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Goyo Montero ist Ballettdirektor und<br />
Chefchoreograf am Staatstheater Nürnberg<br />
"<br />
BALLETT IST<br />
UNIVERSAL"<br />
Der preisgekrönte Nürnberger<br />
Ballettchef Goyo Montero im<br />
Gespräch über Rollenbilder.<br />
Interview Katharina Wasmeier<br />
SPANIEN IST MACHISMO.<br />
WARUM IST SPANIEN BALLETT?<br />
Dass Spanien für Machismo steht, ist natürlich<br />
eine sehr pauschalisierende und<br />
auch klischeehafte These. Spanien ist<br />
zum Glück ein modernes europäisches<br />
Land, in dem das Thema Geschlechtergleichheit<br />
ebenso in der öffentlichen<br />
Debatte präsent ist wie überall. In meiner<br />
Kindheit war es allerdings tatsächlich<br />
noch so, dass ein Junge, der Ballett<br />
tanzen wollte, mit Vorurteilen zu kämpfen<br />
hatte. Zugleich ist Spanien – wie Sie<br />
richtig sagen – ein Land, in dem Tanz im<br />
Allgemeinen und Ballett im Besonderen<br />
einen enormen Stellenwert haben.<br />
Vor allem ist dies großen Tänzern und<br />
Tänzerinnen, Choreografen und Tanzpädagogen<br />
zu verdanken, die Spaniens<br />
Rolle als wichtiges Tanzland auf der<br />
internationalen Landkarte behaupten.<br />
WARUM IST BALLETT MÄNNLICH?<br />
Ballett ist weder männlich, weiblich<br />
oder divers, sondern universal. Tanz<br />
ist eine der ältesten Möglichkeiten des<br />
Menschen, sich ganz ohne Sprache und<br />
über jegliche Begrenzungen hinweg<br />
auszudrücken. Wenn wir die Historie<br />
des Balletts als Kunstgattung betrachten,<br />
kann man sogar sagen, dass das<br />
Ballett über lange Zeit hinweg vornehmlich<br />
weiblich war, denn im Fokus<br />
stand die Ballerina, deren Partner ihr<br />
in erster Linie dazu verhelfen sollte, sie<br />
noch besser in Szene zu setzen ... Die<br />
zentralen Figuren der Ballettgeschichte<br />
(Giselle, Coppélia, Raymonda etc.) wurden<br />
für Frauen kreiert. Dank berühmter<br />
Choreografinnen wie Gret Palucca, Pina<br />
Bausch, Martha Graham oder Crystal<br />
Pite wurde und wird Tanz nicht nur für<br />
Frauen, sondern auch von Frauen gestaltet<br />
und geprägt.<br />
WELCHE ROLLE SPIELEN MÄNNER<br />
IN IHREM BALLETT?<br />
In unserem Ensemble gibt es von Anbeginn<br />
an in der Regel ebenso viele<br />
Männer wie Frauen. Nach meinem Dafürhalten<br />
lebt jedes Ensemble von den<br />
individuellen Fähigkeiten und der Persönlichkeit<br />
jedes einzelnen Mitglieds.<br />
Momentan haben wir 24 Tänzer/innen<br />
aus 12 Nationen, im Alter von 17 Jahren<br />
bis Mitte dreißig. Ich nutze bei meinen<br />
Besetzungen die Stärke und Besonderheit<br />
des jeweiligen Tänzers bzw. der<br />
Tänzerin für die entsprechende Rolle<br />
– das allein ist entscheidend, und nicht<br />
das Geschlecht. Daher lasse ich in meinen<br />
Balletten auch vielmals klassische<br />
männliche Partien (wie z. B. Don Quijote<br />
und ganz aktuell Peter in meinem<br />
neuen Stück „Über den Wolf“) sowohl<br />
von einer Tänzerin als auch von einem<br />
Tänzer interpretieren.<br />
SPIELEN UND TANZEN MÄNNER MANCHE<br />
ROLLEN BESSER ALS FRAUEN?<br />
Im klassischen Ballett gibt es natürlich<br />
Stücke und Partien, die durch ihre jeweiligen<br />
technischen Anforderungen,<br />
z. B. aufgrund des Einsatzes von Pointe<br />
Shoes, oder aufgrund der Erfordernisse<br />
besonderer Sprung- und Hebetechniken<br />
explizit für die Performanz durch<br />
Frauen bzw. Männer vorgesehen sind.<br />
Erst kürzlich haben wir uns in dem Dreiteiler<br />
„Kylián/Goecke/Montero“ mit den<br />
Mitteln des Tanzes und mit der Genderthematik<br />
auseinandergesetzt. Erstmals<br />
habe ich darin mit „M“ ein Stück ausschließlich<br />
für Männer kreiert, das die<br />
Tänzer ganz bewusst an ihre physische<br />
Leistungsgrenze führt und dabei zugleich<br />
gezielt viele der Rollenklischees<br />
hinterfragt. Dieses Stück wurde in unserem<br />
Programm konterkariert durch ein<br />
Stück von Jiří Kylián für rein weibliche<br />
Besetzung und ergänzt durch ein Werk<br />
von Marco Goecke, dessen Stücke seit<br />
jeher Gendergrenzen überwinden.<br />
© Denislav Kanev<br />
MÜSSEN WIR IM BALLETT ÜBERHAUPT<br />
ZWISCHEN DEN GESCHLECHTERN<br />
UNTERSCHEIDEN?<br />
Die Ausbildung gerade für Solisten und<br />
Solistinnen im zeitgenössischen Tanz ist<br />
inzwischen allgemein so ausgezeichnet,<br />
dass Frauen und Männer technisch<br />
auf einem ebenbürtigen Niveau sind.<br />
Daher denke ich, dass diese Frage zunehmend<br />
irrelevant wird. Wichtig ist für<br />
mich, wie bereits ausgeführt, einzig und<br />
allein die Persönlichkeit des jeweiligen<br />
Tänzers bzw. der Tänzerin – oder vielmehr<br />
das, was er/sie mit seiner Kunst<br />
zum Ausdruck bringen will.<br />
WELCHE FRAUENROLLE IST IHRE LIEBSTE?<br />
In den klassischen Handlungsballetten<br />
gibt es im Grunde nur starke und inspirierende<br />
Frauenpartien, sei es Julia<br />
(in „Romeo und Julia“), Klara/Marie (in<br />
„Nussknacker“) oder Aschenbrödel (in<br />
„Cinderella“) und so viele mehr, daher<br />
fällt es mir schwer, hier eine Festlegung<br />
auf nur eine Lieblingsrolle zu treffen.<br />
ENGE STRUMPFHOSEN, ROTE LIPPEN<br />
ODER DICK UND LUSTIG IM TUTU<br />
– MÄNNER IM BALLETT SIND VOLL<br />
KLISCHEE UND VORURTEIL. WIE SIND DIE<br />
MÄNNER IHRES BALLETTS?<br />
Meine Überzeugung ist es, dass wir<br />
uns mit den Möglichkeiten unserer<br />
Kunstform und mit den gesellschaftlich<br />
relevanten Themen unserer Zeit<br />
auseinandersetzen müssen. Die männlichen<br />
Mitglieder meines Ensembles<br />
sind Repräsentanten ihrer Generation,<br />
ihre Persönlichkeiten sind so vielfältig<br />
und spannend wie die Zeit, in der wir<br />
leben. Die Persönlichkeiten, Talente und<br />
Themen, die alle meine Tänzer/innen in<br />
unsere gemeinsame Arbeit einbringen,<br />
sind eine stete Quelle der Inspiration für<br />
mich.<br />
© Alice Blangero