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54 BILDUNG & ERZIEHUNG<br />
© pexels / Allan Mas<br />
RAUS MIT EUCH!<br />
Unsere Kinder verbringen seit Monaten mehr Zeit vorm Bildschirm,<br />
als uns lieb ist. Aber wie es sich anfühlt, auf einen Baum zu klettern,<br />
kann keine App der Welt vermitteln. Balancieren lernt man nicht per<br />
Online-Tutorial, und Teamwork passiert noch lange nicht, nur weil ein<br />
Programm „Teams“ heißt. Höchste Zeit, die Nasen nach draußen zu stecken.<br />
Die Welt mit allen Sinnen wahrzunehmen, sie zu begreifen im<br />
doppelten Wortsinn, ist für uns alle essenziell und eine Voraussetzung<br />
dafür, dass Kinder wichtige Fähigkeiten entwickeln können.<br />
Text Manuela Prill<br />
Die Sandkuchen sind perfekt! Lucie sitzt<br />
im Sandkasten und strahlt. Vor ein paar<br />
Minuten war die Dreijährige noch frustriert,<br />
der Sand wollte einfach nicht zusammenhalten.<br />
Bis sie entdeckte, dass<br />
ein bisschen mehr Wasser genau die<br />
richtige Mischung ergibt, damit die Kuchen<br />
schön aus den Förmchen gleiten.<br />
„Was man tun muss, um es zu tun, das<br />
lernt man, indem man es tut.“ Zu dieser<br />
Erkenntnis kam schon Aristoteles. Von<br />
klein auf lernen wir, indem wir Dinge<br />
ausprobieren, sie anfassen, schmecken,<br />
hören, riechen. Babys erkunden ihre<br />
Umgebung, indem sie alles, was sie zu<br />
greifen kriegen, in den Mund stecken.<br />
Lippen und Zunge sind in dieser Phase<br />
ihre wichtigsten Sinnesorgane. Das, was<br />
wir selbst machen und erleben, prägt<br />
sich ins Gedächtnis und lässt uns selbst<br />
als Teil der Umwelt wahrnehmen.<br />
„Lernen erfolgt nicht rein kognitiv, es<br />
ist ein Zusammenspiel aus Gehirn und<br />
Körper“, sagt Prof. Dr. Thomas Eberle,<br />
Leiter des Lehrstuhls für Schulpädagogik<br />
an der Friedrich-Alexander-Univer-<br />
sität Erlangen-Nürnberg (FAU). Schwerpunkte<br />
seiner wissenschaftlichen Arbeit<br />
sind Erlebnispädagogik und das sogenannte<br />
„Experiential Learning“, zu<br />
deutsch: erfahrungsbasiertes Lernen. In<br />
der Erlebnispädagogik werden konkrete<br />
Lernsituationen gestaltet und mit einem<br />
pädagogischen Ziel verknüpft. Draußen<br />
in der Natur und immer in Kombination<br />
mit Bewegung. Beispiel: eine gemeinsame<br />
Klettertour als Teamübung. „Dabei<br />
kann es um das Klettern und das gegenseitige<br />
Sichern gehen, die Aufgabe kann<br />
aber auch schon sein, wie kommt die<br />
Gruppe dorthin, wie organisiert sie sich<br />
beim Beschaffen der Ausrüstung?“ erklärt<br />
Eberle. Ziel dieser Settings: Kinder<br />
und Jugendliche in ihrer Persönlichkeits-<br />
und Kompetenzentwicklung zu<br />
fördern, ihr Sozialverhalten zu schulen<br />
und ihnen Möglichkeiten zu geben, sich<br />
selbst besser kennen- und einschätzen<br />
zu lernen.<br />
Erfahrungsbasiertes Lernen wird auch<br />
enger definiert als „Lernen durch Nachdenken<br />
über das Tun“. Frage: Verändert<br />
man ein bestimmtes Verhalten dann,<br />
wenn jemand dies von einem verlangt,<br />
oder tun wir es eher, wenn die eigene<br />
Erfahrung uns „belehrt“? Thomas Eberle<br />
erlebt diese Form der Selbstreflexion<br />
häufig in seinen Gruppen-Trainings.<br />
„Jemand, der anfangs gedacht hat, ich<br />
mache das am besten und schnellsten<br />
alleine, merkt durch die unmittelbare<br />
Erfahrung, dass Teamwork doch sinnvoll<br />
ist, und ändert dadurch vielleicht<br />
seine Einstellung.“ Neue Herausforderungen<br />
bergen die Chance, neue Erfahrungen<br />
zu machen. Im Alltag neige<br />
man dazu, in stets gleichen Verhaltensmustern<br />
zu agieren, weiß Eberle. Wir<br />
verlassen unsere Komfortzonen ungern,<br />
selbst wenn diese gar nicht so komfortabel<br />
sind. Routine schafft Sicherheit,<br />
gleichzeitig verstellt sie den Weg zu<br />
unentdeckten Erfahrungen. Erlebnispädagogische<br />
Settings bieten Kindern<br />
und Jugendlichen Gelegenheiten, ihren<br />
Erlebnishorizont zu erweitern und in<br />
ihnen schlummernde Fähigkeiten aufzuspüren.