Frauen
Credit Suisse bulletin, 2000/03
Credit Suisse bulletin, 2000/03
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FRAUEN<br />
TERESA CHEN,<br />
FOTOGRAFIN UND INFORMATIKERIN<br />
Die Frau ist ein Vulkan, Worte sprudeln<br />
wie heisse Lava aus ihrem<br />
Mund; immer wieder explodiert ein<br />
Lachen und bringt das Lokal zum Beben.<br />
Teresa Chen, 37, Amerikanerin chinesischer<br />
Abstammung und fotografierendes<br />
Multitalent, hat genug Energie geladen,<br />
um gleich mehrere Leben zu führen. Etwa<br />
in der UBS in Zürich, bei der die studierte<br />
Informatikerin halbzeitlich Programme<br />
fürs Internet Banking schreibt. Von da<br />
zappt sie sich mühelos in die Neuen Medien,<br />
wo sie sich im Moment gerade dem<br />
Aufbau eines Expo-Vorprojekts widmet.<br />
Ein weiterer Druck auf ihrer Fernbedienung,<br />
und schon ist sie mitten in den<br />
Abschlussarbeiten für ein Buch über die<br />
«Klinik»; in diesem ehemaligen Spital in<br />
Zürich initiierte Teresa mit ein paar Leuten<br />
während eines halben Jahres einen Kulturbetrieb,<br />
mit Happenings, Ausstellungen,<br />
Bars, Disco, bevor das Gebäude Ende<br />
1998 abgerissen wurde. Dabei weilt<br />
dieses lebende Perpetuum Mobile im Moment<br />
gar nicht an ihrem Zürcher Wohnsitz,<br />
sondern in Paris, wohin es sie für sechs<br />
Monate dank einem Stipendium der Stadt<br />
Zürich verschlagen hat und wo sie endlich<br />
das machen kann, was seit fünf Jahren<br />
ohnehin ihr wichtigster Lebensinhalt ist:<br />
das Fotografieren.<br />
Dem Vorstadt-Mief entronnen<br />
«Vielleicht bin ich vielseitig, vielleicht bin<br />
ich auch nur schizophren», sagt die Künstlerin<br />
von sich selbst – und lacht dabei, womit<br />
sie der Aussage gleich wieder etwas<br />
von ihrer Schärfe nimmt. Wer auf so vielen<br />
Hochzeiten tanzt, hat keine Chance<br />
auf Privatleben. «Vor zwei Jahren trennte<br />
ich mich von meinem Freund. Ich kenne<br />
zwar wahnsinnig viele Leute; doch ich kann<br />
kaum mal einen Kaffee lang ein vernünftiges<br />
Gespräch führen.»<br />
Dabei war doch eigentlich alles ganz<br />
anders vorbestimmt. «Meine Eltern wollten,<br />
dass ich etwas Vernünftiges studiere,<br />
am liebsten Medizin», erinnert sich Teresa<br />
Chen. Ihre Eltern beschreibt sie als typi-<br />
«Ich mache immer alles obsessiv»<br />
Die Karriere ist zwar noch jung; mittlerweile<br />
haben sich dennoch schon ein paar<br />
bemerkenswerte Einträge ins Curriculum<br />
geschlichen. Gruppenausstellungen in<br />
Wien, Dortmund, Chicago, Zürich und<br />
Winterthur. Soloausstellungen in Zürich<br />
und Oakland (California). Die späteren Arbeiten<br />
Teresa Chens hatten alle denselben<br />
Mittelpunkt: ihren eigenen Körper. In<br />
«Atmospheres» zeigt sie eine Serie von<br />
grossflächigen Nahaufnahmen eines Blutergusses,<br />
so nah, dass man zuerst nur farbige<br />
Flächen vor sich sieht. «Ich hatte diese<br />
Flecken und dachte, wow, das sieht interessant<br />
aus. Die sind so bunt, und dauernd<br />
ändern sie die Farbe – blau, gelb, rot,<br />
lila. Dann habe ich begonnen zu fotografieren,<br />
obsessiv, weil ich immer alles obsessiv<br />
mache.» Die Arbeit «Indeterminate<br />
Body» zeigt ebenfalls grossflächige Ausschnitte<br />
ihres Körpers, teilweise kaum erkennbar<br />
– Augen, Gesäss, Schamgegend<br />
