EGTA-Journal 11-2018
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Carlo Domeniconi<br />
des und insofern wurde<br />
abgewartet. Dann hieß es<br />
aber doch: mein Vater kennt<br />
jemanden im Städtchen, der<br />
wohl ein ganz großer klassischer<br />
Gitarrist sein sollte.<br />
Eines Tages, vielleicht war ich da<br />
schon 10 Jahre alt, also etwa drei<br />
Jahre später, war ich im unteren<br />
Stock bei einem Freund und wir<br />
waren dabei zu essen. Seine<br />
Mutter hatte Schnecken zubereitet,<br />
die ich das erste Mal in<br />
meinem Leben gekostet<br />
habe. Da riefen sie mich<br />
nach oben, denn „dieser“<br />
Mann sei gekommen.<br />
Ich eilte die Treppe herauf<br />
und er spielte gerade<br />
ein Stück, das mich wieder<br />
unglaublich faszinierte.<br />
Es war die Spanische Romanze,<br />
was ich aber erst Jahre später<br />
realisiert habe.<br />
Faszinierend besonders, wenn sie<br />
vorbei ist...<br />
Richtig, aber ich habe es auch im<br />
Nachhinein noch so empfunden, dass<br />
die Töne, die er spielte, als Sterne zu mir<br />
herunter kamen. Als Kind ist man noch<br />
sehr offen für so etwas. Auf jeden Fall<br />
war das meine erste Begegnung mit der<br />
Gitarre.<br />
Du erzähltest einmal, der Unterricht<br />
bei ihm sei so gewesen,<br />
dass man draußen warten<br />
musste wie beim Zahnarzt und die Stunde<br />
nach Können dauerte. Wenn also einer<br />
nicht geübt hatte, dann war sie eine<br />
Minute lang, er hat eine gewatscht gekriegt<br />
und der nächste kam?<br />
Ja, das war Pietro Batelli aus Cesena. Ich<br />
habe aber von ihm keinen Unterricht genommen.<br />
Am längsten dauerte dieser bei ihm vielleicht<br />
eine Viertelstunde. Er hatte ca. 20<br />
Jungs, die alle mit einer Gitarre zwischen<br />
den Knien warteten und die vielleicht<br />
umgerechnet zwei Euro bezahlt haben.<br />
Er war also auch sehr sozial und er hat<br />
ihnen eigentlich nur gesagt: „Diese Stelle<br />
hast du nicht gut geübt!“ Paff, zwei Ohrfeigen.<br />
„Nun gib die zwei Euro her!“ Und<br />
nach dem dritten Schüler hatte er so<br />
schlechte Laune, dass er zur Bar ins Caffé<br />
della Barriera gegangen ist und einen<br />
Espresso getrunken hat. Manchmal ist<br />
er nicht mehr wiedergekommen. Aber<br />
es war nunmal die einzige Möglichkeit,<br />
dort Unterricht zu erhalten. Im Sommer<br />
spielte er auf einer altmodischen Elektrogitarre<br />
am Meer in einer Tanzkapelle,<br />
was für alle als Beweis galt, dass der<br />
Typ etwas konnte. Er spielte mit diesem<br />
schönen Meckervibrato… (Domeniconi<br />
summt Walzermelodie mit viel Vibrato). So<br />
hat er gespielt. Und Blumen hat er bekommen,<br />
denn er war ja der Solist. In Italien<br />
hat man, am Meer oder auch in einer<br />
Tanzkapelle, dem Solisten immer ein<br />
paar Blumen gebracht. Das Sonderbare<br />
war, dass er diese Blumen sofort gegessen<br />
hat.<br />
Wie ging es dann weiter mit<br />
Dir und der Gitarre?<br />
Als mein Vater versetzt wurde,<br />
gingen wir nach Norden, nach Bolzano,<br />
also Bozen. Da sah ich drei oder<br />
vier Monate später einen Zettel in einem<br />
Buchladen, auf dem meine spätere Gitarrenlehrerin,<br />
meine einzige, annonciert<br />
hatte: „Gebe Unterricht in klassischer Gitarre<br />
und Flamenco“. Und ich bin schnell<br />
zu ihr hin. Eigentlich war ich sehr, sehr<br />
schüchtern, aber das hatte ich vergessen.<br />
Ich bin einfach hin und habe sie gefragt,<br />
ob sie mir Unterricht geben würde.<br />
„Ja“! Dann habe ich meine Eltern zu Hause<br />
vor vollendeten Tatsachen gestellt. Es<br />
ging nur noch darum, dass sie mir diesen<br />
Unterricht bezahlten. Und dann habe ich<br />
angefangen, Gitarre zu spielen und bin<br />
gleichzeitig aus der Schule rausgeflogen,<br />
weil ich einfach in der Schule nichts<br />
anderes gemacht habe, als irgendwelche<br />
Noten aufzuschreiben.<br />
Du sagtest, dein Vater wurde versetzt.<br />
Was haben deine Eltern<br />
beruflich gemacht?<br />
Meine Mutter war, wie damals so üblich,<br />
Hausfrau und mein Vater war Direktor<br />
der Bibliothek von Cesena.<br />
Und wie haben sich deine Eltern<br />
kennengelernt?<br />
Mein Vater studierte in Berlin,<br />
wo meine Mutter wohnte.<br />
Was hat er studiert?<br />
Er hat Philosophie studiert<br />
und promoviert. Eigentlich<br />
wollte er in Berlin bleiben, aber im Krieg<br />
gab es dort wenig zu essen. Mein Bruder<br />
wurde geboren und sie sind 44 nach Italien<br />
gezogen, weil es dort eher möglich<br />
war, sich zu ernähren.<br />
Ausgabe 5 • <strong>11</strong>/<strong>2018</strong><br />
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