14.01.2022 Aufrufe

De_Bug (Germany) 055 2002-01

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

de:Bug 055 | 0102 [10]

indiedowner | Indierock

Kosmos mit Couch

Sofa Surfers

Es war vor fünf Jahren, als die Wiener Sofa Surfers mit angekoppeltem Dorfmeister-

Remix von "Sofa Rockers" in den Schuhläden dieser Welt auf heavy Rotation liefen.

Seitdem ist viel passiert. Auf ihrem neuen, dritten Album "Encounters" kollaborieren

sie mit Musikern wie Dälek und Mark Stewart quer durch alle Genres und schrauben

weiter an Dub, Breakbeat, Funk, Elektronik und HipHop.

text: michael lachsteiner | ml@blankton.org

servicepoint

Ihr erstes Album "Transit" von 1996

erschien gerade zu der Zeit, als der

Vienna-Sound-Hype sein garstiges

Haupt lüpfte und schon bald in

Schuhläden rund um den Globus zu

hören war. Fälschlicherweise wurden

die Sofa Surfers gleich mit in

diesen mehr oder weniger schicken

Sack gepackt, denn "Sofa Rockers",

der erste Hit der Band, war schließlich

öfter im Dorfmeister-Remix zu

hören als das weitaus bessere Original.

Die folgenden Singles "The

Plan" und "Life In Malmö" stellten

dann aber rasch klar, dass der Coffeetable-Schmoove-Groove

auf der

besurften Couch nichts verloren

hatte. Handgespielte, dreckige Breakbeats,

WahWah-Gitarren, gefilterter

Funk von verschiedensten

Quellen - alles eingekleidet in einer

elektronischen, treibstoffverschmierten

Dub-Rüstung. "Transit"

- der Name des Debut-Albums,

war Programm und folgte der Tradition,

in der für das erste Album

erst mal einige Singles und ältere

Tracks auf einen Longplayer gepackt

werden und eine Reise auf der Suche

nach dem eigenen Stil darstellen.

Dementsprechend unterschiedlich

fielen auch die Stücke

aus, der rote Faden Sound- & Soulsearching

hielt "Transit" zusammen

und machte das Album zu weit mehr

als nur einem Experiment. Auf dem

Nachfolger "Cargo" dagegen war

bereits einiges klarer - in einem Referenzrahmen,

der sich irgendwo

zwischen ON-U Sound, Bill Laswell,

23 Skidoo und Punk- und

Elektronik-Ideen absteckte, bewegte

sich eine homogene Fracht, die

elektronische Bearbeitungsmethoden

mit den Synergien einer Liveband

in Einklang zu bringen versuchte.

Die Angelegenheit war mehr

als gelungen und führte nicht nur

die Band zu einer soundtechnischen

Standortbestimmung, sondern

brachte auch Respekt von Medien,

Künstlern und Publikum.

Begegnungen

Mit dem neuen Album "Encounters"

gelingt nun eine noch schwierigere

Übung. Denn war der

Sprung von "Transit" 1996 zu

"Cargo" 1998 schon ein großer, so

wird mit dem dritten Album der

Sofa Surfers - das Remix-Album

"Constructions" vom Vorjahr mit

Beiträgen von Spectre, Eardrum,

Howie B., Tom Tyler u.A. nicht

mitgerechnet - sogar noch eine

ganze Gewichtsklasse übersprungen.

"Encounters" wiegt sich nicht zufrieden

im soeben gezimmerten

Elektro-Dub-Breakbeat-Bett, sondern

lehnt sich mit dem durchgehenden

Einsatz von Gastvokalisten

[nur das ruhige Schlussstück "Gamelan"

ist rein instrumental gehalten]

weit aus dem Fenster, um zu sehen,

was auf der Straße so vor sich

geht. Neben eigentlich ohnehin

Verdächtigen wie Junior Delgado,

Dälek und Sensational [der Opener

"Formula" ist einer der Highlights

des Albums] wird auch mit Noise-

Experimentalist Mark Stewart kollaboriert.

DJ Collage, Oddatee, MC

Santana, Lil Desmond Levy. Jeb Loy

Nichols und Dawna Lee stellen die

weiteren Vokalisten und trotz der

unterschiedlichen Charaktere

klingt das Album kompakt, heterogen

und schlüssig im Sofa Surfers-

Kosmos beheimatet - zu den bisherigen

Klangfarben Dub, Breakbeat,

Funk und Elektronik schmiegen

sich East-Coast- und Abstract-HipHop,

als hätte das alles schon immer

zusammengehört.

Und was sagen die

Sofa Surfers selbst?

"Mit den meisten Vokalisten hatten wir schon

länger Kontakt und zu Mark Stewart kamen

Sofa Surfers, Encounters, ist auf Klein Records erschienen.

http://www.sofa-surfers.net

wir über Jeb Loy Nichols. Mit Mark Stewart

haben wir hier in Wien gearbeitet, er war

sehr resolut und wusste ziemlich genau, was

er wollte und was nicht. Den anderen Kollaborateuren

schickten wir Layouts oder sie

schickten uns einfach Gesangsspuren, die wir

dann verarbeiteten. Es ist schon komisch, es

kommt mit 100%iger Sicherheit immer das

zurück, was man nicht erwartet hat. Aber das

macht eben "Encounters" aus, das Aufeinanderprallen.

