Frauen
Credit Suisse bulletin, 2000/03
Credit Suisse bulletin, 2000/03
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FRAUEN<br />
zer «Nonplusultra» nächtlicher Vergnügungen<br />
dicke Umsätze, wurde schwanger<br />
und fand sich postwendend auf der Strasse<br />
wieder. Renata brach nicht zusammen.<br />
Sie freute sich unbändig auf das Kind und<br />
dachte keine Minute daran, den Vater in<br />
die Pflicht zu nehmen. Ihre Mutter war<br />
entsetzt, und potenzielle Arbeitgeber rissen<br />
sich auch nicht gerade um eine Thekenfee,<br />
die guter Hoffnung war. Lohn,<br />
Brot und Zimmer fand sie schliesslich im<br />
«Roten Ochsen» in <strong>Frauen</strong>feld, einem<br />
Treffpunkt für Ledernacken mit «heissen<br />
Stühlen». Renata Angehrn: «Ich glaube,<br />
ich hätte keine schönere Schwangerschaft<br />
haben können. Bei anderen <strong>Frauen</strong><br />
kümmert sich ein Mann, bei mir waren<br />
das unzählige. Die haben mir die Bierkästen<br />
getragen und mich in Sicherheit gebracht,<br />
wenn alles kurz und klein geschlagen<br />
wurde.»<br />
Zwischen Bierzapfen gestillt<br />
Renatas Sohn Patrick, heute 21, kam zur<br />
Welt, sie lag allein, sehr allein, im Spital:<br />
«Das einzige, was ich hatte, war Patrick,<br />
das schönste Kind, das ich jemals gesehen<br />
hatte.» «Das schönste Kind» zog mit<br />
seiner Mutter in das Zimmer über dem<br />
«Roten Ochsen» und wurde zwischen dem<br />
Zapfen von Bier gestillt und zwischen<br />
handfesten Auseinandersetzungen von<br />
den Gästen gehätschelt und bewundert.<br />
Nach dem «Roten Ochsen» wurde Klein-<br />
Patrick in die Ambiance der Disco-Welt<br />
eingeführt. Seine Mutter: « Ich machte das<br />
nicht, weil ich keinen andern Job bekam.<br />
Es machte Spass. Ich hatte vielleicht nicht<br />
den besten Ruf und war überall dabei, wo<br />
es hoch zu- und herging. Das macht sich<br />
nicht so gut für eine Mutter. Aber da war<br />
auch immer jemand, der auf Patrick aufpasste.<br />
Er hat keinen Schaden genommen.»<br />
Patrick wurde grösser. Seine Mutter<br />
machte Karriere. Beide hatten eine eigene<br />
Wohnung, und Renata sorgte dafür, dass<br />
ihr Kind nächtens betreut wurde, weil<br />
sie selbst zu später Stunde ihr Geld verdiente.<br />
Renata war gut zehn Jahre lang<br />
Geschäftsführerin des Nachtclubs «Paris<br />
chic» in Wil und «erlebte – als Patronin<br />
über ‹15 Meitli› – ganz einfach eine schöne<br />
Zeit». «Zwielichtig», betont sie, sei an<br />
diesem Gewerbe nichts, aber auch gar<br />
nichts: «Ein Nachtclub ist verrufen, weil er<br />
ein Nachtclub ist. Aber ein Nachtclub ist<br />
etwas Tolles. Toll für die Barmaid, weil die<br />
von keinem Gast angemacht wird. Toll für<br />
die Gäste, weil sie die Tänzerinnen sehen<br />
und auswählen können, mit welchem<br />
Meitli sie etwas trinken können. Und toll<br />
auch für die Tänzerinnen, weil die so viel<br />
verdienen, dass sie für ihre Familien und<br />
halb Russland sorgen können.» Und ihr<br />
Prestige, betont die Patronne, sei auch<br />
nicht von schlechten Eltern gewesen: «Ich<br />
war im ‹Paris chic› jemand und sorgte<br />
dafür, dass alle zufrieden waren.» Einige<br />
Risse gesteht Renata Angehrn der Rotlicht-Idylle<br />
immerhin zu: «In so einem Lokal<br />
