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ELMA_Magazin_JuniJuli_2021

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Goyo Montero ist Ballettdirektor und<br />

Chefchoreograf am Staatstheater Nürnberg<br />

"<br />

BALLETT IST<br />

UNIVERSAL"<br />

Der preisgekrönte Nürnberger<br />

Ballettchef Goyo Montero im<br />

Gespräch über Rollenbilder.<br />

Interview Katharina Wasmeier<br />

SPANIEN IST MACHISMO.<br />

WARUM IST SPANIEN BALLETT?<br />

Dass Spanien für Machismo steht, ist natürlich<br />

eine sehr pauschalisierende und<br />

auch klischeehafte These. Spanien ist<br />

zum Glück ein modernes europäisches<br />

Land, in dem das Thema Geschlechtergleichheit<br />

ebenso in der öffentlichen<br />

Debatte präsent ist wie überall. In meiner<br />

Kindheit war es allerdings tatsächlich<br />

noch so, dass ein Junge, der Ballett<br />

tanzen wollte, mit Vorurteilen zu kämpfen<br />

hatte. Zugleich ist Spanien – wie Sie<br />

richtig sagen – ein Land, in dem Tanz im<br />

Allgemeinen und Ballett im Besonderen<br />

einen enormen Stellenwert haben.<br />

Vor allem ist dies großen Tänzern und<br />

Tänzerinnen, Choreografen und Tanzpädagogen<br />

zu verdanken, die Spaniens<br />

Rolle als wichtiges Tanzland auf der<br />

internationalen Landkarte behaupten.<br />

WARUM IST BALLETT MÄNNLICH?<br />

Ballett ist weder männlich, weiblich<br />

oder divers, sondern universal. Tanz<br />

ist eine der ältesten Möglichkeiten des<br />

Menschen, sich ganz ohne Sprache und<br />

über jegliche Begrenzungen hinweg<br />

auszudrücken. Wenn wir die Historie<br />

des Balletts als Kunstgattung betrachten,<br />

kann man sogar sagen, dass das<br />

Ballett über lange Zeit hinweg vornehmlich<br />

weiblich war, denn im Fokus<br />

stand die Ballerina, deren Partner ihr<br />

in erster Linie dazu verhelfen sollte, sie<br />

noch besser in Szene zu setzen ... Die<br />

zentralen Figuren der Ballettgeschichte<br />

(Giselle, Coppélia, Raymonda etc.) wurden<br />

für Frauen kreiert. Dank berühmter<br />

Choreografinnen wie Gret Palucca, Pina<br />

Bausch, Martha Graham oder Crystal<br />

Pite wurde und wird Tanz nicht nur für<br />

Frauen, sondern auch von Frauen gestaltet<br />

und geprägt.<br />

WELCHE ROLLE SPIELEN MÄNNER<br />

IN IHREM BALLETT?<br />

In unserem Ensemble gibt es von Anbeginn<br />

an in der Regel ebenso viele<br />

Männer wie Frauen. Nach meinem Dafürhalten<br />

lebt jedes Ensemble von den<br />

individuellen Fähigkeiten und der Persönlichkeit<br />

jedes einzelnen Mitglieds.<br />

Momentan haben wir 24 Tänzer/innen<br />

aus 12 Nationen, im Alter von 17 Jahren<br />

bis Mitte dreißig. Ich nutze bei meinen<br />

Besetzungen die Stärke und Besonderheit<br />

des jeweiligen Tänzers bzw. der<br />

Tänzerin für die entsprechende Rolle<br />

– das allein ist entscheidend, und nicht<br />

das Geschlecht. Daher lasse ich in meinen<br />

Balletten auch vielmals klassische<br />

männliche Partien (wie z. B. Don Quijote<br />

und ganz aktuell Peter in meinem<br />

