VKD-Praxisberichte 2019
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PATIENTENSICHERHEIT<br />
rücksichtigt. Es ging damals um das wichtige Thema<br />
Kommunikation. Bisher sind die Bemühungen<br />
in Deutschland allerdings noch eher kommerziell<br />
und nicht einheitlich.<br />
In Österreich gibt es zum Beispiel einen zentralen<br />
Dolmetscherpool, eine nationale Plattform,<br />
die Übersetzungen in 70 Sprachen ermöglicht.<br />
Wenn ein ausländischer Patient zum Arzt kommt<br />
und weder er noch der Arzt verstehen ein Wort,<br />
kann innerhalb von fünf bis zehn Minuten ein<br />
Dolmetscher per Video dazugeschaltet werden.<br />
Ein Dolmetscherdienst wie in Österreich, dessen<br />
Das Aktionsbündnis hat 28 Forderungen für<br />
mehr Patientensicherheit aufgestellt und daraus<br />
zunächst sieben in seinem APS-Weißbuch veröffentlicht.<br />
Weitere sollen folgen. In diesem Zusammenhang<br />
stellt sich auch die Frage, ob es immer<br />
gesundheitspolitischer Interventionen bedarf,<br />
die darin u. a. gefordert werden.<br />
Hedwig François-Kettner: Immer ist das sicherlich<br />
nicht notwendig, bei bestimmten Themen aber<br />
dennoch. Unsere zunächst sieben veröffentlichten<br />
Forderungen betreffen die verbindliche Einsetzung<br />
von Beauftragten für Patientensicherheit in den<br />
„<br />
Auch bei schwierigen Themen – zum Beispiel die Gruppe ambulant<br />
versorgter intensivpflichtiger Patienten betreffend – sind wir durchaus<br />
unerschrocken, wenn es der Patientensicherheit dient. Dafür muss eigentlich<br />
jedes Mittel recht sein. Wir unternehmen das, was andere nicht<br />
tun.<br />
“<br />
Dolmetscher auch alle vereidigt sind, wäre auch<br />
für Deutschland eine sehr gute zentrale Lösung.<br />
Das APS meint, Patientensicherheit sei erlernbar.<br />
Das müsste ja schon in der Ausbildung beginnen.<br />
Hedwig François-Kettner: Stimmt. Wir haben deshalb<br />
einen Lernzielkatalog erarbeitet, in dem das<br />
Thema ausführlich beschrieben ist, diesen beim<br />
Medizinischen Fakultätentag (MFT) vorgestellt<br />
und in die zu aktualisierenden Curricula eingebracht.<br />
Unsere Analyse der Ausbildungsinhalte für<br />
die deutschen Gesundheitsfachberufe hatte zuvor<br />
deutliche Defizite in Bezug auf Fragen der Patientensicherheit<br />
ergeben. Das Aktionsbündnis ist<br />
Mitglied beim Institut für medizinische und pharmazeutische<br />
Prüfungsfragen IMPP und u.a. Initialgeber<br />
für Prüfungsfragen.<br />
Das Institut für medizinische und pharmazeutische<br />
Prüfungsfragen (IMPP) hat unsere Prüfungsfragen<br />
zur Kommunikation mit aufgenommen. Die Studiengänge<br />
sind verpflichtet, dazu Seminare abzuhalten,<br />
das freut mich sehr. Auch für die Pflegeausbildung<br />
sollte das Standard werden.<br />
Gemeinsam mit der Kommunikationswissenschaftlerin<br />
Frau Prof. Hannawa haben wir zudem ein Innovationsprojekt<br />
initiiert. Unser Ziel ist es, für die inzwischen<br />
Hunderte Kommunikationsseminare ein<br />
Programm zu geeigneten Kommunikationsformen<br />
aufzulegen, das auch zertifiziert werden kann.<br />
Krankenhäusern, die Verbesserung der Hygiene in<br />
allen Bereichen des Gesundheitswesens, die verpflichtende<br />
Teilnahme an Fehlermeldesystemen,<br />
ein verbindliches Implantate-Register, die Einbeziehung<br />
des Themas Patientensicherheit in die Aus-,<br />
Fort- und Weiterbildung der Gesundheitsberufe,<br />
die Einbeziehung der Patienten und Angehörigen<br />
als aktive Partner sowie regelmäßige Patienten- und<br />
Angehörigenbefragungen. Bei deren Umsetzung<br />
bauen wir tatsächlich auch auf den Gesetzgeber.<br />
Einige Forderungen sind bereits so gut wie erfüllt.<br />
Die Bundesregierung hat ein verbindliches Implantate-Register<br />
auf den Weg gebracht. Fehlermeldesysteme<br />
gibt es bereits seit etlichen Jahren.<br />
Hedwig François-Kettner: Die Beteiligung daran<br />
ist aber leider bisher nicht sehr gut, weil sie nicht<br />
