensiv<br />
an einer Schnittstelle zu ihren eigenen grenzübergreifenden<br />
Infrastruktur-Programmen in der<br />
Region.<br />
Da österreichische Firmen großes Interesse<br />
haben, ihre Vor-Ort-Expertise und technologische<br />
Führerschaft zu nützen, um Kooperationen mit<br />
China in Ländern entlang der Seidenstraßen<br />
(Schlagwort: Drittland-Kooperationen) einzugehen,<br />
hat Österreich sein Interesse an der Mitwirkung<br />
an der Seidenstraßen-Initiative während<br />
des Staatsbesuches von BP Fischer in China im<br />
März <strong>2015</strong> auf höchster Ebene deponiert. Österreich<br />
war auch Gründungsmitglied der Asian<br />
Infrastructure Investment Bank (AIIB), der neugeschaffenen<br />
Seidenstraßen-Bank. Da Auftragsvergaben<br />
im Rahmen von AIIB Projekten Mitgliedsländern<br />
vorbehalten sind, eröffnen sich<br />
dadurch neue Möglichkeiten für österreichische<br />
Firmen. Im Zuge des Staatsbesuches wurde vom<br />
chinesischen Premierminister LI Keqiang die<br />
offizielle Einladung an Österreich gerichtet, in<br />
Zukunft am „16+1“ Prozess als Beobachter mitzuwirken.<br />
Die Belebung insbesondere der terrestrischen<br />
Transportwege von Asien nach Europa ist auch<br />
für die Länder Zentralasiens – und für die österreichischen<br />
Firmen mit besonderer Expertise, vor<br />
allem in Kasachstan, Iran und Türkei – von großem<br />
Interesse, da dadurch neue Logistikmöglichkeiten<br />
entstehen und die Länder als Investitionsstandorte<br />
interessanter werden. Österreichische<br />
Logistikunternehmen engagieren sich bereits<br />
aktiv, die „Seidenstraße“ auf Straße und Bahn zu<br />
nützen und österreichische Firmen positionieren<br />
sich, die neuen Möglichkeiten zu nützen. •<br />
FOTO: BMEIA<br />
62 | <strong>SOCIETY</strong> 2_<strong>2015</strong>