2015-03
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Gesellschaft<br />
Flüchtlinge in der Universitätsstadt<br />
Interview mit Siegens Bürgermeister Steffen Mues<br />
Das Thema „Flüchtlinge“<br />
hat zahlreiche im Verantwortungsbereich<br />
der Kommunen liegende Facetten.<br />
Häufig sind Politik und<br />
Verwaltung dann unerwarteten<br />
und scheinbar unerfüllbaren Anforderungen<br />
ausgesetzt. Diesen<br />
muss die Kommune gerecht werden<br />
– immer auf der Grundlage<br />
humanitärer und gesetzlicher<br />
Vorgaben, aber auch im Blick<br />
auf berechtigte oder vermeintliche<br />
Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger. Und immer unter<br />
dem Druck der städtischen Haushaltslage. Zur Situation in<br />
Siegen gab Bürgermeister Steffen Mues dem durchblick am<br />
4. August <strong>2015</strong> ein Interview.<br />
Foto: Stadt Siegen<br />
db: Soweit das absehbar ist – mit welcher Zahl der in Siegen<br />
befindlichen Flüchtlinge ist Ende diesen Jahres zu rechnen?<br />
BM: Derzeit geht der Bund von 300.000 Flüchtlingen aus,<br />
die <strong>2015</strong> nach Deutschland kommen. Einem festen Zuweisungsschlüssel<br />
zufolge gehen dann 349 nach Siegen. Abweichend<br />
vom Bund rechnen Kommunen und Länder jedoch mit<br />
500.000 Flüchtlingen. Dieser Prognose zufolge kommen in<br />
diesem Jahr nicht 349, sondern 581 Flüchtlinge nach Siegen.<br />
db: Plant die Stadt Siegen die Einrichtung weiterer oder anderer<br />
Notunterkünfte für den Fall, dass keine Entspannung<br />
der Situation eintritt?<br />
BM: Es ist ein Notquartier in der Turnhalle an der Winchenbachschule<br />
geplant. Geplant sind außerdem weitere<br />
Anmietungen und die Errichtung von 2 bis 3 städtischen<br />
Übergangseinrichtungen.<br />
db: Wie ist die damit verbundene personelle und finanzielle<br />
Belastung der Stadt einzuschätzen?<br />
BM: Für das kommende Jahr müssen wir mit mindestens<br />
sechs neu einzurichtenden Stellen rechnen, in diesem Jahr<br />
mit Kosten in Höhe von ca. 6 Millionen Euro. Einsparungen<br />
an anderer Stelle sind daher nicht auszuschließen.<br />
db: Welche Unterstützung erfährt die Stadt aktuell von der<br />
Bezirksregierung Arnsberg oder der Landesregierung NRW?<br />
BM: Was soll ich dazu sagen…?<br />
db: Gibt es eine organisierte und koordinierte Unterstützung<br />
seitens der Wohlfahrtsverbände, der Kirchen oder anderer<br />
Institutionen? Existiert eine zentrale Steuerung?<br />
BM: Ja, es gibt die zentrale Steuerung durch den Integrationsbeauftragten.<br />
Die ev. Kirche bringt sich ein, gleiches<br />
gilt für die Wohlfahrtsverbände, indem sie ehrenamtlich Engagierte<br />
qualifizieren und begleiten. Die Zusammenarbeit<br />
ist ausgezeichnet. Neben und zusätzlich zu den Institutionen<br />
gibt es in der Bevölkerung die große Bereitschaft mit Wohnraum<br />
zu helfen, mit Sachspenden und vor allem ehrenamtlichem<br />
Engagement. Dies ist wirklich etwas besonderes in<br />
Siegen. Die freiwillige Feuerwehr, Rettungsdienste wie das<br />
DRK, AStA, Studierende insgesamt, alle Kirchen und Glaubensgemeinschaften,<br />
Nachbarn, Sportvereine und und und.<br />
Es gibt viele, die helfen wollen. Es bestehen Willkommensteams,<br />
Unterstützernetzwerke, Sprachangebote u.a.. Wir<br />
brauchen aber gleichzeitig auch immer mehr ehrenamtliche<br />
Helferinnen und Helfer, besonders bei der Notunterkunft am<br />
Haardter Berg. Daher die herzliche Bitte an alle Leserinnen<br />
und Leser: Werden Sie aktiv, wenn Sie es nicht schon sind.<br />
db: An wen können Interessierte sich wenden?<br />
BM: Aktuell an Torsten Büker t.bueker@siegen.de für ein<br />
Engagement in Siegen selbst und für einen Einsatz in der<br />
Notunterkunft über notunterkunft @siegen.de<br />
db:In welcher Form unterstützt die Universitätsstadt Siegen<br />
die Integrationsbemühungen vie-ler Flüchtlinge, besonders<br />
der Kinder?<br />
BM: Alle Kinder bekommen einen Schulplatz (Schulpflicht),<br />
alle Kinder bekommen einen Kitaplatz, auch Angebote<br />
in den Kinder- und Jugendeinrichtungen, Angebote<br />
der Vereine und Verbände (z.B. in Form zusätzlicher Plätze<br />
in Sommerfreizeiten), Sprachangebote etc.<br />
db: Flüchtlinge sind vielerorts mit Vorbehalten oder Ablehnung<br />
konfrontiert. Liegen Ihnen Hinweise über fremdenfeindliches<br />
Verhalten in Siegen vor? Gibt es Informationen<br />
über ent-sprechende Strukturen?<br />
BM: Eine Anzahl anonymer Bemerkungen auf Internetseiten<br />
und in Foren ist hetzerisch und hinsichtlich der Wortwahl<br />
oft abstoßend. Aber das ist nicht nur in Siegen so.<br />
Fremdenfeindliche Strukturen sind nicht bekannt.<br />
db: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der zunehmenden<br />
Zahl der Einbruchs- bzw. Eigentumsdelikte und der<br />
großen Zahl der nach Deutschland flüchtenden Menschen?<br />
BM: Nein, ich sehe keinen Zusammenhang, denn die teilweise<br />
aus dem Aus-land gesteuerten Bandenstrukturen haben<br />
ja nichts mit Flüchtlingen zu tun. Derartige Ängste sind<br />
unbegründet.<br />
db: Gegenüber dem unerwarteten Flüchtlingsstrom<br />
schwanken viele – vor allem ältere - Bürgerinnen und Bürger<br />
zwischen kritischer Distanz und Gleichgültigkeit einerseits<br />
und Zukunftsangst und Aggression andererseits. Was<br />
raten Sie in diesem Zusammenhang?<br />
BM: Häufig erklären sich Angst und Aggression aus Vorurteilen,<br />
aus Informationsdefiziten. Daher halte ich persönliche<br />
Begegnungen für wichtig und das Bemühen, sich in<br />
die Lage der Flüchtlinge zu versetzen.<br />
db: Danke für das Gespräch<br />
Das Interview führte Erich Kerkhoff<br />
56 durchblick 3/<strong>2015</strong>