De_Bug (Germany) 055 2002-01
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de:Bug 055 | 0102 [22]
zürich
DOMIZIL
Macht zuhause, was immer es will
Markus Maeder und Bernd Schurer haben sich mit ihrem Label "Domizil" ein Exil in der
Züricher Heimat gebaut, einer Stadt, in der immer mehr Menschen den Platz für Experimente
immer weiter beschneiden. Warum aus einem neuen Cabaret Voltaire im
Bahnhofsviertel nichts wurde und Presswerke in Basel Vorkasse wollen und wo Micromusic
da ins Spiel kommt, weiß Sascha Kösch.
text: sascha kösch | bleed@de-bug.de
servicepoint
Abgesehen mal von einigen Verschwörungtheorien,
die besagen,
dass die Sintflut sowohl von der Küste
als auch von den Bergen kommt,
oder die Schweiz deshalb verschwinden
könnte, weil sie entweder den
Pfad der Biogenetik verlassen hat
oder einfach so mittendrin ist (Europa,
Berge, Sprachen, ein permanentes
Dazwischen eben), dass man
sie übersieht, kennt man die Schweiz
Zürich ist im Moment schlimm.
Die Schmerzgrenze ist erreicht.
"Vor ein paar Jahren habe ich mir überlegt,
mir in Berlin mal eine Wohnung zu mieten
und ein wenig länger zu bleiben, aber das hat
sich in der allgemeinen Inflation aufgelöst.
Ich habe zu lange mit der Entscheidung gewartet
und dann hat sich das verwässert und
wurde hinten angestellt. Aber jetzt im Moment
ist die Situation in Zürich grade so
schlimm, dass ich finde, jetzt ist eine
Schmerzgrenze erreicht, an der man sich wieder
fragt, ob man es noch aushalten kann.
Ökonomisch vor allem. Die Stadt ist zur Zeit
so voll, es gab seit 17 Jahren nicht mehr so
viele Leute in der Stadt. Es gab einen Abwanderungs-Trend.
Offenbar können die
meisten es sich leisten, teure Wohnungen zu
haben. Kultur zu machen, kann man eh fast
vergessen. Alternativkultur hat einfach fast
keine Räume. Vor 1 1/2 Jahren musste ich
tatsächlich mal eine feste Stelle annehmen,
weil es echt nicht mehr anders ging. Man
domizil 1-7 out of stock: hypermusikunpurposed. CD-Rz+kazzeta.
domizil8: "supermarket" - 7" single: maeder/osten, justin hoffmann, u.a.,98
domizil9: "teleform" - same - CD: b. schurer, 99
domizil10: "solipsistic_motion" - vinyl LP: marcus maeder, 99
domizil11: "mikrosport" - CD: rm74, 00
domizil12: "micro_superstarz_2000" - CD/CD ROM: various artists, 00
domizil13: "burch renders&reducers mama" - vinyl LP: 01
domizil14: "full of sid" - vinyl EP: psilodomputer; remixes
domizil15: "zwischen.raum" - 3" CD: steinbruechel, 01
domizil16: "cosine ƒ" - CD: teleform/schurer, tbr dec 01
domizil17: "burch renders&reducers mama" - 7" single; tbr dec 01
domizilNET: "zwischen.raum" - mp3: steinbruechel, internet only, 01
first 4r of 02 hopefully
WAL (CD) + rm74 (CD) + marcus maeder (CD) + Runzelstirn&Gurgelstock (CD)
sp_sx00: "grat" - CD: schurer/thut, 96
dr27: "leben im wartesaal" -7" single: schurer/thut, 97
"institut fuer feinmotorik" - CD+: various, 99
c3f : "azki.txt" - mp3: teleform, internet only, 01
vor allem wegen eines Überflusses
an Geld, das eben nicht alle haben,
oder der Schokolade, die nicht alle
mögen. Zürich hingegen kennt
man, abgesehen von den obskur
aufdringlichen Heroinsüchtigen
und dem merkwürdig verschobenen
Verhältnis von Kultur und Institution,
weil man es außerhalb der
Schweiz gerne für ihre Hauptstadt
hält, weil sich dort diese Exemplifizierung
eines Zwischenraums (Stadt
am See, am Fluss, in den Bergen,
irgendwie flach, hochkulturell, massenkonsumierbar,
Bilderbuchstyle,
bruchreif etc. etc.), die die Schweiz
zu sein scheint, zu genau dem entwickelt,
was aus einer Stadt einen
unmöglichen, aber höchst komfortablen
Platz für Exilanten und Immigranten
im eigenen Land macht.
