2015-03
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Unterhaltung<br />
Der Gartenzwerg<br />
– Eine Gute-Nacht-Geschichte –<br />
Bitte, Oma erzähl uns eine Geschichte, aber eine<br />
neue, echt wahre, die wir noch nicht kennen. Meine<br />
Geschichten sind doch alle „echt wahr“entgegnete<br />
ich mit einem Augenzwinkern.<br />
Die Kinder lagen frisch gebadet in ihren Betten und<br />
sollten schlafen. Doch dann kam dieser Wunsch nach einer<br />
neuen Geschichte. Gut, dachte ich, sollen sie ihre Geschichte<br />
haben. Wie ihr wisst, habe ich den ganzen Nachmittag<br />
im Garten gearbeitet und dabei so Einiges erlebt, sagte ich.<br />
Der Gartenzwerg, der mitten im Blumenbeet steht,<br />
meinte, gut dass du kommst. Ich musste in den letzten Tagen<br />
sozusagen einen Krieg verhindern. Der Bärlauch hatte<br />
gegen die Maiglöckchen gekämpft und, schau es dir an –<br />
verloren. Du hattest ja viele Blätter abgezupft, weil man<br />
sie essen kann. Dafür war ich dir auch sehr dankbar, denn<br />
ich mag den Geruch nicht besonders, aber nun hängen die<br />
letzten Blättchen armselig herum und da sagst du immer:<br />
„Alles neu macht der Mai!“.<br />
Natürlich sind die Blüten des Bärlauchs auch wunderschön,<br />
wie kleine Sternchen. Doch machen wir uns nichts<br />
vor, die Maiglöckchen sind nun mal auf dem Vormarsch.<br />
Dabei sind sie giftig. Sag das den Kindern!<br />
Und noch etwas, streckte doch gestern ein Regenwurm<br />
seinen Kopf vor mir aus der Erde. Ich erkannte ihn sofort.<br />
Es war der, der schon früher immer was zu meckern hatte,<br />
und richtig, die Erde sei zu trocken, ich solle mal Regen<br />
bestellen, meinte er. Als ob das so einfach wäre.<br />
Dann kamen einige Schnecken vorbei, nicht nur die,<br />
die ihr Zuhause immer mit sich herumschleppen. Sie beschwerten<br />
sich über deine schönen Tulpen. Die Blätter<br />
schmeckten ihnen nicht und an die Blüten kämen sie nicht<br />
Foto: Gudrun Neuser<br />
heran. Sie hätten das Gefühl, es kämen schlechte Zeiten<br />
auf sie zu. Alle Welt würde Jagd auf sie machen. In keinem<br />
Garten wären sie mehr sicher.<br />
Und noch etwas muss ich dir sagen. Dort auf der Wiese<br />
ist ein kleines Häufchen Erde. Dort streckte vor einigen<br />
Tagen ein Maulwurf vorwitzig seinen Kopf heraus. Hallo<br />
rief er, wo bin ich denn hier gelandet? Ist ja richtig trostlos<br />
hier. Gehört dir dieser Garten? Nein sagte ich, er gehört<br />
nicht mir, doch ich hab hier die Aufsicht und muss darauf<br />
achten, dass alles seine Ordnung hat. Deshalb rate ich dir,<br />
schnellstens wieder dahin zu gehen, wo du herkommst. Ja,<br />
ja, rief er, du brauchst nicht gleich so grantig zu werden. Ich<br />
bin zur Zeit auf Brautschau, doch hier sind keine Mädels zu<br />
sehen, also geh ich lieber wieder zurück in Nachbars Garten.<br />
Mach`s gut, rief er noch, dann war er verschwunden.<br />
Du kannst mir dankbar sein, glaub mir, eine Wiese mit<br />
vielen Maulwurfhügeln ist kein schöner Anblick. Da hast<br />
du Recht, sagte ich zum Gartenzwerg, ich bin dir wirklich<br />
dankbar.<br />
Da du gerade da bist, meinte der Gartenzwerg, muss ich<br />
dir noch etwas sagen, die Brennnesseln auf meinem schönen<br />
Beet machen sich richtig mausig. Zieh dir Handschuhe an,<br />
wenn du dich an sie heran wagst. Man muss sie mit der Wurzel<br />
ausreißen, sonst sind sie ruck-zuck wieder da. Und sag<br />
mal, ich vermisse den Löwenzahn, wo ist er geblieben? Ich<br />
liebe seine gelben Blüten und wenn sie verblüht sind und<br />
die Pusteblumen dann ihre lustigen Fallschirmchen durch<br />
die Luft schicken, freue ich mich immer. Doch nun finde<br />
ich sie nicht mehr. Hör auf, sagte ich zum Gartenzwerg, ich<br />
werde über deine Beschwerden nachdenken, doch nun<br />
muss ich erst mal Pause machen, du weißt – mein Rücken!<br />
Ja, ja, dein Rücken, aber schließlich bist du auch nicht mehr<br />
die Jüngste, entgegnete der Gartenzwerg.<br />
Doch etwas muss ich dir unbedingt noch erzählen. Ich<br />
habe ein Gespräch belauscht. Die Kinder waren hier und<br />
sprachen über einen gewissen Hugo. Sein Anzug sei nicht<br />
mehr zeitgemäß, seine Zipfelmütze sei schmutzig und überall<br />
sei an ihm die Farbe abgeblättert. Sie wollen dich um<br />
Pinsel und Farbe bitten, um ihm ein neues Outfit zu verpassen.<br />
Weißt du, normalerweise bin ich ja nicht so schwer von<br />
Begriff, doch es hat etwas gedauert, bis ich gemerkt habe,<br />
dass sie von mir sprachen. Also, sag ihnen, ich hätte nichts<br />
dagegen, wenn sie mich verschönern wollen und der Name<br />
Hugo, ja der gefällt mir auch.<br />
Nach einem Blick auf meine Lieblinge sah ich, dass<br />
der Gartenzwerg sich in den Sandmann verwandelt hatte<br />
und sie inzwischen im Reich der Träume gelandet waren.<br />
Vielleicht hatten sie sich dort schon mit Pinsel und Farbe<br />
bewaffnet und waren dem lieben Hugo zu Leibe gerückt.<br />
Ingeborg Knies<br />
42 durchblick 3/<strong>2015</strong>