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ELMA_Magazin_JuniJuli_2021

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78 KULTUR<br />

Francesca<br />

Imoda<br />

schweren Sandsäcken beworfen, Schwuchtel,<br />

ekelhafte, verpiss dich. Die Freunde haben ihn<br />

verteidigt. Johannes wechselt die Schule. „Ich<br />

bin bis heute so verletzt und wütend. Je mehr<br />

ich darüber nachdenke, desto weniger verstehe<br />

ich, wieso man so etwas macht“, sagt der<br />

zarte Junge, der freundlich ist und verletzlich<br />

und eine Idee zur Erklärung sehr wohl schon<br />

hat: „Vielleicht wollte der andere selbst mal<br />

tanzen ausprobieren, und seine Eltern haben<br />

gesagt, das ist was für Mädchen?“ Dabei<br />

sollten doch gerade die Eltern dort Rückenstärkung<br />

geben, wo die Gesellschaft noch zu<br />

wenig Verständnis aufbringt.<br />

Doch eben sie sind es, weiß Francesca Imoda,<br />

vor allem die Väter, die „ihren Söhnen<br />

keinerlei Unterstützung geben und sagen:<br />

Mach das, wenn du unbedingt meinst,<br />

aber ich will nichts davon wissen.“ Eine<br />

Akzeptanz, sagt Imoda, käme oft erst,<br />

wenn die Söhne dann eine Bühne<br />

erklimmen, beklatscht, gefeiert<br />

werden. „Vorher steht diese<br />

völlig unbegründete Angst, ihr<br />

Sohn könnte durch Ballett irgendwie<br />

unmännlich werden.“<br />

Kategorien, um die es hier eigentlich<br />

nicht geht. Sondern um Kraft und Koordination,<br />

um balancierte Körperspannung.<br />

Um elastische Muskulatur. Um Spaß, der<br />

Kinder, die hierherfinden. Niemand steht<br />

streng an einer Stange und übt stundenlang<br />

Plié und Attitude, Arabesque und<br />

Pirouettes en dehors. Spielerisches Tanzen<br />

steht für die Kleinsten auf dem Stundenplan,<br />

Kreativität. Sei ein Adler, sei ein<br />

Baum, wie fühlt sich das an? Später kommt<br />

das Training, das Haltung und Bewegung in<br />

die Körper schreibt. Und später, viel später,<br />

sich zu Choreographien, Tänzen, Bühnenstücken<br />

verbindet. „Ballett ist Leistungssport<br />

und Kunst zugleich. Die Männer im Ballett<br />

gehen genau so viel zum Krafttraining wie<br />

andere Sportler“, sagt Francesca Imoda,<br />

üben organisch komplexe Bewegungen.<br />

„Das typische Hochspringen und Halten<br />

der Frauen“, sagt Johannes, „das bedeutet<br />

ja, die Frauen in Szene zu setzen. Das<br />

ist meine Aufgabe als Mann – und das gefällt<br />

mir sehr.“ Tanzen gefällt ihm sehr. „Es ist wie<br />

bei jedem Hobby: Ich kann einfach völlig ab-<br />

© Vincent Mak<br />

schalten“, sagt er. „Tanzen macht glücklich.<br />

Man hat etwas, was man gut kann, fühlt sich<br />

damit wohl. Wenn ich Probleme oder Sorgen<br />

habe, gehe ich tanzen, und dann geht es mir<br />

gleich viel besser. Und umgekehrt kann ich<br />

bei anderen an ihrem Tanz erkennen, wie es<br />

ihnen geht.“<br />

Sie sind keine Tanzfamilie, sagt Johannes. Die<br />

Zwillingsschwester, die er liebt, aber die lieber<br />

zum Boxen geht und im Handballtor steht. Der<br />

große Bruder tanzt nicht, die Eltern höchstens<br />

falsch. „Mama“, sagt Johannes dann, „das ist<br />

Chacha, du tanzt Rumba!“, und versteht wirklich<br />

nicht, dass man sich das einfach nicht<br />

merken kann. Ein Problem, merkt Angelina<br />

Noack-Glenz zunehmend, ist, dass „im<br />

Hobbybereich zu viele Frauen Ballett<br />

lehren, die nicht wissen,<br />

wie man Männer und Jungen<br />

unterrichtet.“ Die ihre<br />

eigenen Klischeevorstellungen<br />

in den Unterricht tragen und<br />

kleine süße Tutu-Prinzessinnen<br />

erschaffen. Die das im professionellen<br />

Ballett längst überholte Bild immer und<br />

immer wieder reproduzieren. „Bei uns hier<br />

gibt es wenig rosa“, sagt Francesca Imoda,<br />

sondern einheitliche Trikots für jede Klasse.<br />

Und Jungs tragen natürlich entsprechend andere<br />

Klamotten als die Mädchen. Die körperbetonte<br />

Trainingskleidung aber ist wichtig<br />

für einen Sport, bei dem Körperspannung<br />

alles ist. Die Lehrer müssen sehen können,<br />

wie diese Körper sich entwickeln.<br />

Und der ganze Mensch: „Auf der Bühne<br />

kann man Teile der Persönlichkeit erschnuppern,<br />

die man sonst nicht zeigt<br />

oder noch gar nicht kennt.“ Es wäre<br />

so wichtig, so die Lehrerin, dass Eltern<br />

stolz sind und ihre Kinder, ihre<br />

Söhne unterstützen, anstatt Angst<br />

zu haben. Und den Kindern, den<br />

Jungs, sagt Johannes, „kann egal sein, was die<br />

anderen denken. Es geht doch nur darum, sich<br />

selbst zu mögen. Das ist befreiend.“ Johannes<br />

ist, „soweit ich weiß“, der einzige Balletttänzer<br />

seiner Altersklasse in der ganzen Umgebung.<br />

Wenn es nach ihm geht, kann das so bleiben.<br />

„Da lernt man ganz schön viele tolle Mädchen<br />

kennen“, sagt er. Die Augen leuchten. Die Hände<br />

fliegen.<br />

© Eva Grothe

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