2015-03
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der Deuzer Kirche der Kirchengemeinde Rödgen angegliedert<br />
wurden. Erstmals verhandelte das Prebyterium in<br />
seiner Sitzung vom 18. Februar 1904 über einen Umpfarrungsantrag,<br />
den einige Gemeindeglieder der Ortschaften<br />
Anzhausen und Flammersbach gestellt hatten. Wegen des<br />
dadurch entstehenden Kirchensteuerausfalls von schätzungsweise<br />
600 Mark jährlich bestand in Netphen zunächst<br />
keine Neigung, den Antrag zu befürworten.<br />
Das königliche Konsistorium der Provinz Westfalen beschied<br />
die Antragsteller nach vorheriger Konsultation mit<br />
dem Netphener Presbyterium wie folgt: „Auf die Eingabe<br />
vom 29. Dezember 19<strong>03</strong> gereicht Ihnen und den Unterzeichnern<br />
der Eingabe hierdurch zum Bescheide, dass wir die<br />
beantragte Auspfarrung der evangelischen Einwohner von<br />
Flammersbach und Anzhausen zur Kirchengemeinde Rödgen<br />
zur Zeit nicht in Aussicht nehmen können, weil dadurch<br />
die Kirchengemeinde Netphen eine finanzielle Schwächung<br />
erfahren würde, die ihr mit Rücksicht auf ihre jetzige schwere<br />
Belastung nicht zugemutet werden darf. Der Steuerausfall<br />
würde etwa 600 bis 700 Mark im Jahre betragen.“<br />
Gerichtet ist der Brief an Herrn Presbyter Jakob Kunz<br />
in Flammersbach, der sich offensichtlich an die Spitze der<br />
Antragsteller gesetzt hatte. Bereits drei Jahre später stimmt<br />
das Presbyterium in seiner Sitzung vom 3. Juli 1907 einstimmig<br />
der immer noch begehrten Umpfarrung beider Ortschaften<br />
unter der Bedingung zu, „dass uns für den entstehenden<br />
Ausfall an Kirchensteuern in Höhe von 950 Mark<br />
eine dauerhafte laufende Entschädigung von jährlich 500<br />
Mark bzw. ein einmaliges Ablösekapital von 12.000 Mark<br />
gewährt wird.“ Ob eine dieser beiden Varianten zur Anwendung<br />
kam oder ob eine andere Lösung gefunden wurde,<br />
ist nicht überliefert. Fest steht aber, dass zum 1. April<br />
1908 die Umpfarrung der evangelischen Gemeindeglieder<br />
zur Kirchengemeinde Rödgen erfolgte. Die katholischen<br />
Gemeindeglieder hingegen wurden am 7. Oktober 1916 der<br />
Kirchengemeinde Rudersdorf zugeordnet.<br />
Die Besoldungshöhe der Pfarrer wurde bis zum Jahre<br />
1905 durch die Kirchengemeinde selbst bestimmt. Daher war<br />
es für jede Kirchengemeinde wichtig, viele Gemeindeglieder<br />
zu haben, damit die Kosten der Gebäudeunterhaltungen und<br />
die Besoldung der Pastoren gesichert werden konnten.<br />
Die alten Kirchwege sind nicht in Vergessenheit geraten.<br />
In Netphen hat sich eine Gruppe gefunden, die – immer in<br />
anderen Ortschaften der früheren Kirchengemeinde startend<br />
– zeitig am Sonntagmorgen zunächst den mehr oder<br />
weniger langen Wanderweg auf sich nimmt, um in der<br />
Martini-Kirche am Gottesdienst teilzunehmen. Mehr als<br />
dreißig Interessierte sind es, die zwei Mal im Jahr dem Weg<br />
der Kirchgänger folgen, die in den vorigen Jahrhunderten<br />
aus den verschiedenen, weiter entfernt gelegenen Orten die<br />
Kirche in Netphen besuchten und sich nach dem Gottesdienst<br />
auf den beschwerlichen Heimweg begaben, der in alle<br />
Richtungen bergaufwärts führte. Auch der Anzhausener<br />
Heimatverein hält die alte Tradition aufrecht. Ende Oktober<br />
erwandern alljährlich zahlreiche Mitglieder den Kirchweg<br />
und nehmen anschließend abwechselnd am evangelischen<br />
und katholischen Gottesdienst teil.<br />
Heinz Stötzel<br />
Jubel und Hurra beim Begräbnis<br />
