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78 KULTUR<br />
Francesca<br />
Imoda<br />
schweren Sandsäcken beworfen, Schwuchtel,<br />
ekelhafte, verpiss dich. Die Freunde haben ihn<br />
verteidigt. Johannes wechselt die Schule. „Ich<br />
bin bis heute so verletzt und wütend. Je mehr<br />
ich darüber nachdenke, desto weniger verstehe<br />
ich, wieso man so etwas macht“, sagt der<br />
zarte Junge, der freundlich ist und verletzlich<br />
und eine Idee zur Erklärung sehr wohl schon<br />
hat: „Vielleicht wollte der andere selbst mal<br />
tanzen ausprobieren, und seine Eltern haben<br />
gesagt, das ist was für Mädchen?“ Dabei<br />
sollten doch gerade die Eltern dort Rückenstärkung<br />
geben, wo die Gesellschaft noch zu<br />
wenig Verständnis aufbringt.<br />
Doch eben sie sind es, weiß Francesca Imoda,<br />
vor allem die Väter, die „ihren Söhnen<br />
keinerlei Unterstützung geben und sagen:<br />
Mach das, wenn du unbedingt meinst,<br />
aber ich will nichts davon wissen.“ Eine<br />
Akzeptanz, sagt Imoda, käme oft erst,<br />
wenn die Söhne dann eine Bühne<br />
erklimmen, beklatscht, gefeiert<br />
werden. „Vorher steht diese<br />
völlig unbegründete Angst, ihr<br />
Sohn könnte durch Ballett irgendwie<br />
unmännlich werden.“<br />
Kategorien, um die es hier eigentlich<br />
nicht geht. Sondern um Kraft und Koordination,<br />
um balancierte Körperspannung.<br />
Um elastische Muskulatur. Um Spaß, der<br />
Kinder, die hierherfinden. Niemand steht<br />
streng an einer Stange und übt stundenlang<br />
Plié und Attitude, Arabesque und<br />
Pirouettes en dehors. Spielerisches Tanzen<br />
steht für die Kleinsten auf dem Stundenplan,<br />
Kreativität. Sei ein Adler, sei ein<br />
Baum, wie fühlt sich das an? Später kommt<br />
das Training, das Haltung und Bewegung in<br />
die Körper schreibt. Und später, viel später,<br />
sich zu Choreographien, Tänzen, Bühnenstücken<br />
verbindet. „Ballett ist Leistungssport<br />
und Kunst zugleich. Die Männer im Ballett<br />
gehen genau so viel zum Krafttraining wie<br />
andere Sportler“, sagt Francesca Imoda,<br />
üben organisch komplexe Bewegungen.<br />
„Das typische Hochspringen und Halten<br />
der Frauen“, sagt Johannes, „das bedeutet<br />
ja, die Frauen in Szene zu setzen. Das<br />
ist meine Aufgabe als Mann – und das gefällt<br />
mir sehr.“ Tanzen gefällt ihm sehr. „Es ist wie<br />
bei jedem Hobby: Ich kann einfach völlig ab-<br />
© Vincent Mak<br />
schalten“, sagt er. „Tanzen macht glücklich.<br />
Man hat etwas, was man gut kann, fühlt sich<br />
damit wohl. Wenn ich Probleme oder Sorgen<br />
habe, gehe ich tanzen, und dann geht es mir<br />
gleich viel besser. Und umgekehrt kann ich<br />
bei anderen an ihrem Tanz erkennen, wie es<br />
ihnen geht.“<br />
Sie sind keine Tanzfamilie, sagt Johannes. Die<br />
Zwillingsschwester, die er liebt, aber die lieber<br />
zum Boxen geht und im Handballtor steht. Der<br />
große Bruder tanzt nicht, die Eltern höchstens<br />
falsch. „Mama“, sagt Johannes dann, „das ist<br />
Chacha, du tanzt Rumba!“, und versteht wirklich<br />
nicht, dass man sich das einfach nicht<br />
merken kann. Ein Problem, merkt Angelina<br />
Noack-Glenz zunehmend, ist, dass „im<br />
Hobbybereich zu viele Frauen Ballett<br />
lehren, die nicht wissen,<br />
wie man Männer und Jungen<br />
unterrichtet.“ Die ihre<br />
eigenen Klischeevorstellungen<br />
in den Unterricht tragen und<br />
kleine süße Tutu-Prinzessinnen<br />
erschaffen. Die das im professionellen<br />
Ballett längst überholte Bild immer und<br />
immer wieder reproduzieren. „Bei uns hier<br />
gibt es wenig rosa“, sagt Francesca Imoda,<br />
sondern einheitliche Trikots für jede Klasse.<br />
Und Jungs tragen natürlich entsprechend andere<br />
Klamotten als die Mädchen. Die körperbetonte<br />
Trainingskleidung aber ist wichtig<br />
für einen Sport, bei dem Körperspannung<br />
alles ist. Die Lehrer müssen sehen können,<br />
wie diese Körper sich entwickeln.<br />
Und der ganze Mensch: „Auf der Bühne<br />
kann man Teile der Persönlichkeit erschnuppern,<br />
die man sonst nicht zeigt<br />
oder noch gar nicht kennt.“ Es wäre<br />
so wichtig, so die Lehrerin, dass Eltern<br />
stolz sind und ihre Kinder, ihre<br />
Söhne unterstützen, anstatt Angst<br />
zu haben. Und den Kindern, den<br />
Jungs, sagt Johannes, „kann egal sein, was die<br />
anderen denken. Es geht doch nur darum, sich<br />
selbst zu mögen. Das ist befreiend.“ Johannes<br />
ist, „soweit ich weiß“, der einzige Balletttänzer<br />
seiner Altersklasse in der ganzen Umgebung.<br />
Wenn es nach ihm geht, kann das so bleiben.<br />
„Da lernt man ganz schön viele tolle Mädchen<br />
kennen“, sagt er. Die Augen leuchten. Die Hände<br />
fliegen.<br />
© Eva Grothe