VKD-Praxisberichte 2019
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PATIENTENSICHERHEIT<br />
PATIENTENSICHERHEIT<br />
möglichst gleichbleibende und gute Qualität zu<br />
erreichen, wurde direkt zu Beginn der Förderung<br />
in 2013 festgelegt, dass in dem sensiblen Arbeitsfeld<br />
der Psychiatrie und Psychosomatik auf entsprechend<br />
qualifizierte Fachleute zurückzugreifen<br />
ist, da nicht nur sprachliche Hürden überwunden<br />
werden müssen, sondern auch kulturelle Aspekte<br />
eine große Rolle spielen können. Die Auszahlung<br />
der Fördergelder an die LVR-Kliniken wurde daher<br />
an den Nachweis des Einsatzes professioneller SIM<br />
gekoppelt.<br />
Der LVR<br />
Der LVR arbeitet als Kommunalverband mit rund<br />
19.000 Beschäftigten für die 9,6 Millionen Menschen<br />
im Rheinland. Die 13 kreisfreien Städte und die zwölf<br />
Kreise im Rheinland sowie die Städte Region Aachen<br />
sind die Mitgliedskörperschaften des LVR.<br />
Mit seinen 41 Schulen, zehn Kliniken, 19 Museen<br />
und Kultureinrichtungen, drei Heilpädagogischen<br />
Netzen, vier Jugendhilfeeinrichtungen und<br />
dem Landesjugendamt erfüllt der LVR Aufgaben,<br />
die rheinlandweit wahrgenommen werden. Er ist<br />
Deutschlands größter Leistungsträger für Menschen<br />
mit Behinderungen und engagiert sich für Inklusion<br />
in allen Lebensbereichen. „Qualität für Menschen“ ist<br />
sein Leitgedanke.<br />
SIM können als eine Art „Brückenbauer“ zwischen<br />
Menschen mit Flucht- und Zuwanderungsgeschichte<br />
und Fachpersonal im Gesundheits-, Bildungs-<br />
und Sozialwesen verstanden werden. Ihre<br />
Arbeit zielt auf den Abbau von sprachlichen und<br />
soziokulturellen Verständigungsbarrieren ab und<br />
ermöglicht so eine effektive Zusammenarbeit. SIM<br />
nehmen an einer mindestens zwölf Monate umfassenden<br />
bundeseinheitlichen Qualifizierung teil,<br />
welche nach einer externen Prüfung mit einem<br />
entsprechenden Zertifikat abschließt.<br />
Inhalte der Qualifizierung sind unter anderem<br />
Dolmetschtraining, interkulturelle Kommunikation<br />
und soziokulturelle Sensibilisierung, fachspezifisches<br />
Deutsch, Gesundheitswesen und psychosoziale<br />
Versorgung/Beratung, etc. Neutralität,<br />
<strong>VKD</strong>-PRAXISBERICHTE <strong>2019</strong> | KAMPF UMS PERSONAL - PATIENTENSICHERHEIT 76<br />
Transparenz, professionelle Distanz und Schweigepflicht<br />
werden als Handlungsleitlinien vermittelt.<br />
Aufgrund der eigenen Migrationserfahrung sind<br />
SIM vertraut mit der Kultur des Herkunftslandes<br />
sowie mit länderspezifischen Unterschieden, z. B.<br />
in der medizinischen und sozialen Versorgung. Bei<br />
Bedarf können sie daher in soziokulturell sensiblen<br />
Fragen vermitteln und Behandler*innen mit<br />
ihrem Wissen zur Verfügung stehen (zum Beispiel<br />
im Umgang mit psychischen Erkrankungen in der<br />
Herkunftskultur, in Bezug auf Geschlechterrollen,<br />
religiöse Aspekte, etc.). Soziokulturell bedingte<br />
Missverständnisse können so leichter vermieden<br />
bzw. aufgeklärt werden, was einen wichtigen Beitrag<br />
zur Verbesserung der Behandlungsqualität<br />
leisten kann.<br />
