De_Bug (Germany) 055 2002-01
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
de:Bug 055 | 0102 [34]
musiktechnologie
Alle Laptops auf die Bühne
Abletons Sequencing Instrument "Live"
"Live" ist ein völlig neuartiger Softwaresequencer, der den Umgang mit Audiomaterial
auf der Bühne wie auch im Studio revolutioniert und als erstes Produkt konsequent
zuende denkt. Kein Wunder, können doch zwei Hauptentwickler und Ideengeber,
Gerhard Behles und Robert Henke aka Monolake, auf jahrelange Erfahrung
im Umgang mit mobilen Rechnern auf Bühnen zurückblicken.
text: thaddeus herrmann | thaddi@de-bug.de
Hand aufs Herz. Ich kann mich an
kaum ein Softwareprodukt erinnern,
über das im Vorfeld seiner
Veröffentlichung soviel gemutmaßt
und spekuliert wurde. Das könnte
mit einer geschickten Marketingstrategie
zu tun haben oder aber mit der
schlichten Tatsache, dass hier Großes
passiert. Zeit wird‘s ja auch. Denn
die Misere der elektronischen Livemusik
wird eher schlimmer als besser.
Die Softwaretools, die ein komfortables
Arbeiten im Studio garantieren,
stellen einem live aufgrund
Break, Fläche oder
Einzelsample...alle Sounds sind perfekt
im Timing. So wie man sich das
immer gewünscht hat. Live arbeitet
in zwei Environments, dem Arrangement,
das genau wie die Timeline
eures Lieblingssequenzers funktioniert,
also die einzelnen Spuren mit
ihren Wellenformen anhand einer
Timeline darstellt, und der Session-
Darstellung, die wiederum an die
Mixereinheiten von Logic oder Cubase
erinnert. Jeder Track hat einen
Kanalzug, komplett mit Volume,
Stottern, die Timestretch-Programmierung
ist Nobelpreis-verdächtig.
Doch eigentlich fängt der Spaß hier
erst richtig an.
Schwimmen im Wellen-Pool
Denn wenn nun alles läuft, kann
nicht nur mit Hilfe von Effekten an
den Samples gebastelt werden, auch
die Samples selber können bei laufendem
Betrieb angegangen werden.
Für jeden Sound steht eine Darstellung
der Wellenform zur Verfügung,
mit deren Hilfe man Start- und
auf ein baldiges Update zu hoffen.
Ansonsten lässt sich Live problemlos
per Midiclock synchronisieren, Faderboxen
sind auch kein Problem
(ohne OMS läuft wie immer gar
nichts auf dem Mac) und sämtliche
Befehle lassen sich auf Hotkeys oder
Tasten anderer Einheiten legen.
Darf ich auch?
Gerne. Vorausgesetzt, dein Rechner
ist schnell genug. Aber auch hier ist
Live nicht wirklich gierig, sprich, ein
einigermaßen neuer Rechner sollte
Mit "Live" bleibt die (Midi-) Hardware zu Hause, mit kommt nur Laptop,
Faderbox und vielleicht noch einem Effektgerät.
servicepoint
Kannst du
das mitschneiden, bitte?
Kein Problem. Nie war das Aufnehmen
eines Livesets oder einer Session
so einfach. Knopf drücken und
los. Live zeichnet alles auf. Das Anund
Ausschalten von Samples, das
Umschalten zwischen Scenes und
selbstverständlich auch jede Fader-
Bewegung merkt sich Live. Außen
vor bleibt hier lediglich das Einfügen
von Samples aus dem Browser und
die Aktivierung / Deaktivierung von
Effekten. Die Effekt-Automation
erfolgt direkt im PlugIn-Fenster und
nicht etwa über eine umständliche
Bus-Automation wie bei Logic Audio.
Hier kommt jetzt die zweite
Ebene von Live ins Spiel, das Arrangement.
Ist die Aufnahmefunktion
einmal aktiviert, wird das fröhliche
Jammen auf der Timeline "mitgeschnitten",
sodass hinterher munter
editiert, gekürzt oder verändert werden
kann. Auch im Arrangement
steht eine Loopfunktion zur Verfügung.
Gefällt ein Abschnitt der Aufnahme
besonders gut, kann man ihn
in die Session zurückschmeißen und
dort weiter editieren, Compare-
keine Probleme mit dem Programm
haben. Auf meinem Powerbook G4 /
400 Mhz konnte ich auf jeden Fall
reichlich Samples und vor allem PlugIns
übereinander schichten. Die
Audioengine läuft extrem stabil und
Katastrophen sind nicht zu erwarten.
Dann fang ich jetzt an
Bemängeln kann man immer Dinge,
deshalb muss man es noch mal ganz
laut brüllen: Die Version 1.0 ist bereits
so überzeugend, dass sich die
ihrer Architektur eher ein Bein und
so drücken viele (User) dann abends
auf der Bühne einfach die Start-Taste
und schauen ihren Audiofiles
(keine Samples, natürlich ganze
Tracks) interessiert zu, wie sie brav
von der Festplatte streamen, und erklären
ein Hall-PlugIn zum Nabel
der Welt oder aber (beneidenswerte
Freaks) haben sich in Max oder Supercollider
ihre eigenen livetauglichen
Sequencer gebaut, die den freien
Umgang mit Audiosamples bei
laufendem Betrieb erlauben und
möglich machen. Denn das ist ja die
Idee des Ganzen: Ich lass meine
(Midi-) Hardware zu Hause und
komme mit Laptop, Faderbox und
vielleicht noch einem Effektgerät.
