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EGTA-Journal 11-2018

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Carlo Domeniconi<br />

Rodrigo gehört und es war ein unglaublicher<br />

Krampf. Derjenige, der gespielt<br />

hat, war technisch unglaublich brillant,<br />

doch es sind trotzdem genügend Fehler<br />

passiert. Diesen Krampf kann man<br />

nur dann vermeiden, wenn man Musik<br />

spielt, die wirklich für die Gitarre konzipiert<br />

ist. Rodrigo ist zwar ein guter Komponist,<br />

hat aber von der Gitarre keine<br />

Ahnung gehabt und deshalb ist seine<br />

Originalversion unspielbar.<br />

Diese wurde in diesem speziellen Fall<br />

von Andrés Segovia bearbeitet, damit<br />

sie sich der Gitarre anpasst. Das aber nur<br />

nach seinem persönlichem Geschmack.<br />

Also suchen wir nicht das MÖGLICHE,<br />

sondern das IDIOMATISCHE, das heißt,<br />

dass man in der Sprache des Instrumentes<br />

spricht.<br />

Das stimmt. Man müht sich oft<br />

mit Problemen, die man gar<br />

nicht hätte bei besserer Kenntnis<br />

der instrumentalen Idiomatik.<br />

Das ist auch, was du bspw. schon in einem<br />

Artikel erwähnt hattest, das eigentliche<br />

Dilemma der Gitarre in der Hinsicht,<br />

dass sie sich seit mehr als 100 Jahren<br />

in Kleidern präsentiert, die ihr nicht<br />

wirklich passen und die ihr nicht<br />

gemäß sind. Das hat zwar einerseits<br />

zur Renaissance<br />

der Gitarre durch Segovia<br />

beigetragen, andererseits<br />

war das eigentlich<br />

eine „falsche“ Renaissance.<br />

Segovia hat<br />

sicherlich gewusst,<br />

wie die Gitarre klingen<br />

muss, damit sie<br />

und er erfolgreich<br />

sind. Auf der anderen<br />

Seite sind seine<br />

Einrichtungen nicht<br />

immer ganz glücklich. Und trotzdem hat<br />

er fast nur Komponisten beauftragt, für<br />

Gitarre zu schreiben, die selbst das Instrument<br />

nicht spielen konnten und mit<br />

diesem Repertoire sind wir heute als Interpreten<br />

immer noch konfrontiert. Der<br />

Kanon von Segovia und seinen Schülern,<br />

die diesen vielleicht manchmal auch unreflektiert<br />

weitergetragen haben, ist ja<br />

immer noch verbindlich. Und vielleicht<br />

wäre es wirklich einmal gut, wie du es<br />

einmal gesagt hast, dass man die gitarristische<br />

Szene eine Zeit lang „aussetzte“,<br />

damit das Instrument wieder zu<br />

sich kommt. So wie Kagel sagte, man<br />

müsse Beethoven ein paar Jahre nicht<br />

hören, um ihn dann wieder „richtig“ zu<br />

hören und zu bemerken, was darin für<br />

unglaubliche Kraft steckt. Wenn man<br />

immer zugedudelt wird, dann bemerkt<br />

man das womöglich gar nicht mehr, und<br />

so müsste es eigentlich auch mit der Gitarre<br />

sein. Verstehe ich dich da richtig, du<br />

versuchst eigentlich, die „Seele“ der Gitarre<br />

freizulegen, damit sie so sprechen<br />

kann, wie es ihr gemäß ist und sie im<br />

rechten Licht scheinen kann.<br />

Ja, so kann man es sagen. Und das - wie<br />

von vielen Leuten befürchtet - sei banales,<br />

idiomatisches Komponieren. Es gibt<br />

immer wieder Kompositionen, bei denen<br />

eigentlich nur so ein Griffgeschiebe<br />

vorliegt. Natürlich kann man das gut<br />

und schlecht machen, z. B. bei Villa-Lobos<br />

kommt es oft vor. Ich denke an die<br />

berühmte erste Etüde mit diesem Akkord,<br />

der in jeden Bund passt. Wer jemals<br />

dieses Stück spielt, mag es. Es hat sehr<br />

viel mit Wasser zu tun und dieser Griff<br />

klingt tatsächlich in jedem Bund. Jetzt<br />

kannst du mir aber nicht erzählen, dass<br />

der Komponist diese Töne in dieser Reihenfolge<br />

gehört hat. Siehst du, wo der<br />

Unterschied ist?<br />

Ja, das kommt vom Instrument.<br />

Ja, vom Instrument. Es ist ein Griff,<br />

es ist ein Akkord, der einfach nur<br />

zerlegt wird. Das würde aus der Sicht z.B.<br />

eines Pianisten, unmöglich sein, es so zu<br />

hören. Die Reihenfolge dieser Töne bestimmt<br />

in diesem Fall nicht der Komponist,<br />

sondern das Instrument.<br />

Der Komponist aber sucht nach einem<br />

Griff, der – wenn wir wieder dieselbe<br />

Etüde nehmen – in jeder Lage gut klingt.<br />

Dabei sind nicht die Intervallverhältnisse<br />

wichtig, sondern die Spannung, die sich<br />

aus den jeweiligen Positionen ergibt.<br />

Einen Unterschied könnte man darin sehen,<br />

dass man in einem Fall vertikal (also<br />

wie die Töne übereinander klingen) oder<br />

im anderen Fall horizontal (wie der Klang<br />

sich nacheinander verändert) hört.<br />

Es ist nicht das normale Hören, das ich<br />

bei einem Musikdiktat brauche. Dabei<br />

muss man sehr analytisch werden. Du<br />

fragst: „Was hörst du jetzt?“ Du hörst ab<br />

diesem Moment nicht die Schritte des<br />

Arpeggios, du hörst sie nicht hintereinander,<br />

sondern nimmst das Arpeggio als<br />

Ganzes wahr.<br />

Was du hörst, ist jedes Mal die Spannung<br />

des Akkordes, die darauf beruht, dass<br />

eben ein Teil der Saiten so bleibt und der<br />

andere sich bewegt.<br />

Das ist über den Intellekt unmöglich zu<br />

erreichen, aber instrumentenkonform<br />

und deshalb idiomatisch.<br />

Ausgabe 5 • <strong>11</strong>/<strong>2018</strong><br />

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