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De_Bug (Germany) 055 2002-01

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new economy

Huiiiiiiiii

Der Niedergang von Silicon Alley

Noch vor einem Jahr war die New Yorker Silicon Alley zwischen Soho und dem Broadway

der Ort für das Internet-Biz. Dort tummelten sich Büro an Büro die ganz großen Player

neben vielen unkonventionellen Projekten. Doch schon vor den Attentaten auf

das WTC hatte die Rezession alle am Schlawittchen gepackt. Arrgh.

text: nico haupt | nicohaupt@yahoo.com

Lange vor Nine-Eleven - wie man in

Amerika die Attentate vom 11.9. kosewortartig

nennt - lange vor den

Angriffen auf New Yorks Finanzzentrum

war eigentlich schon alles klar,

denn zu Anfang des Jahres war eigentlich

schon alles geschehen. Die

Börsen rutschten in die Tiefen.

Nach DEN-Network und dem Schicki-

Fashion-Portal Boo ging auch die

KultFlash Comicschmiede Udo.Net

New Yorks Vielfalt

knickt ein

Noch im Sommer 2000 glänzten

fast an jeder zweiten Plakatwand in

Manhattan Dot.Com-Slogans. Stolz

wurden auf der Straße die neuesten

Gadgets herumgezeigt, es gab Parties

ohne Ende. Man konnte sich auch

leisten, über die wireless Palmtop

Yahoo-Taxis zu spotten, natürlich

nicht, ohne die drahtlose DSL-Welt

an sich zu preisen. Für viele der weltweit

300 Millionen vernetzen Computer

galt New York als die unkompliziertere

US-Variante des Internet-Hypes

im Gegensatz zur etwas

steiferen Attitude in San Francisco.

In Manhattan oder Brooklyn wurde

des Nachts an spannenden Visonen

gebastelt. Komplexe Datenbankprojekte,

Kunst-Crossover-Projekte,

selbst Connections zum MIT beeinflussten

einige DotComs, sogenannte

Chief Scientist Depandancen zu

New Yorks Internetleben

ist getroffen, bewahrt

sich aber seinen stadteigenen

Galgenhumor.

pleite, Rhizome entließ seine Mitarbeiter

in Massen und hunderte von

kleinen Webfirmen bis hin zur

berühmten Zahnpasta in

5Minuten.com existierten nicht mehr.

Schuld hatten natürlich wieder alle:

Angefangen hatte es mit der zynischpsychologischen

"Fuck DotCom"-

Kampage im Frühjahr 2000 aus San

Francisco, über die Gutgläubigkeit

vieler Investoren und den Spekulantengeschäften

an der Börse bis zur

völlig überhypten E- oder M- Commerce-Welle.

Zahlreiche dümmliche

Ideen machten den Markt weiter kaputt.

Warum man Firmen wie

IDoll.com, ToySmart.com oder

ToyStore.com Geld in den Rachen

schob, ist wohl heute noch ein Rätsel,

gibt es doch kein einziges Kind,

das eine Kreditkarte benutzen darf.

Doch selbst an diesem Manko wurde

in der Bizarrowelt von DotCom-

Krawattos gearbeitet.

ermöglichen. Die Zeitung "Technology

Review" kam statt 6x nun 9x im Jahr

heraus. Es schien der Weg frei zu

werden für die nächste Hightech-

Generation. Dabei ging es eben

nicht immer nur um das schnelle

Geld. Es zählten häufig auch die verrücktesten

Ideen. Doch war schon

früh im Jahr 2000 klar, dass der

Höhepunkt lange überschritten war.

Im April 2000 krachte das erste Mal

die Börse ein. Viele DotComs waren

mit bis zu 40% überkalkuliert. Anfang

2001 schien es noch, die Karten

würden nun neu gemischt. Neues

Selbstbewusstsein tankte man sich

auf Pink-Slip-Parties, denen man

später wieder auswich. Danach wurden

Chefs direkt nach ihren Finanzplänen

gefragt, man wolle ja nicht

wieder auf die Nase fallen. Doch

weitere Glanzlichter New Yorks verblassten,

was sich psychologisch nicht

gerade positiv auswirkte. Gegen

April 2001 fuhren die letzten orangenen

Kizmo.Com-Fahrradkuriere auf

der Straße und Josh Harris (Ex-

PSEUDO.com) beendete sein Kunstüberwachungsprojekt

"WE LIVE IN PU-

BLIC". Nun waren die Gespräche auf

den Parties schon etwas trüber, aber

wie das in New York so ist, immer

mit einer Spur Galgenhumor. Nach

wie vor war man nicht ganz arbeitslos,

es hieß jetzt diplomatisch Freelancer.

