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2015-03

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Aus dem Siegener Seniorenbeirat<br />

Geschichte hautnah erlebt<br />

Siegener Seniorenbeirat beantwortete wieder Schülerfragen<br />

Immer wieder hat der durchblick über<br />

„Zeitzeugen“ -Aktivitäten des Seniorenbeirats<br />

berichtet. Die jüngste Veranstaltung<br />

dieser Reihe fand in der Realschule am<br />

oberen Schloss statt. Neben Erinnerungen aus<br />

der Kriegzeit lag ein weiterer Fokus auf Erlebnisse<br />

in der Zeit des Aufbruchs.<br />

Viele Ereignisse des Kalten Krieges waren<br />

noch tief in der Erinnerung der Zeitzeugen verwurzelt,<br />

insbesondere der Einsatz sowjetischer<br />

Panzer im Juni 1953 gegen wehrlose Demonstranten<br />

in Ostberlin, die brutal niedergeschlagenen<br />

Aufstände 1955 in Polen und 1956 in<br />

Ungarn, und schließlich der Bau der Berliner<br />

Mauer. „Ich habe uns eben eingemauert,“ so<br />

zitierte einer der Zeitzeugen den authentischen Bericht eines<br />

jungen Maurergesellen, welcher dies am Abend des 13. August<br />

1963 tränenüberströmt seiner Familie eingestand.<br />

Etwa ab 1966 hatten viele junge Leute die Stadt Prag besucht<br />

und dort die Aufbruchstimmung im Gefolge des Prager<br />

Frühlings unmittelbar erlebt. Als sie ab 1969 die damalige<br />

tschechoslowakische Hauptstadt nach dem Einmarsch<br />

der Warschauer-Pakt-Staaten unter Führung der Sowietunion<br />

dann erneut besuchen wollten, mussten sie zunächst<br />

häufig zeitraubende und schikanöse Grenzkontrollen über<br />

sich ergehen lassen. Noch viel schlimmer waren Enttäuschung,<br />

Resignation und Furcht ihrer jungen Freunde nach<br />

dem jähen Abbruch freiheitlicher Bestrebungen mit Waffen-<br />

und Panzergewalt.<br />

Von besonderem Interesse war schließlich die Frage nach<br />

Furcht vor unmittelbarer Bedrohung und Angst vor einem<br />

nuklearen Krieg. Keine der Großmächte durfte einen Atomkrieg<br />

riskieren, er hätte das Ende der Menschheit bedeutet.<br />

In den Tagen vor dem Höhepunkt der Kuba-Krise Ende Oktober<br />

1962, so erinnert sich Ernst Göckus, stand eine Klassenarbeit<br />

in Französisch an. „Herr Studienrat, erhalten wir<br />

diese noch zurück, bevor es zum großen Knall kommt?“,<br />

fragte einer der Schüler mit hintersinnigem Humor. Lerngruppe<br />

wie Lehrer setzten allerdings hoffnungsvoll auf das<br />

besonnene Einlenken der weltpolitischen Entscheidungsträger.<br />

Irgendwie wurde die unmittelbare gesamtpolitische<br />

Gefahr verdrängt. So fand sich ein beträchtlicher Teil der<br />

genannten Lerngruppe abends in der Siegerlandhalle ein,<br />

nicht etwa, um zu demonstrieren, sondern um in Knie- und<br />

Hüftschwung eines neuen Tanzes zu wetteifern. „Come on,<br />

let’s twist again“ so ging es zu den Klängen einer bekannten<br />

Siegener Band zur Sache. Der physische Abstand war jedoch<br />

noch gewährleistet, ähnlich wie bei den Kontrahenten auf<br />

internationaler Ebene. Erst später wurde allen deutlich, wie<br />

nahe die Menschheit wirklich am Abgrund gestanden hatte.<br />

Foto: Realschule am oberen Schloss<br />

Mit Aufmerksamkeit und Spannung folgen die Schüler den Berichten<br />

Das Thema „erste ausländische Arbeitnehmer in Siegen“,<br />

hatte Premiere im Zeitzeugenprogramm. Mit Alfonso<br />

Lopez-Garcia, Mitglied im Siegener Seniorenbeirat,<br />

stand ein Mann der ersten Stunde Rede und Antwort.<br />

An die triste und entbehrungsreiche Zeit der Franco-<br />

Diktatur, verbunden mit polizeistaatlichem Gebaren, kann<br />

er sich noch recht genau erinnern. Sein Studium in Philosophie<br />

musste er aufgeben, da die finanziellen Mittel der<br />

Familie hierzu bei weitem nicht ausreichten. Und so zog<br />

es ihn 1963 vom nordspanischen Bilbao nach Siegen.<br />

Eindringlich schildert er Restriktionen und bürokratische<br />

Hemmnisse, welche anfänglich zu überwinden<br />

waren. Zunächst fanden sich nur Gelegenheitsarbeiten,<br />

schließlich aber auch feste Anstellungen. In einem berufsbegleitenden<br />

Studium qualifizierte er sich nach einigen<br />

Jahren zum Diplom-Sozialarbeiter und fand eine Anstellung<br />

im Siegener Caritasverband. Mit Dankbarkeit und<br />

Stolz blickt er auf die Möglichkeiten beruflichen Fortkommens<br />

zurück, welche ihm in Siegen geboten worden<br />

waren. „Macht was aus euch“, riet er den Schülern der<br />

Jahrgangsstufe zehn eindringlich. Alfonso Lopez-Garcia,<br />

mit einer Spanierin verheiratet und inzwischen Großvater,<br />

besitzt beide Staatsangehörigkeiten. „Mein Mutterland ist<br />

Spanien, mein Vaterland ist Deutschland“, betonte Lopez-<br />

Garcia, zugleich Vorsitzender des interkulturellen Netzwerkes<br />

Siegen.<br />

Die ersten Jahre in Deutschland waren nicht frei von<br />

Ressentiments und Intoleranz. „Ausländische Gäste nicht<br />

erwünscht“, an diese gelegentlichen Restriktionen kann er<br />

sich noch gut erinnern. Gerade deswegen ist ihm gegenseitiger<br />

Respekt und gegenseitige Achtung ein besonderes<br />

Anliegen. Seine Ausführungen gipfelten noch einmal in<br />

einem eindrücklichen Appell zur Toleranz und gemeinsamer<br />

Wertschätzung. „Wir sind alle verschieden und dadurch<br />

alle gleich“, war seine zentrale Botschaft. eg<br />

60 durchblick 3/<strong>2015</strong>

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