Stahlreport 2018.01
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Heinz-Alfred Liebig: Rückblickend<br />
kann ich erkennen, dass nichts stehen<br />
bleibt. Auch bestimmte Geschäftsfelder<br />
entstehen neu – denken Sie<br />
an die Anarbeitung – oder können<br />
verloren gehen, wenn man das nicht<br />
früh genug erkennt. Dafür sind Biegebetriebe<br />
ein gutes Beispiel.<br />
Ich habe deshalb größten Respekt<br />
vor den privaten Stahlhandlungen<br />
und ihren Inhabern bzw.<br />
Geschäftsführern. Sie haben sich in<br />
den letzten Jahrzehnten enorm entwickelt<br />
und die speziellen Chancen<br />
in ihren Regionen wahrgenommen.<br />
Und wenn ich dann höre, wie kürzlich<br />
auf dem Stahlhandelstag in<br />
Darmstadt, dass Kunden Schwierigkeiten<br />
bekommen könnten, wenn<br />
der Stahlhandel X diese Performance<br />
nicht mehr zur Verfügung stellt, dann<br />
hat der Händler alles richtiggemacht.<br />
<strong>Stahlreport</strong>: Und wie haben Sie es<br />
geschafft, über viele Jahre die unterschiedlichen<br />
Interessen von über<br />
140 Anschlusshäusern – so viel<br />
Individualität – unter einen Hut zu<br />
bringen?<br />
Heinz-Alfred Liebig: Man muss das<br />
Individuelle akzeptieren. Die Anforderungen<br />
unserer Mitglieder sind in<br />
der Tat sehr unterschiedlich. Wir<br />
gehen mit jedem Mitglied mit, wenn<br />
es handeln will, kennen auch die<br />
jeweilige Vorgehensweise.<br />
Deshalb gibt es zum Beispiel für<br />
den Einkauf nicht nur ein einziges<br />
Timing. Jeder hat da seine eigene<br />
Vorstellung über die erforderliche<br />
Reichweite.<br />
Die Programme der einzelnen<br />
Mitglieder sind heute schon sehr differenziert;<br />
nicht alle führen alles<br />
oder alles in diesem Umfang. Die<br />
Spezialisierung oder das Einrichten<br />
des Lieferprogramms auf die regionalen<br />
Kunden wird heute deutlicher<br />
als früher. Bei 08/15-Produkten kommen<br />
sich alle in die Quere, aber das<br />
ist längst nicht mehr überall das<br />
wesentliche Geschäft.<br />
<strong>Stahlreport</strong>: Und wie hat sich das<br />
wesentliche Geschäft in Ihrem Verantwortungsbereich<br />
zuletzt verändert?<br />
Heinz-Alfred Liebig: Das Umsatzwachstum<br />
von 165 Mio. € in 2000,<br />
meinem Beginn beim E/D/E, auf über<br />
eine Milliarde Euro in 2017, ist zu<br />
einem bedeutenden Teil neuen Mitgliedern<br />
zu verdanken, die wir im<br />
Laufe meiner Zeit für UNION<br />
STAHL/ESH gewinnen konnten. Aber<br />
mit der Verbreiterung der Lieferantenbasis<br />
haben wir auch den Anteil<br />
vom Gesamtbedarf bei unseren bisherigen<br />
Mitgliedern erheblich steigern<br />
können.<br />
Dazu kommt, dass die ESH versucht,<br />
einem Mitglied, wenn es will,<br />
ganzheitlich zu dienen. Das heißt:<br />
Das Team kann nicht nur günstige<br />
Einkaufspreise nennen, sondern<br />
informiert auch, wann aus ESH-Sicht<br />
der richtige Zeitpunkt für den Einkauf<br />
und welche Reichweite erforderlich<br />
ist. Das ist eine große Verantwortung.<br />