Aber wir arbeiten mittlerweile

auch alle von zu hause aus und tauschen uns

dann aus. Mittlerweile haben wir eine gemeinsame

Sound-Ästhetik entwickelt und

wollten nun verschiedene Stile anreißen, ohne

diese Ästhetik aufzugeben."

Pumpelnicker

The Notwist

Wenn sie nur einmal am Tag die Piloten sein könnten, würden sie Indie aus dem Muff

steuern. Wie man aus Punk und Dixieland und Elektronik Postrock wie den frischesten

Avantrock klingen lässt, zeigen "The Notwist" auf ihrem neuen Album so hittig

und so anti wie nie.

text: oke göttlich | oke@nonplace.de | Foto: gerald von foris

servicepoint

The Notwist, Neon Golden, erscheint auf City Slang / Virgin.

http://www.notwist.com

Schält man die Unberechenbarkeit

als wesentliches Merkmal einer Band

(jawohl) wie The Notwist heraus,

setzt das eine gewisse Kenntnis aller

ihrer bisherigen vier Langspielveröffentlichungen

voraus. Ihrer Herkunft,

ihrer unzählbaren Metamorphosen

in Seitenprojekten - hier

aufgelistet nach dem wahrscheinlichen

Bekanntheitsgrad innerhalb

der Leserschaft dieser Zeitung - wie

Console, Lali Puna, Tied & Tickled

Trio, Potawatomi, Ogonjol - sollte

man sich ebenso bewusst sein.

Geht nicht, muss auch gar nicht,

darf man angesichts dieser Referenzen

denken und einfach auch schreiben,

wie sich das neue Album "Neon

Golden" anfühlt. Fakt ist, es ist wieder

ein anderes Gefühl als bei den

vorherigen Alben der Indie-Combo

aus Weilheim. Unterstellt man dem

Kollegen Thaddi in seiner Rezension

zur Vorab-Single Pilot ("Pumpelnde

Pumpelbeats"), dass er keine

Ahnung davon gehabt hat, was pumpeln

bedeutet, muss das Lob für diese

Wortschöpfung um so größer ausfallen,

da es den Kern einfach trifft.

Was könnte pumpeln also sein? Einigt

man sich auf die Schnittmenge

zwischen Rumpeln, Pop, Kuscheln

und Unken, wäre das Panorama der

vier Musiker grob angedeutet. Bei

The Notwist, als Punkband Ende der

Achtziger von Markus und Micha

Acher gegründet und richtig rumpelig,

hat der heimische Plattenschrank

die Funktion des Weltempfängers

übernommen und ist im Laufe des

12-jährigen Bestehens gemeinsam

mit den Beteiligten zu einem Verstärker

ständiger Weiterentwicklung

geworden. Statt weiter gegen Eltern,

Weilheim und das vermeintlich Begrenzte

gegenan zu poltern, entwickelte

The Notwist als abstraktes

Bandgefüge menschliche Züge und

Evolutionssprünge, ohne an subtiler

Violence zu verlieren. Mehr anti

geht kaum. Anti-Star, Anti-Hip,

Anti-Style, Anti-Peinlich und vor

allem Anti-Zyklisch. Hatte jemand

gedacht, The Notwist würden irgendwann

die Kombination von

Schlagzeug, Bass und Gitarre nicht

mehr fortschreiben und irgendwo

zwischen Dinosaur Jr. und Talk Talk

hängen bleiben, sollte spätestens mit

der letzten Veröffentlichung

"Shrink" vor dreieinhalb Jahren

enttäuscht, verwundert oder verliebt

gewesen sein.

Elektronische Elemente wurden

durch die Verpflichtung von Martin

Gretschmann [Console] integriert.

Alles zu Zeiten, in denen sich abzeichnete,

dass sowohl elektronische

Musik ohne analoge Instrumente wie

auch eine klassische Band ohne

Elektronik an ihre Grenzen stoßen

könnten. Flirtete Shrink noch mit

Jazzelementen - Markus und Micha

spielen in einer Dixie-Band mit

ihrem Vater auf Sonntagsfrühschoppen

- ist Neon Golden ein Update

mit Gastmusikern, die weltmusikalischen

Einflüssen einen Raum geben,

die sich im besten Sinne dem vielfältigen

Klangbild der Band anpassen,

die Stücke immer wieder in verschiedenste

musikalische Himmelsrichtungen

zerren und immer neue Geschichten

und Assoziationen ermöglichen.

Und das alles auf dem elektronischsten

Album der Weilheim-

Buben.

Es verwundert daher kaum, dass The

Notwist, ansonsten so entfernt von

allem irdischen, unendliche Begehrlichkeiten

wecken. Im Forum der

Musiker trampelt eine Horde ungeduldiger

Fans durch das Netz und

fordert sofortige Veröffentlichung

des neuen Albums: "Ich will die

Platteeee" ist noch harmlose Ungeduld,

während richtiger Druck erst

bei Folgendem aufkommt: "Ihr macht

wirklich gute Musik. Trefft meine Seele. Das

kann nicht jeder. Beeilt euch bitte mit dem

neuen Album. Hört bitte niemals auf, Musik

zu machen." Diese Fans hat diese Band

wirklich verdient.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!