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Credit Suisse bulletin, 2000/03
Credit Suisse bulletin, 2000/03
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JOE COCKER<br />
LOU REED<br />
VERDAMMT ZUM<br />
WEITERROCKEN<br />
Rock gegen Rente oder warum Joe Cocker und<br />
Lou Reed noch nicht aufgeben<br />
VON LUKAS LESSING<br />
Zwei ältere Herren. Der eine<br />
mit ziemlich weit nach hinten<br />
gewandertem Haaransatz,<br />
Bäuchlein und ergrautem<br />
Bart, in bequemer Hose und<br />
Arbeiterhemd. Der andere hager,<br />
mit tief eingefurchten Gesichtszügen,<br />
holzigen Händen<br />
und leicht gebeugtem Gang,<br />
im schwarzem Pullover und<br />
mit einer ovalen Nickelbrille<br />
auf der Nase, Marke Oberstudienrat.<br />
Jahrgang 1944 der Dicke,<br />
Jahrgang 1943 der Dünne.<br />
Die beiden Herren erzählen<br />
Lebensgeschichten, wie sie<br />
gegensätzlicher kaum sein<br />
könnten. Gemeinsam haben<br />
sie nur ihren Beruf: Rockstar.<br />
Die Herren heissen Joe Cocker<br />
und Lou Reed. Woodstock-<br />
Veteran der eine, Warhol-Entdeckung<br />
der andere. Und für<br />
beide gemeinsam gilt bis heute:<br />
The show must go on!<br />
Mit den Eltern ans Konzert<br />
Sind das Kandidaten für die<br />
«Rocker-Rente», wie sie der<br />
deutsche Altrocker Udo Lindenberg<br />
einst besang ? Den<br />
Jahren nach schon bald, doch<br />
so weit wollen es die beiden<br />
noch lange nicht kommen lassen.<br />
«So lange es mir Spass<br />
macht, auf der Bühne zu stehen»,<br />
sagt Cocker, «so lange<br />
mache ich das. Erst dann haue<br />
ich für immer ab.» Reed drückt<br />
das zwar ein bisschen gewählter<br />
aus, meint aber letztlich<br />
dasselbe. Ein Widerspruch<br />
zum jugendlichen Rebellenimage<br />
des Rock’n’Roll ? Ach<br />
wo: Die Fans im Publikum<br />
sind vielfach auch nicht jünger<br />
als ihre Idole, und ist es nicht<br />
schön, zusammen mit seiner<br />
eigenen Epoche zu altern ? In<br />
die Konzerte der beiden Herren<br />
kommen aber auch viele<br />
Zuhörer, die deren Söhne und<br />
Töchter sein könnten. Manche<br />
von denen wurden vielleicht<br />
nur von ihren Eltern in<br />
die Halle geschleift, so wie<br />
Väter und Mütter ihre Kinder<br />
früher in ein Beethoven-<br />
Konzert mitnahmen, damit<br />
sie mal etwas Ordentliches<br />
hören. Viele sind aber auch<br />
ohne elterliche Begleitung da.<br />
Das war nicht immer so:<br />
In den Sechzigerjahren, als<br />
sich die Karrieren der Herren<br />
Cocker und Reed explosions-<br />
artig entwickelten, hörten<br />
schliesslich die Twens Rock’n’<br />
Roll und nichts, das 40 Jahre<br />
vorher begann. Keinen Charleston<br />
oder Ragtime oder sonst<br />
etwas Antiquiertes. Zur Belustigung<br />
vielleicht, ja, aber<br />
nicht ernsthaft.<br />
Heute ist das anders. Die<br />
Kids hören Cocker nicht als<br />
Zitat, sie verehren ihn. Sie<br />
wollen nichts über, sondern<br />
alles von Reed erfahren. Wie<br />
konnte es so weit kommen ?<br />
Die billige Antwort lautet:<br />
Rock’n’Roll ist etwas Ewiges,<br />
«it will never die», wie sich<br />
Neil Young, ein anderer Rock-<br />
Veteran, auf seiner Platte mit<br />
dem durchaus selbstkritischen<br />
Titel «Rust Never Sleeps»<br />
auszudrücken pflegte. Rost<br />
schläft nie, also heisst es:<br />
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