2015-03
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Aus den drei Berliner Mädels sind<br />
inzwischen fachkundige Landfrauen<br />
geworden, die auch sehr bewusst mit<br />
den Macken ihrer traumatisierten<br />
Hunde umgehen können. Und ich<br />
lerne, dass unser Gras für Isländerund<br />
Haflinger-Pferde zu süß ist! Das<br />
bedeutet, dass sie nur eine begrenzte<br />
Zeit grasen dürfen, sonst bekommen<br />
sie Koliken. Einer der Gründe, warum<br />
meine Freundin so oft aus Berlin aufs<br />
Land kommt, um sich um die Tiere<br />
ihrer berufstätigen Töchter zu kümmern.<br />
„Es tut mir so leid, wenn Adele<br />
so lange alleine ist“, sagt sie. Adele ist<br />
eine liebenswerte, aber leicht gestörte<br />
Mischung aus einem irischen Wolfshund<br />
und wer-weiß-was. Und: „Dann<br />
können die Töchter doch mal ausschlafen, wenn ich die<br />
Pferde versorge.“ Das bedeutet natürlich auch ausmisten,<br />
füttern und auf die Weide bringen. Und nach vier Stunden<br />
wieder zurück. Nein, sie selbst möchte nicht aufs Land<br />
ziehen, sie bleibt lieber in Berlin. Aber sie braucht die<br />
„Wirtschaft“ in Kunow zum Ausgleich.<br />
Eine der Töchter und ihr Ehemann engagieren sich stark<br />
in der Kirchengemeinde des Dorfes. Er spielt die Orgel, sie<br />
organisiert und hält in Abwesenheit des Bezirkspfarres als<br />
Lektorin die Andachten in der Kirche.<br />
Die andere Tochter ist Physiotherapeutin und arbeitet heute<br />
in einer kleinen Praxis im Nachbarort. Darüber hinaus behandelt<br />
sie Patienten aus dem Dorf in ihrem Haus. Natürlich<br />
gelten sie immer noch als Zugereiste und ein bisschen auch als<br />
Exoten im Dorf, scheinen aber an den Reaktionen der einheimischen<br />
Nachbarn gemessen, trotzdem gut integriert zu sein.<br />
Es wird auch viel getan, um das Leben auf dem Lande<br />
attraktiver zu machen. Zum Beispiel findet in der Nachbarsachaft<br />
auf der Plattenburg jährlich ein besonderer mittelalterlicher<br />
Markt statt. Die zahlreichen detailgetreuen Stände<br />
mit altem Kunsthandwerk und einem reichhaltigen Angebot<br />
an (vorgegaukelt) mitteralterlichen Speisen und Getränke<br />
locken die Besucher, so wie die vielen Darbietungen von<br />
Gauklern und Musikanten. Und wer irgendwie mittelalterlich<br />
gekleidet daherkommt, zahlt weniger Eintritt.<br />
Wohnhaus einer der drei Berliner Stadtgören<br />
Den Vogel schießt aber ein Projekt ab, das sich „Dorf<br />
macht Oper“ nennt. Das ganze Dorf Klein Leppin spielt<br />
Oper, in diesem Jahr „Orpheus in der Unterwelt“ von Jaques<br />
Offenbach. Die Laien des gemischten Chores, ein<br />
Projekt-Orchester und Opern-Solisten führen unter der<br />
Leitung einer Regisseurin und Choreografin an zwei unterschiedlichen<br />
Plätzen im Freien die ganz modern inszenierte<br />
Oper auf. Die Kinder des Ortes und andere Laien sind ins<br />
Spiel mit einbezogen. Sogar das Publikum muss mitspielen,<br />
es zieht mit dem Ensemble zum zweiten Spielplatz, in<br />
die „Unterwelt“. Die Generalprobe wird ein Riesenspaß,<br />
sehr professionell gespielt und gesungen, nicht nur von den<br />
Opern-Profis, auch der gesamte Chor ist absolut bühnenreif.<br />
Unglaublich, das alles auf dem platten Lande.<br />
Vielleicht ist das<br />
die Rettung für unsere<br />
Dörfer in Ost und West,<br />
wenn immer mehr<br />
Städter auch auf Grund<br />
steigender Mieten die<br />
Stadtflucht ergreifen,<br />
sich auf dem Lande niederlassen<br />
und sich hier<br />
bewusst einbringen?<br />
Text /Fotos Anne Alhäuser<br />
3/<strong>2015</strong> durchblick 29