– und immer eingewickelt in Cellophan-<br />
Papier. Eine Referenz an ihre Jugend, ersche<br />
Repräsentanten von Exil-Chinesen,<br />
die es in der neuen Heimat zu etwas gebracht<br />
hatten – zu beruflichem Erfolg und<br />
einem Haus in einem gepflegt-sterilen<br />
Vorort in Maryland. «Als ich ihnen ankündigte,<br />
ich wolle nun Literatur oder Geschichte<br />
studieren, waren sie völlig perplex.<br />
Schliesslich einigten wir uns auf Informatik.»<br />
Teresa ging an die Universität<br />
und stieg nach dem Abschluss bei Xerox<br />
Information Systems ein. «Es wäre gelogen<br />
zu behaupten, dass ich als Informatikerin<br />
total untalentiert war», sagt Teresa<br />
Chen. Zwei Jahre später heuerte sie bei<br />
Siemens in München an.<br />
Sie begann, den Nine-to-five-Rhythmus<br />
zu mögen, hatte ein Auto, eine Wohnung,<br />
einen Freund. Ob dies schon alles<br />
war ? «Ich war immer auf der Suche nach<br />
dem Sinn des Lebens. Ich hatte diese naive<br />
Vorstellung: Wenn ich Künstlerin werde,<br />
werde ich ihn entdecken.» Mit knapp<br />
dreissig reduzierte sie das Pensum bei<br />
Siemens auf 60 Prozent, besuchte Fotokurse<br />
und richtete sich eine Dunkelkammer<br />
ein. Ein Sommer-Workshop in Salzburg<br />
mit der amerikanischen Star-Fotografin<br />
Nan Goldin sollte ihrem Leben eine<br />
neue Wendung geben. «Für Nan ist Fotografieren<br />
ein persönlicher Zwang. Sie öffnete<br />
mir eine Türe in eine neue Welt.» Auf<br />
einen Tipp Goldins klopfte Teresa Chen<br />
bei der Fotoklasse der Kunstgewerbeschule<br />
Zürich an. Der Schulleiter war von<br />
ihrer Person, ihrer Reife, ihren klaren Vorstellungen<br />
so überzeugt, dass er ihr anbot,<br />
das zweijährige Grundstudium zu<br />
überspringen und gleich mit dem dreijährigen<br />
Hauptstudium zu beginnen. Teresa<br />
gab den Job in München auf und zog nach<br />
Zürich.<br />
700 Blicke auf die Schwangerschaft<br />
Es begann eine Leidensgeschichte, die<br />
bis heute andauert. In ihrer ersten grossen<br />
Arbeit wollte sie beweisen, dass man<br />
sie nicht zu Unrecht an der Kunstgewerbeschule<br />
aufgenommen hatte. Sie versuchte<br />
sich mit schwarzweissen Aktbildern<br />
von schwangeren <strong>Frauen</strong>. «Ich war dreissig,<br />
also eigentlich in der Lebensphase,<br />
wo man sich als berufstätige Frau im Job<br />
allmählich langweilt und ans Kinderkriegen<br />
denkt. Ich dagegen hatte mich für die<br />
Kunst entschieden und wollte nun das<br />
Thema von einer anderen Seite verarbeiten.»<br />
Im Geburtshaus hängte sie einen<br />
kleinen Zettel ans Anschlagsbrett. Und<br />
bald klingelte bei ihr das Telefon. «Am Ende<br />
sass ich auf einem riesigen Berg von<br />
Aktfotos mit hochschwangeren <strong>Frauen</strong><br />
und fand alle Bilder wahnsinnig schlecht.<br />
Und den Kopf hatte ich voller Gespräche<br />
über Mutterwerden, Kinderkriegen, Frausein.»<br />
Teresa war nahe am Durchdrehen,<br />
wollte alles wegschmeissen, die ganze Arbeit<br />
von sechs Monaten, und war sich<br />
sicher: Kunst war nicht ihr Ding. Und dann<br />
der rettende Einfall: Warum nicht alle Bilder<br />
an einer riesigen Wand aufhängen ?<br />
«700 Bilder von schwangeren <strong>Frauen</strong> auf<br />
einer Fläche von vier mal zwei Metern.»<br />
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CREDIT SUISSE BULLETIN 3 |00