Domizil ist ein Label. Ein Label ist
eine Heimat, die mehr ist als eine
Stadt. Weil man dort das thematisieren
kann, was einen beschäftigt,
wenn man es nun mal auf sich genommen
hat, aus dem Überleben
einen Lebenstil zu machen. Markus
Maeder und Bernd Schurer waren
Kunststudenten. Ihr Label kann das
bezeugen, würde sich aber darin nie
auflösen lassen. Jede der Platten auf
Domizil ist gerade eben so merkwürdig,
dass sie dezent inkomensurabel
erscheint, gerade so poppig,
dass sie per se nicht als hochkulturelles
Event verstanden werden
kann, und vor allem immer dazwischen.
Den ernsten Powerbookexperimentalisten
zu albern, den gutgepflegten
Club-Hedonisten zu
merkwürdig. Domizil passt nie und
immer - ist programmatisch Zürich,
weil überall. Domizil Schallplatten
haben immer auch diesen unmöglichen
Lobgesang an das Akzidentielle,
sei es die Kooperation mit
Micromusic.net oder der legendäre
Hundegesang zur tragischen und
historisch komischen Orgel auf einer
ihrer Platten. Ein Zusammentreffen
von Glücksfällen, Ausnahmeerscheinungen
mitten in dieser
weltweiten Mitte, in der Zürich gar
nicht allein ist.
konnte nicht mehr wie bis dahin das Geld für
die nötigsten Sachen einfach irgendwoher
auftreiben. Und das ist dann einfach auch
zuviel. Da macht man einen blöden Job und
die Situation hat sich doch nicht verbessert,
weil man nicht mal mehr Geld hat, das man
ausgeben kann. Ich muss einfach nur mehr
arbeiten. Ich verkaufe Apple Computer als
EDV Fachkraft. Irgendwas, was mit dem,
was ich sonst mache, nichts zu tun hat."
Wer aber wie die beiden von Domizil
ein Label in Zürich macht, der
hat genau die gleichen Probleme wie
der Rest der Welt: Distributionsprobleme,
Presswerkprobleme,
Auflagenprobleme. Nur eben ein
wenig mehr, denn wie Markus Maeder
sagen würde: "Die Schweiz gehört ja
nicht zum Rest der Welt. Das ist immer kompliziert
mit Formularen. In der Schweiz selber
machen wir jetzt zum ersten mal die neue
Micromusic EP. Das wird ein Test mit einem
kleinen Basler Presswerk. Mit denen haben
wir eine dubiose Korrespondenz geführt. Mit
dieser einen Person. Wir glauben, die brauchen
das Geld deshalb im voraus, weil sie Sachen
kaufen müssen, um pressen zu können.
Es ist schon schlimm, dass man immer die
Schweiz vertreten soll." Ohne Verortung
wird einen aber auch kein noch so
gut installierter Glücksfall in einen
Zwischenraum transportieren.
Cabaret Voltaire am Bahnhof
Weshalb man vielleicht die anderen
Orte aufsucht, in denen Domizil
stattfand. Die Partys, Events, die
Geschichte einer unmöglichen Institutionalisierung,
des Stattfindens
von Stattmusik (wie ein anderes Label
Zürichs heißt). "Wir hätten fast einen
neuen Ort gehabt. Das wäre eine dicke
Geschichte gewesen. Wir haben als Domizil ja
auch Veranstaltungen gemacht. Als wir beide
zusammen Kunst studiert haben, hatten wir
schon damals einen Kunstraum aufgemacht,
in dem es aber immer auch viel Musik gab.
