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2015-03

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Unterhaltung<br />

Tante Meta<br />

Das Geburtstagsgeschenk<br />

Jedes Jahr vor Tante Meta‘s Geburtstag stellen wir uns<br />

die gleiche Frage: Was sollen wir ihr nur schenken?<br />

Ältere Leute haben eben alles, was sie brauchen und<br />

nicht brauchen. Letztens meinte mein Mann: „Ich weiß,<br />

was wir Tantchen schenken können: Eine Einkaufstasche!“<br />

Ich war über seine Idee erstaunt, fand sie aber wirklich<br />

gut. Denn Tante Meta’s Einkaufstasche hat sicher schon<br />

einige deutsche Regierungen überstanden. Das Leder ist<br />

total verbeult, verblichen und verschrammt, so dass die<br />

Kaufhausdetektive bestimmt in Lauerstellung gehen, wenn<br />

sie durch den Eingang geht.<br />

Tante Meta geht auch nie ohne ihre Tasche los. Ich denke,<br />

würde man alles auf einen Haufen tragen, was sie schon damit<br />

ins Haus geschleppt hat, könnte man bestimmt viele Güterwagen<br />

füllen. In ihre Tasche passen fast alle Schätze dieser<br />

Erde. Sie ist nach jedem Einkauf so schrecklich schwer, dass<br />

ihre Arme immer länger werden. Schon aus diesem Grunde<br />

war eine kleinere und schönere Tasche fällig.<br />

Wir ahnten natürlich nicht, dass alle Gründe, die wir zusammentrugen,<br />

für Tante Meta nicht zählten. Und weil wir<br />

das nicht ahnten, kauften wir in einem exclusiven Lederladen<br />

ein handgearbeitetes Prachtexemplar in Bordeauxrot<br />

mit verchromten Griffen und dezentem Prägemuster. Beim<br />

Anblick von dieser Tasche würde jeder Portier eines Fünf-<br />

Sterne-Hotels vor Tantchen salutieren – wenn sie dann in<br />

solchen Häusern „absteigen“ würde.<br />

Wir hatten die Tasche zwischen<br />

seidenähnlichem Stoff<br />

in einen Karton mit glänzendem<br />

Geschenkpapier und einer<br />

roten Schleife verpacken<br />

lassen. Die Geburtstagskerze<br />

stellten wir neben das Geschenk,<br />

um beim Auspacken<br />

Tante Meta’s Augen leuchten<br />

zu sehen. Doch sie kniff<br />

ihre Augenlider wie Schießscharten<br />

zusammen und<br />

meinte: „Was habt ihr denn<br />

da schon wieder Unnützes<br />

angeschleppt?“ Ich antwortete:<br />

„Diesmal haben wir uns<br />

etwas sehr Praktisches ausgedacht.“<br />

Tante Meta schickte<br />

einen schiefen Blick über ihre<br />

Brille, riss die schöne Schleife<br />

gefühllos ab und zerrte die<br />

Tasche aus dem Karton, um<br />

sie nach kurzer Begutachtung<br />

wieder in selbigen fallen<br />

zu lassen. „Ich habe doch eine Einkaufstasche“, meinte<br />

sie entrüstet. „Aber die ist doch ganz alt“, versuchte mein<br />

Mann einzubringen. „Ich bin auch alt“, schmetterte Tante<br />

Meta zurück. Ich versuchte zu beschwichtigen: „Deine alte<br />

Tasche ist viel zu groß und zu schwer.“ „Trag ich die oder<br />

du?“, keifte sie zurück. „Jetzt schau sie dir doch erst einmal<br />

richtig an“, riet mein Mann. Doch das hätte er lieber nicht<br />

sagen sollen. Tante Meta griff nach der Tasche und legte<br />

los: „Diese ist viel zu schwer! Das liegt an dem Leder. Und<br />

die Farbe ist viel zu auffällig. Und was sind das denn für<br />

Griffe?“ Ich sagte mutig: „Verchromte Griffe, was ganz<br />

Edles.“ „Sieht aus wie Aluminium“, nörgelte Tante Meta.<br />

„Viel zu kalt in der Hand! Und ob die Griffe halten, wenn<br />

ich Kartoffeln, Mineralwasser und Waschpulver einkaufe,<br />

das glaubt ihr doch selber nicht.“ „Nun schau doch erst mal<br />

rein“, empfahl mein Mann. Tante Meta öffnete umständlich<br />

die Tasche und schimpfte los: „Nun guckt euch das mal an<br />

– da ist ja noch nicht mal wasserdichtes Futter drin. Wenn<br />

da mal eine Milchtüte aufplatzt, hab ich nasse Beine! Und<br />

hier die Seitentaschen, die sind so hoch eingesetzt, dass sich<br />

die Taschendiebe nicht mal bücken müssen, um reinzugreifen.<br />

Und wo ist außen eine Schlüsseltasche? Fehlt also! Da<br />

polterte mein Mann los: „Du steckst doch sowieso deine<br />

Schlüssel nicht in die Außentasche.“<br />

„Aber immer!“, trumpfte Tante Meta auf. „Niemals!“,<br />

konterte mein Mann. Verärgert meinte Tante Meta: „Denkst<br />

Foto: Tessie Reeh<br />

38 durchblick 3/<strong>2015</strong>

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