19.08.2016 Aufrufe

2015-03

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Besuch beim „Erbfeind“<br />

Frankreichreise im Jahr 1965<br />

Eine aus heutiger Sicht eher unspektakuläre Geschichte<br />

über Verzeihen und Vergeben schickt uns unser<br />

Leser Rudolf Schleifenbaum. Sein Vater, schon vor 50<br />

Jahren überzeugter und mutiger Europäer, Soldat im<br />

1. Weltkrieg und Kriegsteilnehmer in der Schlacht<br />

bei Verdun, berichtet über einen Frankreichbesuch<br />

50 Jahre danach.<br />

Wir schreiben das Jahr 1965, als sich Ernst<br />

Schleifenbaum aufmachte, seine ehemaligen Todfeinde<br />

zu besuchen. Hier seine Aufzeichnung:<br />

Als Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges hatte<br />

ich schon lange den Wunsch, den Ort unserer<br />

ungewissen Zukunft „Marville“ wiederzusehen.<br />

Im August 1916 kamen wir von Frankfurt über<br />

Luxemburg in das Rekruten-Depot in Marville zum<br />

Einsatz bei Verdun. Was damals dieser Name sagte,<br />

ist vielen heute nicht mehr bewusst, sind doch dort<br />

2,5 Millionen Tote geblieben.<br />

Ich wollte also Marville wiedersehen. Da ich dort<br />

aber niemand kannte, schrieb ich an den dortigen<br />

Bürgermeister und bat ihn mir mitzuteilen, ob es im<br />

Ort für einige Tage Unterkunftsmöglichkeit gäbe.<br />

Ich wollte mit diesem Brief noch bezwecken, nicht<br />

als ganz Fremder dort anzukommen. Ich bekam sehr<br />

schnell gute Antwort. Der Bürgemeister schrieb,<br />

dass er sich freue einen Kämpfer des Ersten Weltkrieges<br />

zu treffen. Wenn ich angeben könnte wann<br />

ich in Longuyon ankäme, würde er mich abholen.<br />

Longuyon ist die nächste Station, auch für<br />

D-Züge. Dieselbe Station wo wir 1916 ausgeladen<br />

wurden. Marville liegt ca. 13 km von hier. Damals<br />

mussten wir nach dort marschieren, jetzt bin ich bequemer<br />

mit dem Bus dorthin gekommen. Leider hatte<br />

der Bürgermeister, Herr „J.“, meinen zweiten Brief<br />

mit der genauen Ankunft nicht erhalten, deshalb war<br />

auch niemand da, der mich abholte. Was wiederum<br />

sein Gutes hatte, wie ich nachfolgend beschreibe:<br />

Am Bahnhof gegenüber erkundigte ich mich in einem<br />

Geschäft nach einem Bus nach Marville. Zum Glück<br />

fuhr noch einer, ich winkte, er hielt und beim Einsteigen<br />

forderte ich ein Billet nach Marville, wo ich vor<br />

fast 50 Jahren als junger Soldat war. Der Fahrer und<br />

einige Fahrgäste horchten auf, und das war schon<br />

meine Einführung.<br />

Der Bus war vielleicht 500 m gefahren, da hielt er<br />

an und der Fahrer stieg aus. Nach kurzer Zeit kam er<br />

wieder und mit ihm ein älterer Herr, der auch nach<br />

Marville wollte und dort wohnte. Im Augenblick saß<br />

der Herr neben mir und fragte mich, ob ich der Herr<br />

wäre, der nach Marville wollte. Mein neuer Bekannter<br />

stellte sich mit seinem Namen „de jardin“ vor<br />

und hat mir im Bus schon viel erzählt. Ich mußte ihm<br />

versprechen, ihn am nächsten Tag – einem Sonntag<br />

– après la Messe - zu besuchen.<br />

Am Eingang von Marville war das einzige „Hotel“<br />

vom Ort. Ich bekam ein nettes Zimmer mit fließend<br />

Wasser, und in der Etage sogar ein Spülklosett.<br />

In der Wirtschaft waren einige junge Leute, die<br />

mich freundlicherweise zum Bürgermeister bringen<br />

wollten, der im entgegengesetzten Ortsteil wohnte.<br />

Wir trafen ihn schon unterwegs in einer Nebenstraße<br />

mit seinem Auto. Wir fuhren zu seiner Wohnung, wo<br />

er mich mit seiner Frau und seinem Sohn bekannt<br />

machte. Nach dem Abendessen fuhr er mich zurück<br />

Alle Fotos Archiv Schleifenbaum<br />

Marville 1916 Marville 1965<br />

52 durchblick 3/<strong>2015</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!