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Credit Suisse bulletin, 2000/03
Credit Suisse bulletin, 2000/03
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ler hatte sich der Mann schon<br />
betätigt. Seine Fans wissen<br />
zwar nicht, was er als nächstes<br />
machen wird, doch sie<br />
hoffen, es wird zumindest im<br />
allerweitesten Sinne mit<br />
Rock’n’Roll zu tun haben.<br />
Und im engeren Sinne mit der<br />
seltsam dunklen und immer<br />
ein wenig melancholisch klingenden<br />
Stimme ihres Idols.<br />
Die ist trotz aller Kehrtwendungen<br />
des Meisters das unveränderte<br />
Qualitätsmerkmal<br />
reedscher Produktionen über<br />
all die Jahrzehnte.<br />
Deutsche mögen Altrocker<br />
Soweit die einfache Erklärung<br />
für die Haltbarkeit der Œuvres<br />
Cockers und Reeds: «Rock’n’<br />
Roll will never die», wenn er<br />
nur gut genug gemacht ist. Die<br />
schwierigere Erklärung reicht<br />
ein bisschen ins Unterbewusstsein<br />
hinein, vor allem in das der<br />
europäischen, sprich deutschsprachigen<br />
Fans der beiden<br />
Herren, die hier erstaunlicherweise<br />
auf ihre weltweit treuesten<br />
Fangemeinden zählen<br />
können. Erstaunlicherweise<br />
deshalb, weil Reed eigentlich<br />
durch und durch New Yorker<br />
ist, ein Gewächs dieser Stadt,<br />
das seine Wurzeln erst in den<br />
letzten Jahren in Richtung<br />
europäischen Intellektuellen-<br />
Pops auszustrecken begann.<br />
Etwas weniger überraschend<br />
ist das im Falle Cockers, der<br />
zwar immer durch und durch<br />
britischer Prolet blieb, doch<br />
Cocker ist ein geborener<br />
«Loser», und Verlierer sind<br />
hierzulande einfach die traditionellen<br />
Helden des kunstbegeisterten<br />
Publikums.<br />
«Verlierer» klingt in diesem<br />
Zusammenhang freilich etwas<br />
merkwürdig: Der Mann ist<br />
immerhin seit mehr als 35<br />
Jahren erfolgreich im Showgeschäft,<br />
hat viele Millionen<br />
verdient, produziert selbst im<br />
hohen Alter eine Platte nach<br />
der anderen, die vor allem in<br />
Deutschland regelmässig mit<br />
Platin ausgestattet werden,<br />
und hält lukrative Sponsorenverträge<br />
wie mit der norddeutschen<br />
Brauerei Beck («Sail<br />
away...»). Er bewohnt zusammen<br />
mit seiner Frau Pam ein<br />
prächtiges Anwesen in Crawford,<br />
Colorado, angelt, reitet,<br />
pflegt seinen Gemüsegarten.<br />
Ausserdem züchtet er afrikanische<br />
Watussikühe, am Fusse<br />
der Rocky Mountains ein ähnlich<br />
aufwendiges Hobby wie<br />
Speedbootfahren oder Ballon-<br />
fliegen, und füllt auf seinen<br />
weltumspannenden Tourneen<br />
mühelos die grössten Säle.<br />
Verlierer machen Kasse<br />
Ein Verlierer ? Nun ja, nicht<br />
wirklich. Aber so lautet das<br />
Konzept seiner Vermarkter:<br />
Cockers Drogen- und Alkoholprobleme<br />
in den Siebzigern,<br />
seine finanziellen Misserfolge<br />
werden ihm heute zu einem<br />
Märtyrertum hochgedichtet,<br />
Typ unbedarfter, aber genialer<br />
Jungstar in den Klauen einer<br />
mitleidlosen, aber brutalen<br />
Musikindustrie. Heiliger Säufer.<br />
Verheiztes Genie. Von den<br />
grossen Konzernen über den<br />
Tisch gezogener kleiner Mann.<br />
Das bringt Mitleid, und Mitleid<br />
verkauft. Genauso gut wie die<br />
zumindest zweifelhafte Legende,<br />
dass die Grösse des Unglücks<br />
im Leben eines Musikers<br />
sich direkt proportional zu<br />
dessen Blueskönnen verhalte.<br />
Aber so läuft die Sage nun<br />
mal, und so wird Cocker gehandelt.<br />
Als «Survivor», als<br />
Überlebender all des Bösen<br />
dort draussen, das die Plattenbosse<br />
in den letzten Jahrzehnten<br />
angehäuft hatten, um ihr<br />
skrupelloses Treiben zu finanzieren.<br />
Reed geht es nicht viel anders:<br />
Er gilt als ein aus der<br />
Drogenhölle Manhattans Geretteter,<br />
trotz AIDS-Epidemie<br />
und sexueller Verwirrungen<br />
übriggebliebenes Relikt längst<br />
vergangener Underground-<br />
Zeiten. Auch wenn er heute<br />
noch stolz referiert, «seinen<br />
Schwanz überall reingesteckt»<br />
und «jede Droge dieser Welt<br />
probiert» zu haben, so wird<br />
er doch gerne als Opfer der<br />
wilden Jahre, als Überlebender<br />
der wüsten Zeiten gesehen:<br />
Brian Jones, Jimi Hendrix,<br />
Janis Joplin, Keith Moon und<br />
Jim Morrison – alle starben<br />
frühzeitig durch Drogen oder<br />
deren Begleitumstände.<br />
Dieses Überleben, das<br />
Übrigbleiben verbindet Reed<br />
mit dem sonst so gegensätzlichen<br />
Cocker und hebt ihn zusammen<br />
mit ihm auf die Ebene<br />
des Rock’n’Roll-Märtyrers.<br />
Diese Rolle wird von den beiden<br />
Herren freilich nicht alleine<br />
verkörpert, die spielen auch<br />
andere. Van Morrison etwa,<br />
Neil Young oder Johnny Cash,<br />
Willy Nelson, Rod Stewart<br />
oder Dr. John. All die alt gewordenen<br />
Buben des Rock’n’Roll<br />
eben.<br />
EIN SOMMERABEND MIT COCKER UND REED<br />
Das Bulletin verlost zwei mal 20 Tickets für die<br />
Konzerte von Joe Cocker und Lou Reed. Alle Details<br />
finden Sie unter www.credit-suisse.ch/bulletin oder<br />
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