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De_Bug (Germany) 055 2002-01

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der minimale unterschied| köln

labelüberblick

Tonsport

Spaß am Groove

Die erste Compilation von Tonsport dokumentiert

den ganz eigenen Weg des Kölner Labels auf der Suche

nach der perfekten Kombination von Techno

und Popappeal. Eine interessante Zusammenstellung

von Musik, die sich quer durch die Geschichte

der 90er Jahre Elektronik bewegt und dabei auch

mal ordentlich dick aufträgt.

text: katja hanke | khanke@gmx.de

Eine der ersten Veröffentlichungen

des Kölner Labels Tonsport

wurde in dieser Zeitschrift als eine

"höchst merkwürdige Platte" bezeichnet,

die "klar zusammenbringt, was nichts miteinander

zu tun hat." Auch die erste

Compilation des Labels funktioniert

nach diesem Prinzip und bietet

eine äußerst eigenwillige Zusammenstellung

von Titeln, die

wiederum selbst wie hybride Gebilde

wirken. Stücke beginnen beispielsweise

mit düsterem Minimal-

Technoflair, vereinzelte Streicher

tragen dann dick auf, Melodien

verdichten sich und werden nach

psychedelischem Acid-Gezwirbel

von einer wummernden Rave-Bassdrum

geschluckt, zu der Vocals

sehnsüchtig im Pop-Pathos dahinschmelzen.

Der typische Köln Sound

rückt in den Hintergrund und

kloppert und klickert auch dort gelegentlich.

Eine bizarre, irgendwie

liebenswürdige Mixtur, bei der Pop

ganz groß geschrieben wird.

Der lange Weg des Pop

Tonsport-Labelchef Dieter Hoff

ist ein Techno-Quereinsteiger.

Wenn er von Pop redet, weiß er,

wovon er spricht. Ende der 80er

Jahre hatte dieser ihn musikalisch

so weit eingeengt, dass er beschloss,

sich von der Poprock-Band Purple

Schulz (ja, wirklich!) zu trennen.

Dann kam ein Aufenthalt in Afrika

und die Faszination für repetitive

Trommelklänge, danach ein paar

Solo-Pleiten und Ärger mit den

Majors. Schließlich, Mitte der

90er, fiel ihm eine "Groove Box" in

die Hände. Er experimentierte damit

und war begeistert, beschloss,

ein Label zu gründen, um Techno

Köln ist für mich eine Heimat und kein

musikalischer Himmel.

etwas "Popappeal mit auf den Weg zu geben."

Techno, so dachte er, hat keine

Grenzen, darf sie nicht haben.

"Das war die Zukunft."

Als Freitag produziert Hoff auf

Tonsport Stücke, in denen er nach

Sounds sucht, "rumspinnt und rumforscht",

wie er es nennt. Von intellektuellen

Konstruktionen und

purer Funktionalität hält er nicht

viel. Die Dinge einfach fließen lassen

und sehen, was passiert. Spaß

am Groove. Dabei sprudelt immer

wieder aus ihm heraus, was er eigentlich

hinter sich lassen wollte:

Pop. "Ich kann einfach nicht anders. Ich

möchte aber auch nicht stagnieren. Das

größte Problem ist für mich, den Schritt aus

den 80ern in die 2000er zu bewältigen."

Gerne würde er jetzt schon "supermoderne

Musik" machen, das ganz

Besondere finden. "Doch das ist ein

langwieriger Prozess."

Das andere Köln

Stationen dieses Weges sind auf der

ersten Tonsport-Compilation "Bye

Bye Mr. Jagger" zu hören. Schon der

Titel ist programmatisch: der Abschied

von einer bestimmten Art

von Musik, von der Vergangenheit.

"Das ist auf diese Weise charmanter, als einfach

nur zu sagen: Alles Blödsinn, ich will

nichts mehr damit zu tun haben." Als purer

Label-Querschnitt steht diese

CD jedoch nicht; vielmehr zeigt sie

das Spektrum des Umfeldes von

Tonsport: Musik, die die Kluft

zwischen Techno und Pop überbrücken

soll. Gabriel Ananda von

Karmarouge Records, der mit vier

Stücken vertreten ist, spielt dabei

eine bedeutende Rolle. "Ihm fällt es

sehr leicht, die Popgeschichten mit Techno zu

verbinden. Er ist ein Kind der Technogeneration.

Das bin ich nicht. Ich bin immer

noch am Rumfummeln und Überlegen, wie

ich was mache, dass ich gut damit leben

kann." Außerdem ist Anandas Musik

völlig unabhängig, hat nichts

mit dem Kompakt-Umfeld zu tun,

von dem und dessen "paar Göttern"

Hoff sich fern halten möchte. Er

kommt immer wieder darauf

zurück. "Köln ist für mich eine Heimat

und kein musikalischer Himmel." Für

Tonsport möchte er eine neutrale

Position, unabhängig der Kölner

Szene. Die "intellektuelle Musik" imponiere

ihm schon, doch: "Ich bin

nicht so." Seine Musik soll fließen,

Spaß machen, einfach passieren.