Die Begleitung umfasst auch<br />
Gespräche über Nachfolgen, Verkaufsabsichten<br />
mit der Suche nach Anbindung<br />
bei einem der E/D/E- Mitglieder.<br />
Der Stahlbereich im EDE hat viele<br />
Mitglieder, die auch expandieren wollen<br />
– hier vermittelt das Team auch<br />
die Unterstützung der zur E/D/E-<br />
Gruppe gehörenden ETRIS-BANK.<br />
<strong>Stahlreport</strong>: Zum Prinzip einer ganzheitlichen<br />
Betreuung müssten ja<br />
auch Berufsbildungsmaßnahmen<br />
gehören, oder? Und welche großen<br />
Herausforderungen für die Branche<br />
sehen Sie sonst noch?<br />
Heinz-Alfred Liebig: Fest steht, dass<br />
wir nicht genügend ausgebildete<br />
Stahlkaufleute haben. Wenn nicht<br />
ausreichend qualifizierte Mitarbei-<br />
ter durch den Markt rudern, tangiert<br />
das die Erlössituation aller Beteiligten.<br />
Die Möglichkeiten der beruflichen<br />
Weiterbildung sind erfreulicherweise<br />
gestiegen, nicht zuletzt<br />
durch das Fernstudium BDS. Der<br />
Zulauf gibt dem Bundesverband Deutscher<br />
Stahlhandel Recht, und wir als<br />
Stahlhändler können froh darüber<br />
sein.<br />
Die Anarbeitung, und wenn sie<br />
dann noch spezieller ist, über den<br />
Gehrungsschnitt hinausgeht, ist für<br />
mich eine weitere wesentliche<br />
Voraussetzung der Zukunftssicherung<br />
– verbunden mit guten persönlichen<br />
Beziehungen zu den Kunden.<br />
Ohne diese Beziehung, die ich<br />
mir ja auch erst erarbeiten muss,<br />
damit ich davon profitieren kann,<br />
wird das nicht möglich sein. Ein<br />
Onlineshop kann das ergänzen, aber<br />
nicht ersetzen.<br />
Eine wesentliche Herausforderung<br />
liegt aus meiner Sicht in Zukunft<br />
zudem im Einkauf: Die Importangebote<br />
für fast alle Produkte haben<br />
zugenommen – und man muss<br />
erkennen, dass in naher oder weiterer<br />
Zukunft Westeuropa als alleiniges<br />
Beschaffungsgebiet natürliche<br />
Grenzen hat. Eine Ausweitung<br />
der Beschaffung muss die Folge sein,<br />
um die Wettbewerbsfähigkeit des<br />
Stahlhandels zukünftig fördern zu<br />
können.<br />
<strong>Stahlreport</strong>: Die technische Entwicklung,<br />
der ständige Wandel, die<br />
Individualisierung, die Ganzheitlichkeit,<br />
die Berufsbildung und – 3<br />
Heinz-Alfred Liebig – Stationen einer Karriere<br />
1962: Kaufmännische Lehre bei der Klöckner Werke AG, Hüttenwerk<br />
Hagen-Haspe<br />
1964: Verkauf Stabstahl, Betonstahl, Walzdraht<br />
1967: Walzstahlkontor Nord, Essen – Verkaufsgemeinschaft für die Hüttenwerke<br />
Salzgitter, Hüttenwerk Oberhausen (HOAG), Ilseder<br />
Hütte und Klöckner Georgsmarienwerke sowie Hütte Haspe<br />
1971: Carl Spaeter, München – Handlungsbevollmächtigter<br />
1976: F. Hackländer, Kassel – Prokurist<br />
1991: Carl Spaeter, Hagen – Geschäftsführer<br />
2000: E/D/E – Union Stahl – Handel – Geschäftsbereichsleiter<br />
2016: E/D/E – ESH-Euro Stahl – Handel – Geschäftsführer<br />
2018: Eintritt in den Ruhestand<br />
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