2015-03
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Besuch beim „Erbfeind“<br />
Frankreichreise im Jahr 1965<br />
Eine aus heutiger Sicht eher unspektakuläre Geschichte<br />
über Verzeihen und Vergeben schickt uns unser<br />
Leser Rudolf Schleifenbaum. Sein Vater, schon vor 50<br />
Jahren überzeugter und mutiger Europäer, Soldat im<br />
1. Weltkrieg und Kriegsteilnehmer in der Schlacht<br />
bei Verdun, berichtet über einen Frankreichbesuch<br />
50 Jahre danach.<br />
Wir schreiben das Jahr 1965, als sich Ernst<br />
Schleifenbaum aufmachte, seine ehemaligen Todfeinde<br />
zu besuchen. Hier seine Aufzeichnung:<br />
Als Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges hatte<br />
ich schon lange den Wunsch, den Ort unserer<br />
ungewissen Zukunft „Marville“ wiederzusehen.<br />
Im August 1916 kamen wir von Frankfurt über<br />
Luxemburg in das Rekruten-Depot in Marville zum<br />
Einsatz bei Verdun. Was damals dieser Name sagte,<br />
ist vielen heute nicht mehr bewusst, sind doch dort<br />
2,5 Millionen Tote geblieben.<br />
Ich wollte also Marville wiedersehen. Da ich dort<br />
aber niemand kannte, schrieb ich an den dortigen<br />
Bürgermeister und bat ihn mir mitzuteilen, ob es im<br />
Ort für einige Tage Unterkunftsmöglichkeit gäbe.<br />
Ich wollte mit diesem Brief noch bezwecken, nicht<br />
als ganz Fremder dort anzukommen. Ich bekam sehr<br />
schnell gute Antwort. Der Bürgemeister schrieb,<br />
dass er sich freue einen Kämpfer des Ersten Weltkrieges<br />
zu treffen. Wenn ich angeben könnte wann<br />
ich in Longuyon ankäme, würde er mich abholen.<br />
Longuyon ist die nächste Station, auch für<br />
D-Züge. Dieselbe Station wo wir 1916 ausgeladen<br />
wurden. Marville liegt ca. 13 km von hier. Damals<br />
mussten wir nach dort marschieren, jetzt bin ich bequemer<br />
mit dem Bus dorthin gekommen. Leider hatte<br />
der Bürgermeister, Herr „J.“, meinen zweiten Brief<br />
mit der genauen Ankunft nicht erhalten, deshalb war<br />
auch niemand da, der mich abholte. Was wiederum<br />
sein Gutes hatte, wie ich nachfolgend beschreibe:<br />
Am Bahnhof gegenüber erkundigte ich mich in einem<br />
Geschäft nach einem Bus nach Marville. Zum Glück<br />
fuhr noch einer, ich winkte, er hielt und beim Einsteigen<br />
forderte ich ein Billet nach Marville, wo ich vor<br />
fast 50 Jahren als junger Soldat war. Der Fahrer und<br />
einige Fahrgäste horchten auf, und das war schon<br />
meine Einführung.<br />
Der Bus war vielleicht 500 m gefahren, da hielt er<br />
an und der Fahrer stieg aus. Nach kurzer Zeit kam er<br />
wieder und mit ihm ein älterer Herr, der auch nach<br />
Marville wollte und dort wohnte. Im Augenblick saß<br />
der Herr neben mir und fragte mich, ob ich der Herr<br />
wäre, der nach Marville wollte. Mein neuer Bekannter<br />
stellte sich mit seinem Namen „de jardin“ vor<br />
und hat mir im Bus schon viel erzählt. Ich mußte ihm<br />
versprechen, ihn am nächsten Tag – einem Sonntag<br />
– après la Messe - zu besuchen.<br />
Am Eingang von Marville war das einzige „Hotel“<br />
vom Ort. Ich bekam ein nettes Zimmer mit fließend<br />
Wasser, und in der Etage sogar ein Spülklosett.<br />
In der Wirtschaft waren einige junge Leute, die<br />
mich freundlicherweise zum Bürgermeister bringen<br />
wollten, der im entgegengesetzten Ortsteil wohnte.<br />
Wir trafen ihn schon unterwegs in einer Nebenstraße<br />
mit seinem Auto. Wir fuhren zu seiner Wohnung, wo<br />
er mich mit seiner Frau und seinem Sohn bekannt<br />
machte. Nach dem Abendessen fuhr er mich zurück<br />
Alle Fotos Archiv Schleifenbaum<br />
Marville 1916 Marville 1965<br />
52 durchblick 3/<strong>2015</strong>