Die gängige Höflichkeit half

dabei, nicht weiter nachhaken zu

müssen. Alle beteten aber insgeheim,

dass bloß nicht die ehemaligen

Läster-Ikonen Amazon, Ebay oder

auch Yahoo einknickten. Doch auch

die Hassliebe-Heroes rutschten weiter.

Altavista konnte gegen das technisch

versiertere Google nicht mehr

mithalten. Neue Tendenzen zogen

ins Net-Land. Messageboards übernahmen

nun eine Mischung aus

neuen Jobbörsen, Seelenfürsorge,

ThinkTank oder Flucht in irgendwelche

Sub-Virtualitäten. Auf einmal

brodelte der Untergrund wieder.

Es war klar, was passiert war. Selbst

die ISPs hatten um ihre Stellungen

zu kämpfen. Mangelnde Anzeigenflächen

mussten durch Abo-Tarife

ausgeglichen werden. So nahmen

Salon.com, Heavy.com und gegen den

Willen von Conspiracy- und UFO-

Ikone Art Bell auch dessen Boss nun

"Eintrittspreise". Es tat besonders

weh, wenn auch idealistische Projekte

ihre Arbeit einstellen oder drastisch

einschränken oder entlassen mussten.

Stellvertretend für diese: Alltrue.Com

(Home-Videos), FasTV.com

(streaming), Juno Online (kostenlose

Provider), Excite (FreeMailer),

MP3.com (Digitale Musik), CMGI

(Suchmaschinen), Priceline (Hotel- +

Flugvermittlungen), Ricochet (Wireless

DSL) und etliche mehr. Doch radikale

Netzhelden wie ICANN-Kritiker

und Projektmanager Karl Auerbach

bestärkten alle Veteranen, nicht

aufzugeben - das Internet sei immer

noch am "Tag 1 der Kindheit". Was wohl

wahr ist.

Das Netz nach 911

Denn mit 911 sah sich besonders das

New Yorker Netz einer neuen Verantwortung

gegenüber. Terroristenflugzeuge,

die ins World Trade Center

stürzten, machten die weltweite

Datenbankintelligenzia zur wichtigsten

Stütze von Wahrheit, Notruf

und Informationsmaschine. Das

WTC-Syndrom sorgte nicht nur für

ein Revival von Militär-Propaganda,

sondern auch für neuartigen

Online-Journalismus, dem Aufräumen

mit nervigen Legenden und

Hoaxes (Urbanlegends.about.com stürmte

an die No.1 der Delphi-Board

Charts), und EMail und Chat waren

plötzlich die ungebombten Twin Towers

des Netzes. Betroffenheit, Pragmatismus,

Patriotismus, Aufklärung

und ein neuer Hype von Sarkasmus

und Satire machten das Internet wieder

zu dem, wie es angefangen hatte:

Die ewige Gratwanderung zwischen

Paranoia, Überwachung, Text statt

Graphikschnörkel und endlich, aber

wahr: Der ThinkTank funktionierte,

wenn auch mit weniger Einkommen.

Fast synchron zum "Attack" eröffneten

die Bastelfreaks von ControlledEntropy.com

ihre Remoutelounge auf der

Kühlschrankstraße "Bowery". An 40

Tischen konnte man seinen Drink

per Kamera bestellen und in 30

Channels weitere Gäste als Screenshots

auf eine Webseite schießen oder

klassisch analog anrufen. Um einen

herum hunderte von Monitoren und

eine ausgelassene Stimmung, als hätte

es den DotCom-Crash nie gegeben.

Zum Ende des Jahres war dann

New York immer noch nicht Amerika,

sondern multikulturelles Archiv

und Auslöser für neuen Sarkasmus

und Pragmatismus statt Patriotismus.

New York hatte nun gleich vier

Attacken überlebt: DotCom-Crash,

die Flugzeugattacken, den Krieg und

Anthrax-Umschläge.

Auch wenn viele Medien, selbst die

seriösesten, von angeblichen Panikzuständen

im Silicon Alley berichteten,

hielt man es am Ende so wie mit

den Kommentaren zu Schneestürmen:

"NewYork hat keine Angst vor dem

Schnee, sondern empört sich über den Matsch

an den Bürgersteigen". Ob das Stückchen

Freiheit, was den New Yorkern viel

stärker als irgendwo anders weggenommen

wurde, wirklich zum Ende

von weiteren Ideen und Jobs führen

wird, mag dahingestellt sein. Jedoch

wurde im Silicon Alley herzlicher

über Bert neben Bin Laden gelacht

als irgendwo sonst.

Das Leben geht weiter.

finder

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