2015-03
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Erinnerung<br />
Flucht aus der Schule<br />
3 Fotos: Archiv Schneider<br />
Die Geisweider Volksschule.<br />
Links: 1937. Rechts: 2007, jeweils mit dem<br />
Autor vor der beschriebenen Treppe.<br />
Mitte: kurz vor dem Abriss.<br />
Im Frühsommer 1939 wurden in Deutschland die<br />
Konfessionsschulen aufgehoben und es gab nur noch<br />
die Gemeinschaftsschulen, in denen katholische und<br />
evangelische Kinder gemeinsam unterrichtet wurden. Das<br />
brachte auch eine Änderung im Lehrkörper mit sich. Wir<br />
an der Geisweider Schule bekamen eine katholische Lehrerin<br />
mit Namen Berta Mönnig, eine zur Lehrerin geborene<br />
Frau, der ich, was meine Allgemeinbildung anbelangt, viel<br />
zu verdanken habe. Und es tut mir heute noch sehr leid, dass<br />
ich, ihr Musterschüler, ihr eine ganz herbe Enttäuschung<br />
bereiten musste. Und das kam so:<br />
Wir hatten außer mittwochs jeden Tag von acht bis dreizehn<br />
Uhr Unterricht. Nur mittwochs durften wir Jungen um<br />
zwölf Uhr nach Hause gehen. Meine Mutter wusste das und<br />
hatte dann immer das Mittagessen fertig gekocht. An dem<br />
Mittwoch, um den es nun geht, war mein Bruder Walter auf<br />
Fronturlaub und wir hatten uns schon auf das gemeinsame<br />
Mittagessen gefreut. Es sollte Koteletts geben, und die gab<br />
es nicht so oft während des Krieges.<br />
Als die letzte Schulstunde zu Ende war, verließen wir<br />
Jungen das Klassenzimmer und gingen im Treppenhaus<br />
die Treppe hinab, dabei hat einer vor Übermut laut gepfiffen.<br />
Unser Fräulein Mönnig hatte das noch gehört und rief<br />
uns zurück. Wir ahnten nichts Gutes. Sie fragte: „Wer hat<br />
gepfiffen?“ Natürlich meldete sich auch auf mehrmaliges<br />
Nachfragen niemand. Die Konsequenz war, dass uns die<br />
Freistunde gestrichen wurde. Wir gingen auf den Schulhof,<br />
denn von 12 Uhr bis 12:05 war noch mal eine kurze Pause.<br />
Nun stand ich da, von Zweifeln geplagt: Was sollte ich<br />
tun? Ich ärgerte mich gewaltig über diesen Lumpen, der<br />
sich nicht gemeldet hatte, und ich dachte daran, dass meine<br />
Mutter und mein Bruder nun mit dem schönen Essen auf<br />
mich warten mussten.<br />
Ich packte meinen Mut und meinen Unmut zusammen<br />
und rannte vom Schulhof auf dem kürzesten Weg nach<br />
Hause. Ich erzählte zu Hause nichts von dem Vorfall und<br />
wir hatten gerade angefangen mit Essen, als die Türe aufging<br />
und mein Klassenkamerad Hermann Klaes zu uns in<br />
die Küche trat und mich aufforderte, sofort in die Schule<br />
zurückzukehren. Ich ging mit und trat in die Klasse, in der<br />
Fräulein Mönnig diese letzte Stunde noch unterrichtete. Ich<br />
hatte die Klassentüre kaum geöffnet, als ich auch schon mit<br />
Ohrfeigen rechts und links in Empfang genommen wurde.<br />
Was machte ich, als mir das widerfuhr? Ich drehte mich auf<br />
dem Absatz um und rannte so schnell ich konnte wieder<br />
nach Hause. Hinter mir hörte ich noch die kräftige Stimme<br />
von Fräulein Mönnig: „Otto, willst Du wohl hier bleiben,<br />
komm sofort zurück!“<br />
Am nächsten Morgen ging ich mit Herzklopfen zur<br />
Schule, es mussten noch alle Klassen vor dem Eintritt in<br />
die Klassenräume vor der Schultreppe antreten. Ich wurde<br />
vom Rektor Nehm aufgerufen und musste mich, für alle<br />
sichtbar, auf die Treppe stellen und wurde wegen meiner<br />
Tat öffentlich gerügt. Nehm sagte wörtlich: „Mein Junge,<br />
das wird Dich teuer zu stehen kommen!“ Das gute Verhältnis<br />
zu meiner Lehrerin war für Wochen gestört. Ich wurde<br />
aller Ehrenämter enthoben, auch meine Beteiligung am Unterricht<br />
wurde nicht mehr beachtet.<br />
Im Laufe der Zeit normalisierte sich alles wieder. Im<br />
nächsten Zeugnis hatte ich eine Drei in Betragen, anstelle<br />
der üblichen Zwei. Fräulein Mönnig sagte beim Austeilen<br />
der Zeugnisse nur, indem sie mit dem Finger auf die Note<br />
zeigte: „Das muss wieder besser werden.“ Ich wurde nie<br />
über die Beweggründe meiner Tat befragt und noch heute,<br />
nach über 70 Jahren, bin ich darüber maßlos enttäuscht.<br />
Otto Schneider<br />
3/<strong>2015</strong> durchblick 57