Nicht nur die Netphener Kirche, sondern auch der dort gelegene<br />
Friedhof war viele Jahrhunderte lang das Ziel der Christen<br />
im Kirchspiel. Die Anzhausener Katholiken zum Beispiel erhielten<br />
erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Erlaubnis, den<br />
heimischen Friedhof zu nutzen. Nachstehend zu diesem Thema<br />
eine Passage aus dem Buch „1912“ von Ulli Weber.<br />
„Welch ein Glück war es, dass seit wenig mehr als zehn<br />
Jahren auch die Katholiken ihre Toten auf dem Friedhof ‚Am<br />
Scheidsgarten’ bestatten durften. Da es verboten war, nachmittags<br />
Messen abzuhalten, hätte man andernfalls schon in der<br />
Nacht aufbrechen müssen, um über den so genannten Totenweg<br />
den Verblichenen zur letzten Ruhestätte nach Netphen zu<br />
begleiten. Dies war oft genug mit Unannehmlichkeiten verbunden<br />
gewesen. In der kälteren Jahreszeit gab es bei schneebedeckten<br />
Wegen gelegentlich Stürze mit bösen Folgen. Und bei<br />
Hochwasser, wenn der Fuhrmann des Leichenwagens, der ein<br />
ganz normaler Erntewagen war, den kürzeren Weg durch eine<br />
Furt oberhalb Netphens nahm, war es vorgekommen, dass sich<br />
der Sarg selbstständig gemacht hatte und davonschwamm.<br />
Indes: Eine alte Sitte forderte, dass aus jedem Haus des<br />
Ortes wenigstens eine Person den Leichenzug begleitete. Ab<br />
einem gewissen Alter wurde niemandem mehr zugemutet, den<br />
weiten Weg auf sich zu nehmen. Und da diejenigen, die in<br />
einer Grube oder in der Fabrik beschäftigt waren, ebenfalls<br />
nicht zur Verfügung standen, folgten dem Sarg in Erfüllung<br />
der häuslichen Pflicht teilweise recht junge Trauergäste, die<br />
oft genug in keinem persönlichen Verhältnis zum Verstorbenen<br />
gestanden hatten. Diese jungen Leute hatten der guten alten<br />
Sitte jedoch eine neue schlechte hinzugefügt, so dass sich ein<br />
Landmann im 19. Jahrhundert zu folgender Leserzuschrift an<br />
das Siegener Intelligenzblatt genötigt sah:<br />
‚Dringender Wunsch. Es ist im Netphener Kirchspiel üblich,<br />
dass bei Leichen-Beerdigungen die Nachbar-Burschen und<br />
-Mädchen sowie andere Bekannte dem Leichenzug beiwohnen<br />
und nach der Beerdigung von denjenigen Burschen oder Mädchen,<br />
welche zum ersten Mal einem Leichenzug beiwohnen, mit<br />
Schnaps etc. traktiert werden. Hierdurch entstehen nicht allein<br />
manchem armen Manne unnütze Kosten, sondern das Leichenbegräbnis<br />
artet in Saufgelage aus, und die Leichenbegleiter<br />
ziehen, nachdem sie in den Netphener Wirtshäusern sich mit<br />
geistigen Getränken überladen, unter Jubel und Hurra nach<br />
Hause. Was dieser Unfug für einen schmerzhaften Eindruck auf<br />
die in tiefer Trauer sich befindenden Hinterbliebenen des Beerdigten<br />
macht, lässt sich kaum denken, und es wäre daher sehr<br />
zu wünschen, wenn diesem Unfug von Seiten der geistlichen<br />
oder weltlichen Behörde baldigst Schranken gesetzt würden.<br />
Ein Landmann aus dem Kirchspiel Netphen.’<br />
Mit dieser Unsitte hatte es nun glücklicherweise ein Ende.<br />
Dadurch, dass der Friedhof in unmittelbarer Nähe des Ortes<br />
lag, konnten jetzt auch ältere Dorfleute als Trauergäste an den<br />
Beerdigungen teilnehmen, und die Jugend war nur noch dabei,<br />
wenn ein junger Mensch gestorben war. Seit der Friedhof im<br />
Jahre 1832 von den evangelischen Einwohnern Anzhausens<br />
eingerichtet wurde, hatten die katholischen Christen den jetzigen<br />
Zustand herbeigesehnt.“<br />
3/<strong>2015</strong> durchblick 21