neuen Stück „Über den Wolf“) sowohl<br />

von einer Tänzerin als auch von einem<br />

Tänzer interpretieren.<br />

SPIELEN UND TANZEN MÄNNER MANCHE<br />

ROLLEN BESSER ALS FRAUEN?<br />

Im klassischen Ballett gibt es natürlich<br />

Stücke und Partien, die durch ihre jeweiligen<br />

technischen Anforderungen,<br />

z. B. aufgrund des Einsatzes von Pointe<br />

Shoes, oder aufgrund der Erfordernisse<br />

besonderer Sprung- und Hebetechniken<br />

explizit für die Performanz durch<br />

Frauen bzw. Männer vorgesehen sind.<br />

Erst kürzlich haben wir uns in dem Dreiteiler<br />

„Kylián/Goecke/Montero“ mit den<br />

Mitteln des Tanzes und mit der Genderthematik<br />

auseinandergesetzt. Erstmals<br />

habe ich darin mit „M“ ein Stück ausschließlich<br />

für Männer kreiert, das die<br />

Tänzer ganz bewusst an ihre physische<br />

Leistungsgrenze führt und dabei zugleich<br />

gezielt viele der Rollenklischees<br />

hinterfragt. Dieses Stück wurde in unserem<br />

Programm konterkariert durch ein<br />

Stück von Jiří Kylián für rein weibliche<br />

Besetzung und ergänzt durch ein Werk<br />

von Marco Goecke, dessen Stücke seit<br />

jeher Gendergrenzen überwinden.<br />

© Denislav Kanev<br />

MÜSSEN WIR IM BALLETT ÜBERHAUPT<br />

ZWISCHEN DEN GESCHLECHTERN<br />

UNTERSCHEIDEN?<br />

Die Ausbildung gerade für Solisten und<br />

Solistinnen im zeitgenössischen Tanz ist<br />

inzwischen allgemein so ausgezeichnet,<br />

dass Frauen und Männer technisch<br />

auf einem ebenbürtigen Niveau sind.<br />

Daher denke ich, dass diese Frage zunehmend<br />

irrelevant wird. Wichtig ist für<br />

mich, wie bereits ausgeführt, einzig und<br />

allein die Persönlichkeit des jeweiligen<br />

Tänzers bzw. der Tänzerin – oder vielmehr<br />

das, was er/sie mit seiner Kunst<br />

zum Ausdruck bringen will.<br />

WELCHE FRAUENROLLE IST IHRE LIEBSTE?<br />

In den klassischen Handlungsballetten<br />

gibt es im Grunde nur starke und inspirierende<br />

Frauenpartien, sei es Julia<br />

(in „Romeo und Julia“), Klara/Marie (in<br />

„Nussknacker“) oder Aschenbrödel (in<br />

„Cinderella“) und so viele mehr, daher<br />

fällt es mir schwer, hier eine Festlegung<br />

auf nur eine Lieblingsrolle zu treffen.<br />

ENGE STRUMPFHOSEN, ROTE LIPPEN<br />

ODER DICK UND LUSTIG IM TUTU<br />

– MÄNNER IM BALLETT SIND VOLL<br />

KLISCHEE UND VORURTEIL. WIE SIND DIE<br />

MÄNNER IHRES BALLETTS?<br />

Meine Überzeugung ist es, dass wir<br />

uns mit den Möglichkeiten unserer<br />

Kunstform und mit den gesellschaftlich<br />

relevanten Themen unserer Zeit<br />

auseinandersetzen müssen. Die männlichen<br />

Mitglieder meines Ensembles<br />

sind Repräsentanten ihrer Generation,<br />

ihre Persönlichkeiten sind so vielfältig<br />

und spannend wie die Zeit, in der wir<br />

leben. Die Persönlichkeiten, Talente und<br />

Themen, die alle meine Tänzer/innen in<br />

unsere gemeinsame Arbeit einbringen,<br />

sind eine stete Quelle der Inspiration für<br />

mich.<br />

© Alice Blangero

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