Beispielhaft sollen mit SprInt Wuppertal und Essen 2 ,<br />
Intermigras Düsseldorf 3 und bikup Köln 4 an dieser<br />
Stelle drei Anbieter von SIM genannt werden, mit<br />
denen aufgrund des steigenden Auftragsvolumens<br />
erstmals im Jahr 2015 durch den LVR-Fachbereich<br />
Zentraler Einkauf eine Rahmenvereinbarung geschlossen<br />
wurde und die die genannten Qualitätskriterien<br />
erfüllen.<br />
Finanzierung des Angebots<br />
Durch die zweckgebundene Bereitstellung von<br />
Fördergeldern aus dem Förderprogramm zur „Verbesserung<br />
der migrantensensiblen psychiatrischpsychotherapeutischen<br />
Versorgung“ ermöglicht<br />
der LVR seit 2013 den flächendeckenden Einsatz<br />
von SIM in seinen psychiatrischen Kliniken.<br />
Speziell für die Behandlung von Flüchtlingen sind<br />
darüber hinaus seit 2015 für den LVR-Klinikverbund<br />
weitere Haushaltsmittel aus den LVR-Flüchtlingshilfen<br />
vorgesehen. Seit 2017 wird gleichermaßen<br />
der Einsatz von SIM im Rahmen der gemeindepsychiatrischen<br />
Versorgung in den Sozialpsychiatrischen<br />
Zentren (SPZ) des Rheinlands 5 gefördert.<br />
Hiermit übernimmt der LVR im Bereich der psychiatrischen<br />
Versorgung Vorreiterfunktion, denn<br />
derzeit werden SIM in Deutschland im Vergleich<br />
zu anderen europäischen Ländern noch deutlich<br />
seltener eingesetzt. Nicht zuletzt ist dies auch<br />
eine Frage der in der Regel ungeklärten Finanzierung:<br />
Die Kosten für Dolmetscher*innen bzw.<br />
SIM werden nur in wenigen Fällen von Sozialamt,<br />
2<br />
https://www.sprachundintegrationsmittler.org/sprach-und-integrationsmittlung/, https://www.sprint-essen.de/<br />
3<br />
https://www.intermigras.de/<br />
4<br />
https://www.bikup.de/bikup-sprachmittlerpool/<br />
5<br />
https://www.lvr.de/de/nav_main/kliniken/verbundzentrale/frderundmodellprojekte/frderprogramme/sim_foerderung_im_spz/<br />
sim_foerderung_im_spz_1.jsp<br />
Jugendamt oder Jobcenter übernommen. Die Beantragung<br />
ist meist langwierig und kompliziert<br />
und überfordert die oft schwer psychisch kranken<br />
Patient*innen.<br />
Das im Juli 2016 verabschiedete Integrationsgesetz<br />
sieht die - im Referentenentwurf noch enthaltene<br />
und von Fachverbänden (z. B. Bundespsychotherapeutenkammer,<br />
Bundesärztekammer)<br />
und Fachleuten ausdrücklich geforderte - Kostenübernahme<br />
für Dolmetschereinsätze durch die<br />
Krankenkassen zur Gewährleistung einer bedarfsgerechten<br />
medizinischen Versorgung weiterhin<br />
nicht vor. Die Finanzierung von professioneller<br />
Sprachmittlung bleibt also eine große Hürde. Die<br />
beschriebene zweckgebundene Bereitstellung<br />
von Fördermitteln für SIM zur Versorgung psychisch<br />
kranker Menschen mit Flucht- und Zuwanderungsgeschichte<br />
durch den LVR bedeutet daher<br />
für die Mitgliedskörperschaften, d.h. Städte und<br />
Kreise im Rheinland sowie die Städteregion Aachen,<br />
eine finanzielle Entlastung.<br />
Fachliche Voraussetzungen für den<br />
Einsatz von SIM<br />
Auch heute noch stehen Behandler*innen in psychiatrischen<br />
und psychosomatischen Arbeitsfeldern<br />
dem Einsatz von SIM bzw. Dolmetscher*innen<br />
zum Teil skeptisch gegenüber. Aufgrund der aktuellen<br />
