2015-03
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Gesellschaft<br />
Besuch im „Wilden Osten“<br />
Landflucht einmal anders<br />
Zu DDR-Zeiten gab es in dem Dorf Kunow, 130 km<br />
nordwestlich von Berlin, noch alles, was man so zum<br />
täglichen Leben brauchte: Da war ein Bäcker, es gab<br />
einen Fleischerladen, einen Friseur, einen Schuster und ein<br />
Schuhgeschäft. Es gab einen Textilladen und natürlich eine eigene<br />
Schule und selbstverständlich auch einen Kindergarten.<br />
Heute liegt Kunow wie verlassen da, Kinder sind nicht<br />
zu sehen, man hört nur Hunde kläffen, wenn man die Straße<br />
entlang geht. Die einzige Gaststätte und Kneipe, die ich<br />
vor drei Jahren noch besucht habe, hat geschlossen. In den<br />
Häuserreihen beidseits der breiten,<br />
schnurgeraden Hauptstraße mit ihren<br />
Straßenbäumen gibt es auch traurige<br />
Leerstände. Das große Schulgebäude<br />
gammelt vor sich hin, es wird nicht<br />
mehr gebraucht. Es gibt gar keine Läden<br />
mehr. Um den Erhalt ihrer Kirche<br />
müssen sich die Dorfbewohner selbst<br />
kümmern. Einen eigenen Pfarrer hat<br />
die Gemeinde auch nicht mehr. Das<br />
aber kennen wir auch hier im Westen<br />
der BRD. Kunow liegt in einer wunderschönen<br />
Gegend mit fruchtbaren,<br />
schier endlosen Feldern, immer wieder<br />
unterbrochen durch große und<br />
kleinere Baumgruppen. Und dann<br />
die alten Baumalleen, wie wir sie<br />
nach der Wiedervereinigung kennen<br />
gelernt haben. Gott sei Dank, hier hat<br />
man die Bäume nicht dem Straßenverkehr<br />
geopfert. Bei aller Schönheit,<br />
die Landflucht der jungen Leute ist<br />
hier besonders stark zu spüren.<br />
In dieser verlassenen Gegend haben sich nach der Wende<br />
zwei der Töchter meiner Freundin alte Bauernhöfe gekauft.<br />
Das heißt, jede hat eines der langgestreckten Wohnhäuser<br />
an der Straße erworben, mit großem Hof und den<br />
dazu gehörenden Wirtschaftsgebäuden. Dahinter liegt das<br />
offene Land. Die dritte Tochter hat später nachgezogen und<br />
mit ihrer Partnerin in einem der Nachbardörfer ein kleines<br />
Haus mit einer Riesenscheune auf einem großen Grundstück<br />
gekauft, beim Kauf eher ungepflegt und mit allen<br />
Hinterlassenschaften der Vorbesitzer.<br />
Ich bin zum dritten Mal in Kunow und erlebe, wie sich im<br />
Laufe der Zeit mit viel Liebe und noch mehr Arbeit aus den<br />
alten, hinfälligen Häusern wahre Schmuckkästen entwickelt<br />
haben. Selbst die Stallungen und Wirtschaftsgebäude sind<br />
genutzt, als poppiger Party-Raum oder als Werkstatt, Stall<br />
oder Lagerplatz. Wirklich fertig ist diese Arbeit aber nicht, da<br />
bleibt noch viel zu tun. Das Ergebnis ist sehr beeindruckend.<br />
Es ist schon mutig von den Berliner Stadtgören, sich hier<br />
auf dem Lande anzusiedeln. Alle drei sind berufstätig, eine<br />
sogar noch in Berlin. Keine möchte wieder zurück in die<br />
Großstadt, sie genießen das Landleben und die so ganz andere<br />
Nachbarschaft der „Ureinwohner“ des Dorfes.<br />
Hier ist auch genügend Platz für arme, misshandelte<br />
Hunde aus Rumänien oder Kreta, für zugelaufene Katzen<br />
und vor allem für eigene Pferde. Zurzeit gibt es zwei: eine<br />
Haflinger Stute und einen Isländer Wallach, das dritte ist<br />
unterwegs. Die Haflingerstute (Bild) hat schon ein dickes<br />
Bäuchlein und bewegt sich<br />
entsprechend schwerfällig.<br />
Eine absolute Attraktion<br />
sind die nistenden Störche<br />
hinter dem Haus. Wir beobachten<br />
das immer gleich<br />
bleibende Ritual, wenn<br />
einer der Störche zur Fütterung<br />
kommt. Die großen<br />
Vögel begrüßen sich ausgiebig<br />
und liebevoll, ehe<br />
die Jungen gefüttert werden<br />
Dann erst fliegt der zweite<br />
Elternvogel los zur Futtersuche,<br />
und der andere wacht<br />
im Nest über die fast schon<br />
flüggen Jungen.<br />
28 durchblick 3/<strong>2015</strong>