Experimentierfreudigkeit gegen

"konventionelle Formate". Ich dachte,

das freie Ausprobieren im Techno

dürfte nie enden. Doch dann sagen

Leute: “ach nein, das ist viel zu sanft oder

zu schön." Etwas kitschig eben,

servicepoint

Die Compilation "Bye, Bye Mr. Jagger"

ist auf Tonsport/Neuton erschienen.

http://www.schallhaus.com

rührend und irgendwie ergreifend.

Der Pop, von dem Hoff - "Manchmal

ist er bei mir so heftig da." - noch

immer übermannt wird.

Sein Gefühl für relativ kommerzielle

Klänge scheint ohnehin noch

immer ausgeprägt: Label-Kollege

Dirk Schilling (Filmpalast) landete

mit "I want" einen Club-Hit, der

jetzt auf Compilations von Timo

Maas oder Paul van Dyk zu finden

ist. Eine kleine Portion Kommerz

ist wichtig; als Basis, um weiterarbeiten

zu können. Hoff hat viele

Ideen. Er braucht Zeit, "eine gerade

Linie" in seine Musik und der des

Labels zu bringen. Seinen neuen

Platz zu finden. "Wenn du an Voigts

Wassermann denkst; das ist der Konsens. Er

hat ihn für sich gefunden, doch dafür hat er

auch zehn Jahre gebraucht. Die hätte ich

auch gerne."

Firm | Schäben und Voss veröffentlichen auf diesem

Kölner Label nicht nur ihre experimentellsten Reduktionsfunktracks,

sondern koppeln das Ganze mit einer Sammelästhetik

skurriler Kölner Offproduktionen, die man ernst

nehmen muss.

Force Inc | Auf Grund großer Überschneidungen

finden sich auch auf dem Mutterlabel der Bankerstadt die ein

oder anderen deepen Clickstertechnohouse Tracks aus aller

Welt. Grundlegend. www.force-inc.net

Force Lab | Die DSP Tochter von Force Tracks mit

ähnlichen Acts, aber klickernderen Sounds. Geplant als Co-

Produktionslabel befindet sich der Stil hier irgendwo zwischen

Testbed, Mille Plateaux und House.

Force Tracks | Deephouse ohne Referenz auf

organische Klangquellen könnte der kleinste gemeinsame

Nenner bei Force Tracks lauten. Schenkte uns im hochfrequenten

Veröffentlichungsrhythmus Acts wie Luomo, Crane

Ak oder MRI. Emotionalität auf höchster Abstraktionsebene.

www.force-tracks.net

Freizeitglauben | Junges Berliner Label, das

mit seinen ersten vier Releasen (Neal White & Donna K,

Pliq, SCSI-9) für Aufregung gesorgt hat. Zwischen techigem

Minifunk, housig heiterer Sommerlichkeit und edelzartem

Softwareswing ist alles "in a true familystyle".

Funkfahrt | Submania und Ekmohahs Label das

ihre industriellen Vorlieben immer weiter zugunsten von klaren

Grooves auflöst. Sehr reduzierte Musik. www.funkfahrt.com

Highgrade | Auch dies hier ein Label aus der

großen Familie der Tom Clark Label, aber am stärksten auf

Minimalhouse der deepen Art konzentriert. Releases u.a.

von überraschenden neuen Acts wie James Flavour, den

Schweizern Dialogue (Stefan Riesen & Niels Jensen) oder

Guido Schneider mit Tom.

Infarkt | Harddisc-House aus Frankfurt von Daniel

Eichler mit spleenigen Avantdiscotracks und minimaler

Dichte von Benjamin Wild, Frankie Patella usw. Zehnkampf

Postprocessing. www.copyriot.com/infarkt

Intim | Martin Landsky of Pokerflat-Fame taucht auf

Intim in deepe Housewelten ab. Lässig abgehangen und mit

einem Höchstmaß an durchgestylter Musikalität. Für alle,

die House gerne im Hawaihemd genießen.

Italic | Antonelli "Discomachine" Electrics Basislager.

Die dubby Disco im Hinterkopf wärmt sich die Popfraktion

an Italics maximaleuphorischen Minimalhousehymnen

mit der Extraportion leichtfüssigen Swing. Das Musik gewordene

Frohlocken. www.italic.de

Klang | Der kleine Bruder von Playhouse zeigt wie divers

ein Label sein kann, ohne dabei auch nur eine Spur beliebig

zu werden. Ursprünglich die Homebase von Acid Jesus

schenkte uns Klang Hi Profile Projekte wie Farben und Peter

F. Spiess, ohne die niemand mehr ernsthaft sein möchte.

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