verpflichtend ist. CIRS könnte besser laufen – aber<br />
auch hier hängt es eben sehr stark von den Vorgesetzten<br />
ab. Das ist eine Sisyphosarbeit, die an der<br />
Spitze oft gar nicht wahrgenommen wird. Die damit<br />
Beauftragten haben oft keine eigenen Ressourcen<br />
für diese Aufgabe. Kaum jemand interessiert<br />
sich dafür. Deshalb brauchen wir die Beauftragten<br />
für Patientensicherheit, damit das Thema im Top-<br />
Management ankommen wird. Es ist auch wichtig,<br />
dass der Aufsichtsrat einmal im Jahr informiert wird.<br />
Erfreulich ist, dass das Land Hessen jetzt den ersten<br />
Beauftragten für Patientensicherheit installiert hat.<br />
Auch bei der TK gibt es ihn inzwischen. Man muss<br />
auch als Konzernchef danach fragen, wie sich die<br />
Infektionsraten und die Zahl der Todesfälle entwickeln,<br />
deren Ursachen unerwünschte Ereignisse<br />
oder Fehler sind.<br />
Patientenbefragungen werden ja vielfach in den<br />
Krankenhäusern schon durchgeführt.<br />
Hedwig François-Kettner: Grundsätzlich ja. Und<br />
das ist natürlich sehr erfreulich. Die Frage ist aber<br />
immer auch, ob das regelmäßig und auch professionell<br />
geschieht. Wir führen alle fünf Jahre gemeinsam<br />
mit dem Institut für Patientensicherheit<br />
in Bonn eine entsprechende Studie durch – suchen<br />
aber auch noch Unterstützung dafür. Die erste Studie<br />
hat die Situation 2010 mit 2015 verglichen. Danach<br />
haben 2015 schon 80 Prozent der Krankenhäuser<br />
angegeben, selbst Patientenbefragungen<br />
durchzuführen – zuvor waren es 40 Prozent. Damit<br />
können wir auch zeigen, was diese Befragungen<br />
bewirken. Wir brauchen aber auch einen Dialog<br />
dazu mit den Häusern.<br />
Sie haben eingangs auch auf den wirtschaftlichen<br />
Effekt der Patientensicherheit<br />
verwiesen. Ist dieser bezifferbar?<br />
Hedwig François-Kettner: Die<br />
OECD hat mehrere Studien<br />
durchgeführt, die deutlich zeigen:<br />
Wenn eine Einrichtung<br />
strategisch Aspekte der Patientensicherheit<br />
einführt,<br />
können 15 Prozent der Kosten<br />
gespart werden, weil<br />
vermeidbare Fehler deutlich<br />
reduziert werden. Das wären<br />
mehr als 50 Milliarden Euro<br />
im Jahr in den deutschen<br />
Krankenhäusern.<br />
Fünfzehn Prozent Budgeteinsparungen<br />
– was braucht das<br />
Management denn eigentlich<br />
noch?! Der wichtigste Gedanke<br />
ist aber immer: Wir sind nicht zum<br />
Selbstzweck da, sondern für die Patienten.<br />
Frau François-Kettner,<br />
herzlichen Dank für das Gespräch.<br />
„<br />
PATIENTENSICHERHEIT<br />
Patientensicherheit muss zur Chefsache<br />
werden. Daher muss dann auch die für<br />
Patientensicherheit verantwortliche<br />
Person im TOP-Management verankert<br />
sein.<br />
“<br />
Der Tipp:<br />
Das APS-WeiSSbuch Patientensicherheit:<br />
Wegweiser für zentrale Verbesserungen<br />
der Patientenversorgung<br />
Knapp 20 Jahre nach Erscheinen von „To Err Is Human“<br />
hat das Aktionsbündnis Patientensicherheit mit dem<br />
„Weißbuch“ eine grundlegende Analyse der Situation<br />
und konkrete Forderungen zur Verbesserung der Patientensicherheit<br />
vorgelegt. Der Autor, Prof. Dr. Matthias<br />
Schrappe, war Gründungsvorsitzender des APS und hat<br />
nicht nur die theoretischen Grundlagen, die Erhebungsmethodik,<br />
die Daten zur Häufigkeit und die ökonomischen<br />
Implikationen aufgearbeitet, sondern daraus auch<br />
ein innovatives Konzept entwickelt, das als Basis für die<br />
weitere praktische Entwicklung und die gesundheitspolitische<br />
Bewertung des Themas dienen kann.<br />
„APS-Weißbuch Patientensicherheit: Wegweiser für zentrale<br />
Verbesserungen der Patientenversorgung“, MWV<br />
Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Paperback,<br />
ISBN: 978-3-95466-410-8, 64,95 Euro<br />
<strong>VKD</strong>-PRAXISBERICHTE <strong>2019</strong> | KAMPF UMS PERSONAL - PATIENTENSICHERHEIT 62<br />
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