Versorgungssituation erscheint es jedoch<br />
deutlich zielführender, sich nicht mit dem „ob“,<br />
sondern mit dem „wie“ eines solchen Settings auseinanderzusetzen.<br />
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sen sowie durch Training bzw. Übung, zudem sollte<br />
die Aufmerksamkeit für typische Fehlerquellen<br />
gegeben sein (vgl. hierzu z. B. Thompson et al.<br />
2013). Behandler*innen müssen nach Hadziabdic,<br />
Albin & Hjelm (2014) zudem dafür sensibilisiert<br />
werden, dass Patient*innen sich häufig „behindert“<br />
fühlen, wenn sie auf SIM angewiesen sind, sie sich<br />
unsicher fühlen, ob richtig übersetzt wird und die<br />
Intimität zum therapeutischen Team als reduziert<br />
erlebt wird. Daher kann - je nach vorliegendem<br />
Störungsbild - nicht allen Patient*innen ein solches<br />
Behandlungssetting ohne weiteres zugemutet<br />
werden.<br />
Um vor dem Hintergrund dieser Studienlage<br />
eine ausreichende Sicherheit für Patient*innen<br />
und Mitarbeitende in diesem speziellen Versorgungskontext<br />
zu gewährleisten, wurden im Jahr<br />
2014 zunächst in allen LVR-Kliniken umfassende<br />
Informationsveranstaltungen zum Einsatz von<br />
SIM durch das LVR-Kompetenzzentrum Migration<br />
angeboten. In den meisten Kliniken erfolgten im<br />
Jahr danach in einem zweiten Schritt vertiefende<br />
„In House“-Schulungen für einzelne Abteilungen<br />
bzw. Teams. Bis zum jetzigen Zeitpunkt besteht<br />
für jede*n Mitarbeiter*in die Möglichkeit, sich bei<br />
allen Fragen rund um den Einsatz von SIM telefonisch<br />
oder per Email an das LVR-Kompetenzzentrum<br />
Migration zu wenden und zeitnah Unterstützung<br />
zu erhalten.<br />
Auf der Homepage des Kompetenzzentrums stehen<br />
zudem etliche Informationsmaterialien und<br />
SIM können als eine Art „Brückenbauer“ zwischen<br />
Menschen mit Flucht- und Zuwanderungsgeschichte und<br />
Fachpersonal im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen<br />
verstanden werden. Ihre Arbeit zielt auf den Abbau<br />
von sprachlichen und soziokulturellen Verständigungsbarrieren<br />
ab.<br />
„<br />
„<br />
Studien belegen, dass eine psychotherapeutische<br />
Versorgung von Flüchtlingen unter Hinzuziehung<br />
von SIM keinesfalls als Therapie zweiter Wahl anzusehen<br />
ist (z. B. Brune, Eiroá-Orosa et al. 2011). Allerdings<br />
sollten Fachkräfte für das spezielle Setting<br />
„zu Dritt“ geschult werden. Ebenso wie bei anderen<br />
ärztlichen/ therapeutischen Fertigkeiten erhöhen<br />
sich Sicherheit und Selbstbewusstsein durch<br />
die Vermittlung von spezifischem Handlungswis-<br />
Handlungshilfen zum Download bereit wie Leitfäden,<br />
Flyer oder die sogenannte LVR-“SIM-Karte“<br />
(s. Abb. 1), die bereits in der 5. Auflage erschienen<br />
ist und für mittlerweile zwei Behandlungskontexte<br />
(Kliniken und SPZ) vorliegt. Die LVR-“SIM-Karte“<br />
wird den Mitarbeitenden auch laminiert in einem<br />
praktischen Format für die Kittel- bzw. Hosentasche<br />
zur Verfügung gestellt und informiert über<br />
die wichtigsten Regeln zum Einsatz von SIM im Be-<br />
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