Der hieß Kombirama, ein Zusammenschluss
von ca. 10 Leuten. Dort musste man aber
bald raus und in die Innenstadt, ins Prostituiertenviertel
von Zürich, wo wir ein halbes
Bürohaus hatten. Nach einem Jahr waren
wir komplett pleite. Die Idee war jetzt, so etwas
wieder aufzumachen, nicht nur Musik,
sondern breiter zu werden. Ein Audio- oder
Media-Archiv, wo man auch Sachen kaufen
oder leihen kann. Der Ort dafür wäre optimal
gewesen. Das wäre die Wiedereröffnung
des Cabaret Voltaire gewesen. Mitten in der
Altstadt und jeder hätte es gekannt. Das Problem
sind natürlich die Eigentümer des Hauses.
Eine Investmentfirma. Spezialisiert auf
Immobilien."
Also muss vorerst das Label das alles
als Domizil tragen. Wer hätte behaupten
wollen, dass man für ein
Label keine Miete zahlen muss?
Aber wie es halt so ist, wenn die Situation
schwerer wird, werden die
Aufgaben, die man sich stellt, gewagter.
Und Domizil planen noch
diesen Winter gleich 4 oder mehr
Releases, Kollaborationen mit Jazzmusikern
und Improvisationisten,
Events, Kompositionsaufträge,
Umzüge, Eigenes, Ereignisse… und
irgendwann nie wieder als Graphiker
jobben zu müssen. Domizil ist so
etwas wie ein Außenposten geistiger
Gesundheit, mittendrin.
SoundXchange Workshops 2.0
text: sascha kösch | bleed@de-bug.de
Es geht weiter! Nach den drei Diskussionsveranstaltungen,
die diesen
Sommer im WMF, auf dem
Tonstudioschiff 'Heiterkeit' in
Treptow und im Staatlichen Musikinstrumente
Museum am Potsdamer
Platz stattfanden, beginnen
nun die neuen Lehrveranstaltungen
des Studienprojektes
"SoundXchange", das seine Heimat an
der Universität der Künste Berlin
(formerly known as: Hochschule
der Künste Berlin) hat. Für den
Anfang des Jahres 2002 sind
zunächst fünf Workshops geplant
zu den Themen Raumklangsimulation,
kulturelle Konzepte der
Klangproduktion, elektronische
Klangerzeugung und Umgang mit
Presse und Medien in den Künsten.
Die Workshops finden ab Januar
im Abstand von ungefähr drei
Wochen statt. Sie werden Freitags
eingeleitet von einer Präsentation
und finden am Wochenende statt.
Und natürlich sucht sich SoundXchange
wieder Orte, die das
Thema konterkarieren oder unterstützen.
Die Teilnehmerzahl ist auf 20 begrenzt.
Ein kleiner Unkostenbeitrag
entsprechend den Aufwendungen
der Dozenten wird notwendig
sein.
Information
und Anmeldung
für die folgenden Workshops:
soundXchange@udk-berlin.de
25-27. Januar 2002 | SYNTHESIZER-ENTWICKLUNG
Jake Mandell und Mate Galic (Native Instruments)
15.-17. Februar 2002 | KLANG UND RAUM
Einführung in die Raumklangsimulation Alex Arteaga und
Christoph Moldzryk, Gäste: Robin Minard, Golo Föllmer
08.-10.März 2002 | KULTURELLE KLANGKONZEPTE
Wie konstruieren sich/wir Klänge? Monika Bloss und Holger Schulze,
Gast: Diedrich Diederichsen (angefragt)
05.-07. April 2002 | MASCHINENKLANGGESTALTUNG
Mo Loscheder und Hans-Martin Gerhard
26.-28.April 2002 | DER MARKT KUNST
Flatz (Oh Gott!)