hört man, was Männer von <strong>Frauen</strong> halten.<br />
Viele Männer zeigen keinen, aber auch<br />
gar keinen Respekt.» Sie selbst habe deshalb<br />
die Fäden fest in der Hand behalten:<br />
«Natürlich spielt man, gibt den Männern<br />
das Gefühl, sie hätten einen erobert, und<br />
lässt sie dann fallen.» Wie eine Nonne habe<br />
sie in dieser Zeit nicht gelebt. Aber sie<br />
habe auch dafür gesorgt, dass ihr Sohn<br />
diese Männer nicht zu Gesicht bekommen<br />
habe, und immer die Kontrolle behalten.<br />
«Ein lieber, hübscher Mann»<br />
Im Paradies «Paris chic» wurde Renata<br />
ihrem Stefan, dem zehn Jahre jüngern<br />
Amateur-Boxer, vorgestellt. Stefan besuchte<br />
Renata zur Weihnachtszeit zu Hause<br />
und blieb. Renata: «Weihnacht ist eine<br />
Zeit, in der man gerne einen Mann in der<br />
Nähe hat, und Stefan war ganz anders.<br />
Wir redeten viel und hatten trotzdem lange<br />
Zeit kein Verhältnis miteinander. Stefan<br />
Angehrn, der Verliebte, der kein Liebhaber<br />
war, erhielt die höhern Weihen. «Ich<br />
stellte Stefan meinem Patrick vor; das hatte<br />
ich vorher mit keinem Mann gemacht.<br />
Wir schrieben uns hunderte von kleinen<br />
Briefchen. Ich erlebte eine ganz langsame<br />
Liebesgeschichte.» 1988 wurde die «langsame»<br />
Liebesgeschichte zwischen Stefan<br />
und Renata Angehrn amtlich. «Wir haben<br />
geheiratet, wie es sich gehört. Meine Mama<br />
war glücklich, Patrick hatte einen Vater,<br />
und ich hatte einen hübschen Mann,<br />
der auch noch lieb war.»<br />
Am liebsten acht Kinder gehabt<br />
Während Stefan Angehrn seine Boxkarriere<br />
weitertrieb, als Gipser und Versicherungsvertreter<br />
arbeitete, sorgte Renata –<br />
schwanger oder nicht – dafür, dass das<br />
«Paris chic» prosperierte und genügend<br />
Geld in die Haushaltskasse kam. Drei Kinder<br />
kamen in dieser Zeit zur Welt. Renata<br />
Angehrn: «Ich hatte immer das Gefühl, ich<br />
hätte am liebsten acht Kinder, jetzt habe<br />
ich vier.» Einen Grund, ihre Erwerbstätigkeit<br />
wegen Schwangerschaften gross zu<br />
unterbrechen, sah die Patronne nicht. «Ich<br />
habe meistens bis kurz vor der Geburt gearbeitet.<br />
Die Gäste hatten Freude an meinem<br />
dicken Bauch. Ich war die Renate<br />
und nicht eines der Meitli.»<br />
Und das Doppelleben zwischen Familienidylle<br />
mit Dienstmädchen und «Paris<br />
chic» sei nicht nur der Familie und der<br />
Haushaltskasse, sondern auch ihr gut bekommen.<br />
«Wenn ein Gast ein Mädchen<br />
geschlagen oder jemandem Geld geklaut<br />
hatte, kam ich nach Hause, sah die Kinder,<br />
spürte ihre Wärme und kuschelte<br />
mich an Stef – und alles Unerfreuliche war<br />
weg. Das hat mich stark gemacht. Das<br />
war ganz einfach eine schöne Zeit.»<br />
Zurück ins Nachtleben will Renata, die<br />
als Boxmanagerin in den letzten Jahren<br />
mässige Erfolge hatte, nicht. «Wir haben<br />
in Boxkämpfe investiert, alles erstklassig<br />
organisiert, und keiner ist gekommen.<br />
Jetzt haben wir dicke Schulden. Aber einem<br />
Gläubiger kann man sagen, ich gebe<br />
dir jeden Monat hundert Franken. Wenn<br />
ein Kind krank ist, kann man dem lieben<br />
Gott nicht sagen, ich gebe dir jeden Monat<br />
hundert Franken.»<br />
Rosmarie Gerber<br />
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