Das passt bequem in die Tasche und
ich kann mit dem Nachtbus nach
Hause fahren.
Es war live
und ich war es auch
Und es gab keine Dropouts, sogar
unterschiedlich schnelle Samples
haben plötzlich wunderbar synchronisiert
gerockt. Das große, bahnbrechende
Novum an Live ist die Time-
Warp Engine, die alle benutzten Audiofiles
zunächst einer Analyse unterzieht
und sie an das gewählte Mastertempo
angleicht, selbstverständlich
bei laufendem Betrieb. Egal, ob
Pan und Sends. Diesen Spuren werden
per Drag & Drop aus dem Browserfenster
Audiosamples zugewiesen
(AIFF oder WAV), die, einmal
aktiviert, als Loop oder als One-
Shot Samples zu spielen beginnen.
Jedem Track (vertikal) können eine
beliebige Anzahl von Samples zugeordnet
werden, hören kann man
aber immer nur einen. Die verschiedenen
Ebenen der Tracks sind am
ehesten mit Patterns zu vergleichen,
zwischen denen mit einem Klick
umgeschaltet werden kann. Innerhalb
der horizontalen Ebene (den
Scenes) lassen sich selbstverständlich
so viele Samples gleichzeitig abspielen
wie man will. Ebenfalls per Drag
& Drop können den Tracks PlugIns
zugewiesen werden. Die Version 1.0
wird bereits mit einer Reihe eigens
für Live entwickelter Plugs ausgeliefert.
Zur Verfügung stehen zur Zeit:
4-Band EQ, Autofilter, Grain-, Filter-
und PingPongdelay, Chorus,
Compressor und Vinyldistortion,
weitere sind in Vorbereitung. VST-
Effekte werden ebenfalls problemlos
akzeptiert. Allein diese wenigen Features
würden schon ein fröhliches
Rumjammen garantieren. Sample
an, Sample aus, Effekt hier und da,
umschalten zwischen Szenen, dann
wieder ein neues Sample aus der Bibliothek
dazu, kein Rumpeln und
BEWERTUNG: •••••
SYSTEMVORAUSSETZUNGEN:
Mac: G3, 128 MB, ab System 8.6
PC: 300 MHz, 128 MB, Windows 95 /
98 / NT 4.0 / 2000 / XP
PREIS: EUR 349.-
DEMODOWNLOAD:
www.ableton.com
Endpunkt des Samples beliebig neu
festlegen, oder aber die Datei stauchen,
strecken oder mit Hilfe des
Offsets manipulieren kann. Rhythmische
Verschiebungen und knusprige
Artefakte lassen sich so ganz
intuitiv in das Set einbauen. Hilfreich
dabei sind die Warp-Marker,
die bei der File-Analyse automatisch
gesetzt werden, ähnlich wie bei Recycle.
Die Samples werden so in Abschnitte
unterteilt, die sich an den
Peaks orientieren. Die Snaredrum
eines Drumloops kann auf diese
Weise auf File-Länge gedehnt werden.
Alle bearbeiteten Einzelsamples
können selbstverständlich in neuer
Fassung abgespeichert werden. Ein
Mikro-Bounce sozusagen.
Funktion zwischen der ursprünglichen
Version und dem erneuten
Edit inklusive.
Der Rest der Welt
Das klingt alles wunderbar, doch
spricht Live auch mit dem Rest meines
SetUps? Und welche Treiber
funktionieren überhaupt? Unter
MacOS kann Live mit dem Soundmanager
betrieben werden oder
aber mit ASIO-Treibern, das heißt:
auch Soundkarten mit mehreren
Outputs werden unterstützt. So ist
Live auf einem Powerbook mit einer
Emagic emi 2|6 zum Beispiel ein
perfektes Team. Sogar das Vorhören
von Samples über einen separaten
Kopfhörerausgang ist möglich. Unter
Windows wird zusätzlich noch
MME und DirectX unterstützt. Im
ReWire-Betrieb können derzeit nur
Befehle empfangen werden. Hier ist
Programmierer voll und ganz auf
Detailverbesserungen, neue PlugIns
und sinnvolle, neue Features konzentrieren
können. An Anregungen
sollte es da nicht mangeln. Die Unterstützung
weiterer File-Formate
steht hoffentlich oben auf der Liste,
die Möglichkeit, Live auch als Master
in einem größeren SetUp zu verwenden...klar
sind das Dinge, die früher
oder später kommen müssen. So wie
sich Live jetzt aber bereits präsentiert,
lässt sich großartig arbeiten.
Die Oberfläche ist angenehm aufgeräumt
und übersichtlich, erspart einem
die ach so trendigen Peinlichkeiten
und dürfte im Livebetrieb
demnächst hinter verdammt vielen
Äpfeln und Laptops ackern. Killer.
Und der Preis von EUR 349 geht
mehr als in Ordnung.